Im Fremdsprachenunterricht – der Beitrag bezieht sich i.F. konkret auf den schulischen Französischunterricht –, dessen Zielvorgabe der Aufbau fremdsprachlicher mündlicher Handlungskompetenz ist, sollte deswegen eine gezielte und systematische Ausspracheschulung ein selbstverständlicher Bestandteil sein, nicht zuletzt weil eine unmittelbare, untrennbare Verbindung von Aussprache und Intonation mit den angestrebten funktionalen kommunikativen Kompetenzen (cf. KMK 2004, 8), speziell den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen‘ und ‚Hörverstehen‘, besteht.
Dennoch wird im Vergleich zu den sprachlichen Mitteln Wortschatz und Grammatik in einem auf häufig verwendeten Lehrwerken basierenden Französischunterricht auf die Ausspracheschulung ein geringeres Gewicht gelegt, denn Lehrwerke widmen dem expliziten Üben von Aussprache und der Kognitivierung von Ausspracheregeln oft nicht die Aufmerksamkeit, die aufgrund der Relevanz für die Kommunikation speziell im Anfangsunterricht notwendig wäre. In der Unterrichtspraxis ist das Ausmaß, das Aussprache und Intonation zugemessen wird, deshalb nicht selten vom Engagement und Gutdünken der Lehrkraft abhängig.
Zwischen der von Lehrkräften oftmals festgestellten nachlassenden kommunikativen Kompetenz der Lernenden und der Vernachlässigung einer fundierten Ausspracheschulung bestehen – so die nicht nur hier vertretene These – durchaus Zusammenhänge. Um die kommunikative Kompetenz der Schüler zu erhöhen und einen funktionierenden Informationsaustausch zwischen Deutschen und Franzosen zu gewährleisten, wird deshalb im didaktischen Diskurs immer häufiger dringlich die Rückbesinnung auf eine konsequente und methodisch durchdachte Einübung von Aussprache und Intonation verlangt.
Hier setzt der Beitrag an. Zunächst umreißt er mit einem Überblick über einige der seltenen didaktischen Publikationen speziell zu Aussprache und Intonation sowie über diesbezügliche Aussagen im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR), in Bildungsstandards und Lehrplänen den Stellenwert von Aussprache und Intonation in Forschung und maßgeblichen Richtlinien. Der Blick auf ausgewählte Lehrwerke zeigt dann, welche Veränderungen sich in Bezug auf die Ausspracheschulung in den letzten Jahrzehnten in der Unterrichtspraxis vollzogen haben, bevor dann zur Ausspracheschulung im Französischunterricht an deutschen weiterführenden Schulen zehn Grundsatzbemerkungen zur Diskussion gestellt werden, die die Wertigkeit der Aussprache für die kommunikative Kompetenz fokussieren.
2. Didaktische Publikationen zur Aussprache
Eine beschränkte Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen für den Bereich ‚Aussprache‘ konstatierte Hirschfeld schon vor über zehn Jahren (Hirschfeld 2003). In den vorhandenen Publikationen ist das Ausmaß, in dem Inhalte des Ausspracheunterrichts behandelt werden, unterschiedlich. Die ab 1973 in mehreren Auflagen gedruckte und lange Zeit maßgebliche Fachdidaktik Französisch von Werner Arnold enthält beispielsweise ausführliche Anmerkungen zur Aussprache (Arnold 1973, 40sqq.). Auch Abel 1982 befasst sich in einem Zeitschriftenbeitrag gründlich mit notwendigen Kenntnissen im Bereich der Aussprache und beschreibt Konsequenzen für den Unterricht, ohne dass seine Ausführungen die Resonanz im fachdidaktischen Diskurs fanden, die das Thema verdient. Neuere Fachdidaktiken für das Französische widmen der Aussprache nur kurze Kapitel oder Abschnitte, die außerdem häufig in die Aussagen zur Fertigkeit ‚Sprechen‘ eingebunden sind (z.B. Leupold 2002, 232sqq.; Fäcke 2010, 122sq.; Nieweler 2006, 119sq.).
Der Verzicht auf eine frühzeitige systematische Ausspracheschulung im Unterricht wird in zahlreichen didaktischen Ausführungen ebenfalls seit längerer Zeit zumindest für problematisch erachtet. Leupold gibt beispielsweise zu bedenken, dass sprachliches Handeln an einer schlechten Aussprache scheitern und gerade im französischsprachigen Raum eine mangelhafte Lautung zu negativen Reaktionen gegenüber dem Sprecher führen kann (cf. Leupold 2002, 235), und auch Kühn stellt fest, dass sich Franzosen über schlechte Aussprache beschweren und den Sprecher oft nach seiner Aussprachequalität beurteilen (Kühn 2010, 93).
Die Ursache des Bedeutungsverlusts der Ausspracheschulung wird im Leitziel der kommunikativen Kompetenz vermutet, denn diese stelle das Verstehen der Mitteilungsabsicht bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sprachlichen Korrektheit ins Zentrum (cf. Leupold 2002, 234sq.). Nicht nur Leupold mahnt folgerichtig gezielte Hörübungen, die Verknüpfung von Lautung mit nonverbalen Handlungselementen und Wissen über den Zusammenhang von Lautung und Schreibung als unerlässliche Bestandteile des Unterrichts an (Leupold 2002, 235sq.; cf. z.B. auch Dretzke 42006; Kühn 2010, 93). Außerdem schätzen neben Leupold und Kühn beispielsweise Grotjahn (1998) und Kurtz (2010) eine zielstrebige Hinführung der Lernenden zu einer verständlichen und korrekten Aussprache als unentbehrliches Vorgehen im Unterricht ein. Kurtz plädiert für „[e]ine sorgfältige, vom Hörverstehen (Hördiskriminierungsvermögen) bzw. vom Zuhören unter Aufmerksamkeitsschwerpunkten ausgehende Schulung der Aussprache“ (Kurtz 2010, 86), für die Imitation nicht ausreicht. Konkrete methodische Vorschläge für die Übungsphase machen Mordellet-Roggenbuck (2005) und Dretzke (42006).
Als insgesamt deutlich erkennbare Entwicklung ist festzuhalten, dass moderne Fachdidaktiken Aussagen zu Aussprache und Intonation in die zweifelsfrei notwendigen und berechtigten Anmerkungen zum Hörverstehen bzw. Sprechen eingliedern. Darüber hinausgehende aktuelle, speziell auf Aussprache und Intonation des Französischen bezogene didaktische Publikationen oder Monographien fehlen indes weitgehend, und auch Fachzeitschriften wie Der fremdsprachliche Unterricht Französisch, Praxis Fremdsprachenunterricht oder Französisch heute beschäftigen sich in jüngster Zeit weder in Themenheften mit dem Bereich ‚Aussprache’ noch enthalten sie diesbezüglich Einzelbeiträge, während beispielsweise zum Wortschatz zahlreiche Themenhefte (z.B. Der fremdsprachliche Unterricht Französisch 68/2004 u.ö.) und andere Publikationen (z.B. De Florio-Hansen 2006; Segermann 2011) existieren.
3. Vorgaben des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens, der Bildungsstandards und von Lehrplänen
Der Französischunterricht wird in Bezug auf Zielrichtung, Inhalte und Progression wesentlich von europa- bzw. deutschlandweit gültigen bildungspolitischen Richtlinien sowie in besonderem Maße von länderspezifischen Lehrplänen geregelt, in denen – wie oben gesagt – zu Recht ein direkter Zusammenhang zwischen Aussprache und den kommunikativen Fertigkeiten ‚Sprechen’ bzw. ‚Hörverstehen‘ hergestellt wird. Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen ist die phonologische Kompetenz als Teilbereich der linguistischen Kompetenz verortet. Erwartet werden Kenntnisse und Fertigkeiten der Wahrnehmung und der Produktion in Bezug auf Phoneme, Allophone, Erkennen der distinktiven Merkmale von Phonemen, Prosodie, Intonation, phonetische Reduktion und Elision (GeR: Europarat 2001, 117).
Die Äußerungen in den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sind weniger detailliert. Es heißt dort nur:
Die Schülerinnen und Schüler können verschiedenartige Aussprachevarianten der Zielsprache verstehen, beherrschen die Aussprache in der Weise, dass diese i.d.R. weder auf der Wort- noch auf der Satzebene zu Missverständnissen führt, können die Zeichen der Lautschrift sprachlich umsetzen (KMK 2004, 15).1
Die Aussagen der Lehrpläne der einzelnen Bundesländer zur Aussprache des Französischen fußen auf diesen Angaben. Über die Art der Aussprache, die gelehrt werden soll, gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie aus Jansens Zusammenfassung der „Curriculare[n] Vorgaben und Positionen der Sprachlehrforschung“ für die Artikulation in Bezug auf den Französischunterricht an Gymnasien hervorgeht (cf. Jansen 2010). Gefordert werden beispielsweise eine authentische sprachliche Norm in der Aussprache, der sich die Schüler annähern sollen (Baden-Württemberg, Saarland), eine ‚richtige‘ Aussprache (Baden-Württemberg) die Norm des français standard (Bayern, Rheinland-Pfalz), eine ‚korrekte Aussprache‘ (Bremen, Hamburg, Hessen u.a.) oder eine ‚normorientierte‘ (Sachsen-Anhalt) bzw. ‚normgerechte‘ (Mecklenburg-Vorpommern) Aussprache. Nordrhein-Westfalen bleibt mit ‚übliche‘ vage, genau wie z.B. Bremen und Hamburg, die eine ‚verständliche‘ Aussprache als Richtlinie angeben. Daneben finden sich Anforderungen wie eine ‚klare, natürliche‘ Aussprache (Saarland), die Aussprache eines locuteur natif (Rheinland-Pfalz)