Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Forum Modernes Theater
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301592
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Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben. In seinem Werk Kritik der schwarzen Vernunft (2014) stellt er dieser Praxis das Prinzip der „Entähnlichung“ gegenüber.1 Im Gegensatz zur Assimilation, die Gleichheit einfordert, kann Entähnlichung verstanden werden als „Sorge um das Offene“ vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass Verschiedenheit das Gemeinschaftsstiftende unserer Zeit ist:

      Die Frage der universellen Gemeinschaft stellt sich daher per definitionem in Begriffen des Im-Offenen-Wohnens, der Sorge um das Offene – was etwas ganz anderes ist als ein Vorgehen, das in erster Linie darauf zielt, sich abzuschließen und eingeschlossen in dem zu bleiben, was gewissermaßen mit uns verwandt, was uns ähnlich ist. Diese Form der Entähnlichung ist das genaue Gegenteil der Differenz.2

      Mit dem Begriff der Entähnlichung verabschiedet sich Mbembe noch entschiedener von kolonialen Zeichensystemen westlich-abendländischer Couleur als Derridas Différance und entschwindet gar poststrukturalistischen Denkmodellen, denen sich noch ein großer Teil der postkolonialen Theorie verpflichtet fühlt. Zunächst löst sich die Vorstellung seiner „universellen Gemeinschaft“ in poststrukturalistischer Tradition von tradierten Dichotomien wie Sprache-Schrift, Signifkant-Signifkat, Schwarz-Weiß und deren gemeinschaftsstiftenden Differenzsystemen: „Im-Offenen-Wohnen“ deutet auf ein Zusammensein über die Vorstellung abendländischer Logik hinaus, denn es versucht Traditionen und Vorstellungen anderer Kulturen auch jenseits des Textbegriffes mit einzubeziehen, ohne diese in einem einzigen System aufzuheben, wie es beispielsweise Claude Lévi-Strauss forderte, worauf Christina von Braun bereits in den 1980er Jahren hindeutet.3 Darüberhinaus scheint Mbembes Verständnis von Entähnlichung der Unmöglichkeit im Denken der Différance einen möglichen Raum zu geben, jenseits der Dekonstruktion. Die „Sorge um das Offene“, welche die treibende Kraft der Entähnlichung darstellt, kann im Ästhetischen nicht nur besonders gut betrieben werden. Im Sinne Fischer-Lichtes jüngsten Überlegungen zu „Interweaving Performance Cultures“ vermag Ästhetik zudem einen utopischen, dennoch erfahrbaren Raum zu erschaffen, in welchem Vielfalt kreiert wird, ohne in einem semiotischen Code aufgehoben zu werden noch im poststrukturalistischen Sinne dekonstruiert zu werden.4

      Die drei vorgestellten Produktionen betreiben hinsichtlich ihrer ästhetischen Praxis eine Sorge um das Offene und betonen in dieser Heterogenität, dass eine Aufführung, die nach einer spezifischen ästhetischen Tradition oder Form gestrickt ist, in welcher die Zuschauenden ein Gemeinschaftsgefühl im Gleiches-Erleben (oder Ähnliches-Erleben) erfahren, im internationalen Kontext nicht mehr zeitgemäß erscheint. Entähnlichung, als ein Prinzip wie Mbembe es definiert, ist so ein vielversprechendes Motto für richtungweisende ästhetische Verfahren in Zeiten zunehmender kultureller Vielfalt. Denn es geht über die Gepflogenheiten der Transkulturalität, ein eher westliches Ästhetikverständnis zu fördern, in welchem Gleichheit erklärtes Ziel des Gemeinschaftsstiftenden ist, hinaus, indem es die Verschiedenheiten jenseits interkultureller Dichotomien auch im ästhetischen Erfahren betont.

      Die mannigfaltigen Formen und Traditionen der drei vorgestellten Theaterproduktionen „entähneln“ sich in ihrer Verschiedenheit. Die Vieldeutigkeit führt jedoch nicht zu einem Nebeneinander, sondern einem Miteinander-Agieren, Aushandeln, aber auch Differenzen-Zeigen und -Leben. Sie fordern so ein transkulturelles Konzept, das Ästhetik der Entähnlichung genannt werden kann, welches das Gemeinschaftsstiftende, wenn, dann nur in der Vielfalt und Verschiedenheit der dargestellten Formen findet und nicht suggeriert, dass sich Zuschauende und Darstellende in gleichsam erfahrenen, sondern in ganz unterschiedlich wahrgenommenen Wirkungsästhetiken zusammenfinden. Eine solche Konzeption verweigert sich ebenso, Theater unter ein spezifisches Wirkungsziel – wie es Nicholson hinsichtlich des Applied Theatre kritisiert – oder die „Idee“ einer einzigen homogenen Kultur zu stellen, sondern richtet das Augenmerk auf unterschiedliche ästhetische und damit auch gesellschaftliche Haltungen. Dieses neue Band hat schon Hegel am Ende seiner Vorlesungen über die Ästhetik angefangen zu knüpfen, auch wenn er sich dieses transkulturellen Potentials höchstwahrscheinlich nicht bewusst war.

      Travelling Concepts, Travelling Theatre?

      Transcultural Translations of Performance in Wunderbaum’s Looking for Paul

      Teresa Kovacs (University of Michigan) & Katharina Pewny (Ghent University)

      Looking for Paul is a production by the Dutch theatre collective Wunderbaum. Premiering in 2010, it attempts a collective approach to the conflictual work of Los Angeles-based visual artist Paul McCarthy. Looking for Paul reaches out to the West: it stages a journey of the theatre collective from Rotterdam to Los Angeles. Simultaneously, it focuses on travel from the opposite direction: Paul McCarthy’s sculpture Santa Claus travels from his working space in L.A. to Rotterdam. Travelling processes from Europe to the U.S. and vice versa inform the performance on the textual level, through the use of different media, and in the acting.

      This article thus starts from the hypothesis that travelling in the sense of “transfer” is the key concept of Looking for Paul. This concept allows the Wunderbaum collective to discuss how to find one’s “own” position in comparison to theatre and performance tradition, to explore the specifics of Netherland’s, Europe’s and U.S.’s theatre and performance tradition, and to reflect on cultural transfer between Europe and the United States. At first glance it seems as Wunderbaum is staging the search for an artistic position in relation to the work of McCarthy. However, a closer look reveals that McCarthy functions as a variable. It is not a work about one specific artist, but about U.S.- and European theatre-, art- and performance tradition and their mutual perception. Looking for Paul questions the expectations of artists and art in both cultures by referring to different works from performances and drama-based theatre, as well to films, cartoons, and music. In the performance they allude to William Shakespeare, Tennessee Williams, Virginia Woolf, David Lynch, Lady Gaga, and Andy Warhol, as well as to Frank Castorf, Pina Bausch, Johan Simons, and Lars von Trier, before ultimately returning to Walt Disney and Hollywood. “Travelling” is further connected to economic transfer and to questions of cultural funding. Wunderbaum is interested in the debate surrounding the shortage of government funding of the arts, following the example of the U.S., which was implemented in the Netherlands in 2010.

      This article will follow the different forms of travelling that are implemented in Looking for Paul. We will first focus on how McCarthy’s performances and sculptural art travels into and through the performance. Secondly, we will discuss how the concept of travelling gives a formative principle to the performance. In so doing, we not only attempt to describe the transcultural translations of performance in Wunderbaum’s Looking for Paul, but also propose adjusting Mieke Bal’s travelling concepts to think about transcultural theatre.1

      What is the starting point of the different travel processes in this performance? Wunderbaum places Looking for Paul within the controversy around the public exhibition of Paul McCarthy’s sculpture Santa Claus in the Dutch city of Rotterdam. McCarthy’s so-called “butt plug gnome” was produced between 2001 and 2005 on behalf of the city of Rotterdam. In 2008, it was moved to its permanent “home” on Eendrachtsplein after repeated protests concerning its former locations. Eendrachtsplein is located in the center of Rotterdam, between the old town and the downtown areas and on the border of the city’s museum quarter. What is of interest for this article is that McCarthy’s work was—because of the protests and problems with finding a place where the sculpture could be presented to the public following the purchase of the sculpture by the City of Rotterdam in 2002—received as kind of a “travelling” sculpture. Different newspapers, art magazines, and websites highlighted the fact that no one really wanted this sculpture. Hence, its fate was to “wander” from place to place in Rotterdam before ultimately finding a permanent site.2 Wunderbaum both reenacts McCarthy’s works while simultaneously remediating the travelling of McCarthy’s sculpture and, in a broader reading, the travelling of art and culture.

      This article presents a new theoretical and methodological approach in the field of transcultural theatre by discussing it through the lens of “travelling”. We bring Mieke Bal’s understanding of travelling concepts into conversation with re-enactment, a characteristic method of postdramatic theatre forms. Travelling