Durch diese Darstellung(en) bemerkt der Leser sofort, wie der Horaz-Sprecher versucht, einerseits die inneren Werte als Grundlage für sein Verhältnis zu Maecenas zu präsentieren und andererseits zu zeigen, dass das volgus nicht in der Lage ist, das wahre Wesen des Bündnisses nachzuvollziehen. Die Folge dieses mangelnden Verständnisses ist, dass nicht nur Neid entsteht, der zur negativen Betrachtung des Horaz führt, sondern auch, dass (zum Scheitern verurteilte) Nachahmungsversuche in einer störenden Situation münden, die Horaz zur Verzweiflung bringt.
Doch bald zeigt der Horaz-Sprecher, dass problematische Aspekte nicht nur außerhalb des Verhältnisses zu Maecenas im Neid und in Hintergedanken zu finden sind, sondern auch innerhalb desselben, und zwar in der steigenden Menge von Verpflichtungen, die er zu erledigen hat. Diese geben dem Dichter-Freund (und -Klienten) das Gefühl des Freiheitsverlustes, was offen in Satire 2,6, thematisiert wird. Ob dies einer Problematisierung des persönlichen Verhältnisses zu Maecenas gleichkommt, wird in den folgenden Abschnitten gezeigt.
iii) Auftretende Probleme zwischen Horaz und Maecenas: Satire 2,6
Horazsat. 2,6Das zweite Satirenbuch ist dadurch charakterisiert, dass der Horaz-Sprecher im Dialog mit einem Gesprächspartner programmatische und moralphilosophische Argumente vorstellt, die bereits im ersten Buch behandelt wurden.1 In Satire 2,6 spricht allerdings Horaz allein, und zwar über sein Verhältnis zu Maecenas.2 Für die vorliegende Arbeit bemerkenswert ist die Selbstinszenierung im Rahmen dieses Verhältnisses und v.a. dessen Problematisierung.
Zwar hatte sich der Horaz-Sprecher schon in Satire 2,1 als amicus mächtiger Männer präsentiert (als solchen bezeichnet ihn sein Gesprächspartner Trebatius, und er selbst gibt seinen engen Umgang mit ihnen zu)3 und sich sicher gezeigt, dass er trotz der allgemeinen invidia des volgus eine privilegierte Stelle bei den Mächtigsten (v.a. offenbar Maecenas und Augustus) genieße und genießen werde (sat. 2,1,74ff.).4 Doch erst in Satire 2,6 bietet der Horaz-Sprecher dem Leser eine Vertiefung in das Thema an. Dort erweist sich die Beziehung zum mächtigen Maecenas allerdings als ein von positiven und negativen Seiten gekennzeichnetes Abhängigkeitsverhältnis, das Horaz zu einer Hinterfragung der Natur des Bündnisses führt. Denn er sieht seine innere Freiheit in der Stadt durch die verpflichtenden Dienste beim Gönner und Freund auf eine unangenehme Weise beschnitten – dass daraus weder die Rolle des Horaz als cliens noch eine (auch nur verhüllte) Kritik an Maecenas zu erschließen ist, muss dennoch betont werden.5
Werden die negotia des Horaz betrachtet, so sind diese nicht ausschließlich für die clientela typisch (etwa die Verpflichtungen als Zeuge vor Gericht und beim Notar bei finanziellen Transaktionen). Doch die Hektik des Stadtlebens wird eben doch mit der Machtposition des einflusseichen amicus in Verbindung gebracht, die weder Anonymität noch die Muße ermöglicht, wie sie in Hor. sat. 1,6 noch als Ideal ausgemalt wurde.6 Die Belastung durch Verpflichtungen in der Großstadt wird bei Martial und Juvenal zu einem Topos für das zeitraubende und nervenaufreibende Stadtleben, das mit dem Klientenleben verbunden ist. Der Horaz-Sprecher deutet die Problematik des Abhängigkeitsverhältnisses unter dem Stadt- und Landleben-Diskurs erstmals an.7
Nicht selten ist aus dieser Stadtschilderung ein indirekter Vorwurf gegen Maecenas herauszuhören, als wolle der Horaz-Sprecher ihm seine Unzufriedenheit vor Augen führen8. Da allerdings gerade Maecenas Horaz das Landgut ermöglicht, wie der Sprecher gerne betont, und vor allem diese literarische Inszenierung nicht ohne humorvolle Nuancen gelesen werden darf, die einen engen und vertraulichen Umgang zwischen Maecenas und Horaz implizieren, ist eine verhüllte Kritik kaum zu erwarten9 – man halte sich nur die Inszenierung des engen Umgangs mit Maecenas auch in den Epoden vor Augen (dazu s.u.).
Die Satire schließt mit der berühmten Stadt-Landmaus-Erzählung, in der die Vor- und Nachteile beider Lebensweisen als Fabel kontrastiert werden. Obwohl das Landleben als Favorit aus dem Vergleich hervorgeht, weist die Darstellung der positiven Aspekte des Stadtlebens darauf hin, dass es sich dabei mehr um die Inszenierung der inneren Zerrissenheit in der Sprecherstimme handelt als um die Andeutung eines Konflikts im Verhältnis zwischen Maecenas und Horaz.10 Wie Holzberg 2009 bemerkt, bringt die Mäusegeschichte allegorisch zum Ausdruck, „daß der Dichter sich nicht entscheiden kann, ob er lieber in der Stadt oder auf dem Land wohnt.“11
Die Satire beginnt mit einem 15 Verse langen Gebet an Merkur als persönlichen Schutzgott (custos mihi maximus, 15). Ihn bittet der Sprecher darum, das als munus bekommene Landgut für ihn zu erhalten. Denn dieses Landgut stelle für ihn die Erfüllung seiner vota dar (sat. 2,6,1‑5):Horazsat. 2,6,1 5
Hoc erat in votis: modus agri non ita magnus, | |
hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons | |
et paulum silvae super his foret. auctius atque | |
di melius fecere. bene est. nil amplius oro, | |
Maia nate, nisi ut propria haec mihi munera faxis. | 5 |
Offenbar bedankt sich Horaz indirekt bei Maecenas, der für solche munera verantwortlich ist.12 Doch der Sprecher begründet im Hauptteil des Gedichts seine Sehnsucht nach der Landruhe durch den Kontrast mit den anstrengenden opera und labores, die von ihm in der Stadt zu erledigen sind (20‑59): Schon ab der ersten Stunde des Tages inszeniert sich Horaz im Wirbel seiner Pflichten. So weckt ihn der matutinus pater Janus allegorisch und mahnt ihn zu seinen officia auf dem Forum als sponsor (23ff.), welche er gegen alle Widerstände erledigen muss. Ihn erwarten allerdings noch zahlreiche andere officia, die vor allem dadurch mit Maecenas in Verbindung gebracht werden, dass sie dem Horaz auf seinem Weg zum Esquilin und zu Maecenas, wie ein angerempelter Fußgänger süffisant erkennt, aufgetragen werden (sat. 2,6,20‑42):Horazsat. 2,6,20 42
Matutine pater, seu Iane libentius audis, | 20 |
unde homines operum primos vitaeque labores | |
instituunt – sic dis placitum –, tu carminis esto | |
principium. Romae sponsorem me rapis: ‘eia, | |
ne prior officio quisquam respondeat, urge.’ | |
sive aquilo radit terras seu bruma nivalem | 25 |
interiore diem gyro trahit, ire necesse est. | |
postmodo quod mi obsit clare certumque locuto | |
luctandum in turba et facienda iniuria tardis. | |
‘quid tibi vis, insane?’ et ‘quam rem agis?’ inprobus urget | |
iratis precibus, ‘tu pulses omne quod obstat, | 30 |
ad Maecenatem memori si mente recurras.’ | |
hoc iuvat et melli est, non mentiar. at simul atras |