Tovar Cortés sieht in der Kontrastierung zwischen den trivialen Maecenas-Gesprächen (in sat. 2,6,71f. werden Immobilien und Tänzer als typische Themen genannt) und dem Gespräch bei der ländlichen cena eine indirekte Kritik an Maecenas, doch ist das nicht überzeugend.18 In der Kritik steht vielmehr die Stadt als ein Ort, der ausschließlich nugae zulässt, nicht Maecenas, der nur über nugae sprechen kann. Auf dem Land fände auch Maecenas die entspannte Situation vor, um sich an den lebensphilosophischen Themen zu beteiligen. Zugleich wird aber der Anspruch in den Themenformulierungen, die Quaestiones wie für einen Cicero-Dialog zu sein scheinen, dadurch entlarvt, dass Cervius eine anilis fabella von der Stadt- und Landmaus als Redebeitrag liefert.19 Diese stellt sich als Spiegel der horazischen Alternative von innerer Freiheit durch Bescheidenheit und äußerlichem Wohlstand mit belastender Hektik heraus, wie die Forschung schon bemerkt hat.20
Die Beziehung zwischen den beiden Mäusen wird gekennzeichnet: Als vetus hospes empfängt die arme Landmaus einen vetus amicus aus der Stadt mit allen Ehren zu einer scheinbaren vita beata, die der Gastgeber mit der horazischen Maxime eines carpe diem anpreist.21 Die Stadtmaus verhält sich nicht unangemessen, im Gegenteil: Als Wirt ist sie genauso emsig wie die Landmaus um das Wohl ihres Gastes bemüht. Zwar gibt die Landmaus zuerst dem Schein nach und hält sich für einen laetus conviva bei seinem wohlhabenden amicus, da sich ihr Glück ins Positive gewendet habe (110f.). Doch bald muss die Landmaus erkennen, dass in der Stadt die insidiae überall präsent sind. Sie beendet folglich ihre Erfahrung in der Stadt mit der Begründung, die bescheidene, doch sichere Landatmosphäre dem luxuriösen, aber erschreckenden Stadtleben vorzuziehen (sat. 2,6,115‑117):Horazsat. 2,6,115 117
‘tum rusticus: “haud mihi vita | 115 | |
est opus hac” ait et “valeas: me silva cavosque | ||
tutus ab insidiis tenui solabitur ervo.”’ |
Natürlich darf der Leser weder diese Erzählung noch die Satire an sich rein selbstreferenziell lesen, wie es v.a. seit Brink 1965 und West 1974 communis opinio ist.22 Doch die Inszenierung knüpft erkennbar an die bisher vorgestellten Situationen an, die Horazens Unzufriedenheit betont haben, da dieser sich durch die Hektik seiner Verpflichtungen und die daraus entstandenen Gefahren, wie die invidia, bedrückt sieht.23 Fand der Leser außerdem in Satire 1,6 die Beschreibung der vita solutorum misera ambitione gravique (sat. 1,6,129),Horazsat. 1,6,129 wo der Dichter seine Autonomie bewahren konnte und das sorglose Leben in der Stadt genoss, schließt der horazische Sprecher die Satire jetzt mit einem Satz ab, aus dem ersichtlich wird, dass er in der Stadt keine Ruhe mehr findet und dass gerade eine solche Ruhe für ihn notwendig ist (haud mihi vita | est opus hac, Hor. sat. 2,6,115f.).
Hier ist allerdings Folgendes zu betonen: Selbst wenn die Inszenierung der aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu Maecenas entstandenen Stadthektik nicht nur bei späteren Autoren (wie in den folgenden Kapiteln darzulegen ist) sowie in der Forschung,24 sondern sogar beim späteren Horaz, etwa in den Episteln, als Teil der Problematik rund um das patronus-cliens-Verhältnis behandelt wird, stellt die clientela keinen direkten Grund für die Verzweiflung des Horaz-Sprechers dar. Denn wie gezeigt wurde, ist dessen Stellung bei Maecenas von einer eher vielschichtigen Natur, die zwischen Amtsfunktionen und tatsächlicher Freundschaft changiert.25
Konkreter wird der Horaz-Sprecher zwar in den Episteln, in denen Maecenas nicht nur als aufrichtiger Freund, sondern vor allem als Gönner auftreten wird. Doch aus der Außenperspektive betrachtet Horaz genauere Aspekte des patronus-cliens-Verhältnisses schon in den Epoden und Oden, und zwar topisch als Ausgangspunkt für Kritik an mangelnder Fairness und am Stadtleben allgemein anhand eines ethischen Diskurses.
Resümee
Da das Verhältnis des Horaz zu Maecenas in der Literatur der Kaiserzeit, die sich mit der patronus-cliens-Beziehung befasst, als Idealfall einer Dichterförderung durch einen patronus verstanden wird, musste die Selbstdarstellung des Horaz vor allem in den Satiren in den Blick genommen werden. Horaz thematisiert dort mehrfach die Vorstellung, die man allgemein von seinem Verhältnis zu Maecenas hat, um sie richtigzustellen. In Satire 1,6 ist die Vorstellung von einem erfolgreichen sozialen Aufstieg das Hauptthema; Horaz beschreibt sein Verhältnis zu Maecenas dezidiert nicht als patronus-cliens-Verhältnis (nirgends wird Horaz als cliens des Maecenas zu typischen Aufgaben wie salutatio oder anteambulatio verpflichtet), obwohl die Initiative zu dieser amicitia vor allem auf Maecenas zurückgeht und der soziale Unterschied zwischen den ungleichen Partnern von Horaz betont wird. Doch gerade damit unterstreicht Horaz den ethischen Wert dieser amicitia, denn die strengen Auswahlkriterien des Maecenas sind ausschließlich moralischer Natur. Der ideale Tagesablauf des glücklichen Horaz enthält keine klientelären Pflichten. Komplementär dazu wird der Charakter dieser Freundschaftsbeziehung noch einmal in der sog. Schwätzersatire 1,9 als Kontrastbild zu den Vorstellungen des quidam bestätigt. In Satire 2,6 gestaltet sich der Tagesablauf des Horaz in Rom mitsamt den Verpflichtungen nicht mehr so ideal wie im ersten Buch; teils ist dieser Eindruck dem Stadt-Land-Kontrast geschuldet, doch auch die Bekanntschaft mit Maecenas macht Horaz prominent und anfällig für Anliegen von Bittstellern.
b) Horaz als externer Beobachter: Epode 2 und Ode 2,18
i) Klienteläre Pflichten als Kontrast zur Landruhe: epod. 2
Horazepod. 2Die zweite Horaz-Epode zählt zu den bekanntesten Gedichten des Horaz-Corpus. Sie zeigt ein scheinbares Lob1 auf das Landleben, doch in den letzten Versen erfährt der Leser, dass hier nicht das Horaz-Ich spricht, sondern Alfius, ein gewinngieriger faenerator,2 der keinesfalls ernsthaft daran denken könnte, auf dem Land ein bescheidenes Leben zu führen.3 In der Forschung wurden einige Aspekte der Epode kontrovers diskutiert, da Horaz die Interpretation und das Ziel sowie letztendlich die Rolle des Sprechers (und des Lesers) nicht ganz deutlich steuert.4
Bereits Kießling und Heinze bemerkten, dass schon die Wahl des Jambus sowie „die gewollte Einsichtigkeit des Gemäldes“, welches der Sprecher seinem Leser bietet, diesen auf eine Inkongruenz zwischen dem vorgeblichen Lob und den überraschenden Schlussversen aufmerksam machen würden.5 Watson 2003 sieht weitere Hinweise darauf, dass der Leser auf das überraschende Ende („a specialized form of undercutting of bathos“, 86) vorbereitet wird, darin, dass stilistische Elemente so plakativ und topisch eingesetzt werden, dass sie an rhetorische Übungen erinnern, und dass sogar das so idyllische Bild vom Landleben durch die Unruhen im Zuge der von Oktavian in den 30er und 40er Jahren unternommenen Landenteignungen auf das zeitgenössische Publikum nicht mehr überzeugend wirken konnte.6
Trotzdem besteht der Witz dieser Epode m.E. immerhin darin, dass der Leser (zumindest in einer ersten Lektüre) davon ausgeht, dass der Dichter Horaz spricht und seine etwa in Satire 2,6 beschriebene Auffassung von der idealen Lebensweise auf dem Land wiedergibt, denn zunächst irritiert kein Hinweis auf ironische Distanz die Idylle und Luxuskritik.7 Schon Oksala 1979 machte auf „Zwiespalt und Selbstironie von Seiten des Dichters“ und vor allem auf das Verhältnis zu der Darstellung in sat. 2,6,60‑67 aufmerksam: „Horaz hätte doch selbst viele Gedanken des Alfius unterschrieben.“8 Der Schock also, dass ein faenerator spricht, lässt den Erstleser so aufschrecken, dass die Idylle ihre Glaubwürdigkeit und Attraktivität verliert9 – eine zweite Lektüre macht die Übertreibungen des heuchlerischen Alfius (und den ironischen Ton des Autors) in der Beschreibung auffälliger.
Die klientelären Aktivitäten spielen schon in den ersten Versen eine bedeutende Rolle. Denn sie werden als anstrengender Teil des Stadtlebens empfunden und mit der dort herrschenden Hektik kontrastiert (epod. 2,1‑8):Horazepod.