Die kontrastive Hervorhebung der externen Äußerungen über das Wesen der Beziehung zwischen Horaz und Maecenas wird noch deutlicher ausgeführt: Der Horaz-Sprecher charakterisiert sich selbst so, dass er sich mit seinem bescheidenen Elternhaus zufrieden gibt, sogar stolz darauf ist, und das dient als Defensio gegen die neidischen Angriffe des volgus (sat. 1,6,92‑105):Horazsat. 1,6,92 105
sic me defendam. longe mea discrepat istis | |
et vox et ratio. nam si natura iuberet | |
a certis annis aevum remeare peractum, | |
atque alios legere, ad fastum quoscumque parentes | 95 |
optaret sibi quisque, meis contentus honestos | |
fascibus et sellis nollem mihi sumere, demens | |
iudicio volgi, sanus fortasse tuo, quod | |
nollem onus haud umquam solitus portare molestum. | |
nam mihi continuo maior quaerenda foret res | 100 |
atque salutandi plures, ducendus et unus | |
et comes alter, uti ne solus rusve peregre‹ve› | |
exirem, plures calones atque caballi | |
pascendi, ducenda petorrita. nunc mihi curto | |
ire licet mulo vel si libet usque Tarentum | 105 |
Selbst wenn das volgus ihn für schwachsinnig hielte (demens | iudicio volgi, 97f.), würde Maecenas ihn verstehen (sanus fortasse tuo [iudicio], 98). Damit wird die moralische und geistige Parität zwischen den beiden Figuren betont, was eine aufrichtige amicitia (also inter bonos) ermöglicht. Die Bescheidenheit des Horaz garantiert ihm zudem die Ruhe, nach der er sucht. Dabei konzentriert sich Horaz auf den Kontrast zwischen seiner bescheidenen Abstammung und dem sozial hohen Status einflussreicher Personen. Denn dass Horaz ein sorgenfreies Leben führen kann, verdankt er der Freundschaft zu Maecenas, der ihm dies ermöglicht.
Er distanziert sich damit von dem typischen onus molestum der Klientelverhältnisse: Mit der Profitgier (maior quaerenda … res, 100) geht die Verpflichtung einher, als cliens für mehrere Herren Dienste zu leisten, die hier mit der salutatio bezeichnet sind, oder als patronus tätig zu werden, was an dieser Stelle durch die anteambulationes (101f.) zum Ausdruck kommt: Die Freiheit, die in dem Verzicht auf Reichtum liegt, exemplifiziert Horaz an der Möglichkeit, schnell einmal eine Kurzreise zu unternehmen. Das ist ab einem bestimmten sozialen Status nicht mehr denkbar, denn es ist eine große Zahl an Begleitern notwendig, um nicht schäbig zu wirken (102ff.). Seine eigene Lebensführung entsprechen dem Glück der Bescheidenheit im Alltag, das kontrastiv zu dem, was dem prominenten Senator versagt ist, geschildert wird. Innerhalb dieser Szenen einer sorglosen vita urbana finden sich keinerlei Klientelpflichten, aber auch die cena mit Maecenas, die ihn als convictor ausweisen würde, wird hier ersetzt durch das frugale Mahl, das ihm sein Sklave daheim vorbereitet hat (sat. 1,6,110‑131):Horazsat. 1,6,110 131
hoc ego commodius quam tu, praeclare senator, | 110 |
milibus atque aliis vivo. quacumque libido est, | |
incedo solus, percontor quanti holus ac far, | |
fallacem circum vespertinumque pererro | |
saepe forum, adsisto divinis, inde domum me | |
ad porri et ciceris refero laganique catinum; | 115 |
cena ministratur pueris tribus et lapis albus | |
pocula cum cyatho duo sustinet, adstat echinus | |
vilis, cum patera guttus, Campana supellex. | |
deinde eo dormitum, non sollicitus, mihi quod cras | |
surgendum sit mane, obeundus Marsya, qui se | 120 |
voltum ferre negat Noviorum posse minoris. | |
ad quartam iaceo; post hanc vagor aut ego lecto | |
aut scripto quod me tacitum iuvet unguor olivo, | |
non quo fraudatis inmundus Natta lucernis. | |
ast ubi me fessum sol acrior ire lavatum | 125 |
admonuit, fugio campum lusumque trigonem. | |
pransus non avide, quantum interpellet inani | |
ventre diem durare, domesticus otior. haec est | |
vita solutorum misera ambitione gravique; | |
his me consolor victurum suavius ac si | 130 |
quaestor avus pater atque meus patruusque fuisset |
Dieses Idealleben eines freien Menschen, der im epikureischen Sinn durch bescheidene Bedürfnisbefriedigung die Ruhe und damit auch die Muße für intellektuelle Beschäftigung (122f.) findet, wurde zu einem Topos, auf den etwa Martial zurückgreifen kann.16
Horaz ist in dieser Satire bemüht, sein Verhältnis zu Maecenas frei von allen Vorstellungen zu halten, die üblicherweise mit der Beziehung zwischen einem mächtigen Mann und einem sozial niedriger Stehenden verknüpft sind: Die amicitia beruht auf moralischen Kriterien. Horaz hat durch sein Verhalten bewiesen, dass er nicht als ehrgeiziger Aufsteiger den Kontakt zu Maecenas sucht. Das unterscheidet ihn ebenfalls von den üblichen Träumen des volgus.17 Horaz bestreitet zwar nicht, ein convictor des Maecenas zu sein, aber er bestätigt es auch nicht: Sein idealer Tagesablauf wird als frei von klientelären Verpflichtungen geschildert.
ii) Falsche Freunde (und Klienten): Satire 1,9
Horazsat. 1,9In der berühmten Satire 1,9 wird eine Störung im Idealleben dargestellt, welches Horaz in Satire 1,6 beschrieben hatte. Der lästige quidam, der den Sprecher auf seinem Weg durch die Via Sacra aufhält und gerne zum Maecenas-Kreis gehören würde, illustriert, wie Gowers 2012 bemerkt, die anstrengende Routine eines jeden Klienten, der sich auf der Suche nach Patronen und einem Einkommen beinahe wie ein „scurrying parasite“ verhält.1 Für die vorliegende