Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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Diese Gegenstände sind nicht zufällig so wie sie sind, sie haben eine Washeit.

      Innerhalb solcher Seiender müssen zwei Schichten unterschieden werden: die Erscheinungseinheit und die konstitutive EinheitEinheit. Erstere ist das „Gesicht“, die äussere ErscheinungErscheinung, letztere das SoseinSosein des Materietyps, der dieses Gesicht trägt. Jede Schicht verlangt eine andere Erkenntnisart. Um das WissenWissen bezüglich der Erscheinungseinheit zu bereichern, muss beschreibend vorgegangen werden: um den Gegenstand herumgehen und alle ihn betreffenden BeobachtungenBeobachtungen sammeln. Die innere konstitutive Einheit dagegen kann nur durch komplizierte Experimente, wie die der Chemie, und durch die Verwendung von Instrumenten, etwa des Mikroskops, erreicht werden.2

      Befassen wir uns jedoch mit Gegenständen wie einem Dreieck, einer PersonPerson, dem WillenWillen, der LiebeLiebe usw., so stehen wir vor einem völlig neuen und anderen Typ von EinheitEinheit. Diese Gegenstände führen uns zu der Stufe der notwendigen Einheit. […] Mit ihr ist der Höhepunkt innerer Konsistenz, das polare Gegenstück zu einer bloss von aussen zusammengehaltenen Einheit erreicht. […] Sie ist nicht das SoseinSosein der ErscheinungErscheinung, die blosse äussere Erscheinungseinheit, sondern das konstitutive WesenWesen dieses Gegenstandes selbst. […] Sehen wir ein, dass die geistige Person kein räumlich ausgedehntes Sein besitzt oder dass sie allein Träger sittlicher WerteWerte sein kann, dann haben wir das konstitutive Sosein der Person selbst vor uns, das uns als notwendige Einheit unmittelbar anschaulich zugänglich ist.3

      Nur Gegenstände dieser Art von EinheitEinheit sind apriorischer ErkenntnisErkenntnis zugänglich. Nur bei den wesensnotwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische, bei denen man, wie Adolf ReinachReinachAdolf es nannte, ein „So-Sein-Müssen und dem WesenWesen nach Nicht-Anders-Sein-Können“4 vorfindet, ist es möglich, zu absolut gewissen Erkenntnissen zu gelangen. Dabei bezieht sich die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, auf die sich auch HusserlHusserlEdmund mit seinem WortWort des „Nicht-anders-sein-könnens“5 bezog, auf den Gegenstand selbst und sein Verhalten zu sich selbst oder zu anderem. Dieses Verhalten der Sache (des Sachverhalts) selbst ist es, das in gewissen Fällen so sein muss und nicht anders sein kann. Das Merkmal der IntelligibilitätIntelligibilität (Verstehbarkeit), das eng mit der inneren NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive des Sachverhalts verbunden ist, bezieht sich sodann auf das Verhältnis zwischen dem SachverhaltSachverhalt und der Erkenntnis von ihm. Doch ist dieses Merkmal nicht mehr alleine auf den Sachverhalt beschränkt, wie die NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, sondern dieses Merkmal besteht im VerstehenVerstehen: Man versteht nicht nur, dass etwas so ist, wie es ist, sondern man versteht auch, warum es so ist. Nur bei den notwendigen Sachverhalten kann von einer EinsichtEinsicht im Vollsinn des Wortes gesprochen werden. Mit einem Beispiel: Moralische WerteWerte – z.B. der Verzicht oder das VerzeihenVerzeihen – setzen eine PersonPerson voraus. Dieser Sachverhalt wird nicht von aussen her verstanden, wie im Falle eines Naturgesetzes, sondern der Sachverhalt wird „von innen her“6 verstanden. Auch das dritte und letzte Merkmal des apriorischen Erkennens, nämlich die absolute GewissheitGewissheit, ist verständlicherweise kein Merkmal des Sachverhalts selbst, sondern eines der Beziehung zwischen dem Sachverhalt und seiner Erkenntnis. Jedenfalls kann auf der Basis der Epistemologie von Hildebrands verstanden werden, warum Husserls Einklammerungsthese nicht zielführend war: Weil er den Blick auf das SoseinSosein mit Einklammerung der ExistenzExistenz bei allen Seienden versuchte, absolut gewisse Erkenntnisse aber nur bei jenen Sachverhalten erlangt werden können, die in notwendigen EinheitenEinheitenchaotische, zufällige, morphische gründen.7

      Von HildebrandHildebrandDietrich von, so viel kann im Anschluss an die Unterscheidungen attestiert werden, die hier ihren evidentesten Wesenszügen nach kurz umrissen wurden, hat einen originellen Beitrag zur philosophischen Erkenntnislehre geleistet. Sein ZielZiel, wie weiter oben bereits erwähnt, war die Herausarbeitung des wahren Wesens philosophischer ErkenntnisErkenntnis, ihrer existentiellen Lebendigkeit und des wahren Gegenstands der Philosophie. Dies gelang ihm in erster Linie mit der Herausarbeitung der Merkmale synthetischsynthetisch-apriorischen Erkennens, welche sind: NotwendigkeitNotwendigkeitsubjektive, IntelligibilitätIntelligibilität und absolute GewissheitGewissheit. Dann aber auch mit der expliziten Bezeichnung des Möglichkeitsgrundes der Erlangung solcher Erkenntnisse durch die Unterscheidung zwischen drei grundsätzlich verschiedenen Arten der EinheitEinheit, welche entweder zufällig oder morphisch oder wesensnotwendig sind. Das objektive Korrelat des philosophischen Erkennens ist dabei immer ein SachverhaltSachverhalt, der in einer wesensnotwendigen Einheit gründet.

      8 Stand der Forschung

      Was den ForschungsstandForschungsstand betrifft, so sind über das Werk von Hildebrands in punkto PhänomenologiePhänomenologie, ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, EthikEthik im Allgemeinen und WertethikWertethik im Speziellen, Sozialphilosophie oder Philosophie der LiebeLiebe zahlreiche Forschungsarbeiten vorhanden – um hier nur einige der behandelten Themen zu nennen –, währenddem die ReligionsphilosophieReligionsphilosophie zu den Themen zählt, über die noch keine umfassende Studien vorhanden sind. Auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass von Hildebrands Religionsphilosophie noch grösstenteils unveröffentlicht im Nachlass ruht,1 kann dennoch nicht in Abrede gestellt werden, dass trotz den Teilen, die nicht publiziert wurden, wesentliche Beiträge in den publizierten Werken enthalten sind, so dass genug einschlägige Quellen zur Verfügung stehen würden, um von Hildebrands Denken auch in dieser Hinsicht zu bedenken und zu entfalten. Da dies jedoch nur sporadisch geschehen ist, besteht bezüglich der Religionsphilosophie bei Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von offensichtlich eine ForschungslückeForschungslücke.

      Wohl finden sich gewisse Arbeiten und Beiträge, wie z.B. Jacques-Albert CuttatCuttatJacques-Albert’s „Technique“ of spiritualization and transformation in Christ (1960), worin ihm der Vergleich zwischen einer kausalen Technik wie dem indischen Yoga und einer interpersonalen, christlichen MethodeMethode der Annäherung an das bzw. den Absolute(n) als Folie dient, um die notwendigen Elemente der Umgestaltung herauszuarbeiten. Da er sich aufgrund des beschränkten Rahmens seines Artikels auf die formalen und materialen Voraussetzungen der similitudo Dei konzentrierte, konnten viele Themen zwangsläufig nicht hinreichend untersucht werden.

      Dem half Alice von HildebrandHildebrandDietrich vonAlice von (1923-) in ihrer Introduction to a Philosophy of ReligionReligion (1971) – zu der Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von im Übrigen ein kurzes Vorwort beisteuerte – insofern ab, als sie mit einer Analyse des Wesens der Religion aufzuzeigen vermochte, dass dieses WesenWesen eine IntelligibilitätIntelligibilität besitzt, die es philosophischer EinsichtEinsicht zugänglich macht. Wenngleich dieser Schrift nicht explizit zu entnehmen ist, inwieweit ihr Ehemann Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von bei der Erstellung beteiligt war, so wird sein Einfluss doch sozusagen zwischen den Zeilen ersichtlich. Wobei allemal sicher ist, dass Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von nicht das Forschungsobjekt dieser Studie war und das primäre Interesse nicht der ReligionsphilosophieReligionsphilosophie bei Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von, sondern der Analyse des Wesens der Religion an sich galt. Wie Alice von HildebrandHildebrandDietrich von dem Verfasser dieser Zeilen in einem persönlichen Briefwechsel zur Kenntnis brachte, hatte sie nie das GlückGlück, den religionsphilosophischen Vorlesungen ihres Ehemannes beizuwohnen. Auch habe er selbst nie ein einschlägiges Buch über das Thema der Religionsphilosophie geschrieben. Immerhin habe sie einige kurze Notizen von Personen erhalten, die seine Vorlesungen über die Philosophie der Religion gehört hätten. Was schliesslich den Einfluss betrifft, den Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von bei der Entstehung ihrer Introduction to a Philosophy of Religion ausübte, so sei das Herz dieser Schrift mit Sicherheit durch die achtzehn Vorlesungen geformt worden, die sie bei ihm gehört habe. Doch bestünden nichtsdestotrotz Unterschiede in der Darstellung. Zudem habe sie einige historische Quellen verwendet, die sie in den Mitschriften der Vorlesungen ihres Ehemannes über die Philosophie der Religion nicht gefunden habe.

      Bedeutende Beiträge zur ReligionsphilosophieReligionsphilosophie bei Dietrich von HildebrandHildebrandDietrich von lieferte Josef SeifertSeifertJosef mit seiner Besprechung der Bedeutung der WertantwortWertantwort für die ReligionReligion und die Religionsphilosophie im 5. Kapitel seines Artikels Dietrich von Hildebrands philosophische Entdeckung der ‚Wertantwort‘