Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Forum Modernes Theater
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301592
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ist in dieser Inszenierung bemerkenswert. Der Umgang mit dem unterschiedlichen Geschlecht und der verschiedenen Hautfarbe spielt manchmal eine Rolle und dann wiederum nicht. Das in heutigen Tagen auf deutschen Bühnen brisante Thema „Schwarz – Weiß“ wird nicht nur über die Hautfarbe der beiden Tänzer_in­nen angedeutet, sondern spiegelt sich in deren Anzugsfarbe wider. Sie sind mal beide weiß, mal beide schwarz, mal der eine schwarz, mal der andere weiß. Auch Machtverhältnisse geschlechtlicher Art treten an einer Stelle in den Vordergrund, dann wiederum verschwimmen sie. Spannungen und Konflikte zwischen den Geschlechtern und ethnischer Zugehörigkeit werden so nicht überspielt, bekommen jedoch immer nur einen bestimmten Raum und werden überwunden oder finden sich in einem Dialog zusammen. Mistral macht deutlich, dass hier nicht ein schwarzer Mann aus Afrika und eine weiße Frau aus Europa aufeinandertreffen, sondern zwei Tänzer_in­nen mit diversen, vielschichtigen kulturellen Hintergründen und Tanzpraktiken, die selbstverständlich häufig mit Geschlecht und Herkunft einher gehen, aber nicht immer. Ihre tänzerischen Statements sind mal stabil, mal wandelbar, mal gegensätzlich, mal divers und mal vereint.

      Linke und Kôkô verknüpfen auf diese Weise unterschiedliche Performancekulturen, betonen aber auch, dass sie jeweils ein Geflecht unterschiedlicher Traditionen verkörpern. Obwohl die Ausgangssituation auf den ersten Blick dichotom aufgeladen ist (Mann und Frau, Schwarz und Weiß), wird diese Binarität zugunsten der Darstellung einer Vielfalt aus kulturellen Traditionen, Verortungen und Kodierungen immer wieder aufgehoben. Kulturelle Differenzen werden dabei nicht aufgelöst, Unterschiede bleiben bestehen, aber bewegen sich auf diversen Ebenen und werden neu verhandelt, überdacht, gemeinsam präsentiert. Trotz der Diversität an Differenzen, die sich ebenso innerhalb des jeweils eigenen Tanzrepertoires ergeben, da beide aus verschiedenen zeitgenössischen und traditionellen Formen und Bedeutungsebenen schöpfen, scheint kein Körper und keine Technik die andere durchgängig zu dominieren. Linke und Kôkô präsentieren ihre Bewegungsformen mal selbstbewusst, mal vorsichtig, mal übernimmt der eine die Form des anderen, mal stehen sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit gegenüber.

      Beide Tänzer_in­nen verfolgen eine transkulturelle Dramaturgie, die sich darin äußert, dass sie ihre Vielschichtigkeit im Verlauf des Stückes herausarbeiten und miteinander in Dialog bringen und so einen neuen ästhetischen Raum schaffen. Linke und Kôkô spielen zwar mit den üblichen (post)kolonialen Dichotomien, heben diese jedoch immer wieder auf und verdeutlichen schon allein anhand ihres jeweiligen körperlichen Tanzgedächtnisses, dass diese nicht einer bestimmten Tradition zuzuordnen sind, sondern bereits verschiedene Kulturen verflechten. Entscheidend für die Besonderheit ihrer ästhetischen Verfahrensweise scheint jedoch das „Sowohl als auch“ zu sein, die Betonung des Eigenen, des Gemeinsamen, der Verschiedenheit zu sich selbst und zu dem anderen. Der ästhetische Raum, den Kôkô und Linke kreieren, zeugt von Wandel und Stetigkeit, Authentizität und Klischee, wiederkehrenden Mustern und Neuerungen, Vereinzelung und Gemeinsamkeit, Konflikt und Dialog. Mistral entwickelt Hegels Andeutung am Ende dessen Vorlesungen über die Ästhetik weiter und entfaltet ein Potential im Ästhetischen, welches über die „Auflösung“ und „negative Form“, die Hegel als Merkmal der Wende des Ästhetischen im Drama seiner Zeit festsetzt, hinausgeht. Linke und Kôkô unterstreichen, dass eine Vereinigung ihrer Tanztraditionen nicht über Auflösung ihrer Traditionen, sondern über die Betonung der Verschiedenheit und Pluralität möglich ist. Sie schaffen eine Sphäre der Unterschiedlichkeit, Konflikte und des Auseinandersetzens, aber auch des Dialogs und Zusammenkommens in diversen Momenten der Aufführung.

      Isivuno Sama Phupha in Kapstadt und Animal Farm in Johannesburg

      Das Magnet Theatre in Kapstadt spielt in einigen seiner Produktionen ebenfalls Möglichkeiten durch, wie verschiedene kulturelle Hintergründe in Performances miteinander verhandelt werden können. Schon Nelson Mandela forderte einen demokratischen Umgang mit kultureller Vielfalt und die Verfassung der Rainbow-Nation garantiert diese grundsätzlich, aber – mit Blick auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umstände Südafrikas – vornehmlich noch auf abstrakte Art und Weise. Die künstlerischen Produktionen gehen auf die Suche, welche performativen und ästhetischen Formen genutzt werden können, um die kulturelle Gleichberechtigung auch auf ästhetischer Ebene zu erzielen. So arbeitet der südafrikanische Künstler Mandla Mbothwe mit einem vielfältigen Kulturmaterial und kombiniert in seinen Stücken collagenhaft unterschiedliche kulturelle Performancetraditionen, Rituale und spezifische Alltagskontexte diverser sozialer und gesellschaftlicher Gruppierungen. So auch in Isivuno Sama Phupha1 (Ernte der Träume), einer Kooperation mit Jugendlichen aus dem Township Khayelitsha:

      Mbothwe’s concern for the dislocation of township youth and the unsettling nature of migratory experience has led to the creation of a very distinctive aesthetic […]. He uses elements of ritual such as recognisable symbols, the elements of earth, water and fire, ritual anointment and cleansing of the body, and heightened language, to create both a sense of awe and communitas. He draws on inherited African values through the concept of Ubuntu, through the use of his mother tongue, Xhosa. Equally he is influenced by and uses contemporary performance ideas melding physical theatre with visual representations, and working collaboratively in all aspects of production.2

      Die vielseitigen Verweise lassen sich dabei nicht auf einen bestimmten kulturellen Kontext reduzieren, obwohl Mbothwe spezifische Rituale und Erfahrungen sozialer und gesellschaftlicher Gruppen wie „Dislocation“, Reinigungsrituale und den Gebrauch einer bestimmten „mother tongue“ zitiert. Vielmehr verdeutlichen die unterschiedlichen Formen der Darstellung, Sprachen und Referenzrahmen, welch Vielfalt die gegenwärtige südafrikanische Gesellschaft ausmacht, die eben nicht in einem Stereotyp oder Klischee und auch nicht in einer biographischen Erfahrung eines_r Darsteller_in aufgeht und längst nicht alle kulturellen Verweise von den Zuschauenden bestimmten Gruppen zugeordnet und verstanden bzw. entschlüsselt werden können.

      Auch die südafrikanische Produktion Animal Farm3 verknüpft in der Regie von Neil Copens unterschiedliche performative Traditionen auf besondere Art und Weise. Der Plot von George Orwells bekannter Geschichte bildet zwar eine Grundlage, doch zielt die inhaltliche Kritik nicht auf das stalinistische Russland, sondern auf das gegenwärtige Südafrika, in der zwar laut Verfassung alle Menschen egal welcher Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung gleich sind, aber eben manche – wie bei Orwell – „gleicher“ sind als die anderen. Anstatt Gleichheit innerhalb der Vielfalt zu fördern, setzt sich in der gegenwärtigen Gesellschaft Südafrikas eher die rassistisch motivierte Praxis durch: gleich und gleich gesellt sich gern. Wer aus einem anderen afrikanischen Land kommt, hat kein Recht auf Land und Eigentum, wer nicht weiß ist, dem bleiben viele Wirtschaftsetagen verschlossen, und wer keine dunkle Hautfarbe hat, für den ist eine politische Karriere kaum noch denkbar.

      Die performative Struktur von Animal Farm hält jedoch dagegen. Sie orientiert sich nicht an üblichen Dramaturgien solcher Adaptionen, sondern wenn, dann eher an afrikanischen Ritualen und setzt diese collagenhaft zusammen, so resümiert Wolfgang Schneider:

      Sie singen und tanzen, sie schreien und gestikulieren, sie imaginieren und verfremden […]. George Orwells „Farm der Tiere“ diente als Vorlage, die afrikanische Geschichte war die Folie für ein Theatererlebnis der besonderen Art – irgendwo zwischen Musical und Politthriller, Tragikomödie und Lecture Performance.4

      Allein diese Formenvielfalt verweigert sich dem Adjektiv „interkulturell“, nur zwischen verschiedenen Performancetraditionen zu agieren, sondern zeugt eher von einer transkulturellen Ausrichtung, die jedoch abschließend noch spezifiziert werden muss.

      Transkulturell im Sinne einer Ästhetik der Entähnlichung

      Die Analyse der drei vorgestellten Produktionen fordert ein bestimmtes Verständnis von Transkulturalität ein. Sicherlich erschaffen sie im Zusammenspiel vielfältiger kultureller Traditionen allesamt etwas Neues, doch deuten sie nachdrücklich darauf hin, dass sich das gemeinsame Neue in einer Verschiedenheit konstituiert. Die unterschiedlichen Formen der Darstellung, Sprachen und Referenzrahmen zollen der Absicht der Künstler_in­nen Tribut, die Vielfalt darzustellen und diese eben nicht in einer Gleichheit, einer singulären Wirkung oder einem einzigen theatralen Code aufzuheben oder zu verwischen.