In summa: Die Historie Foucaults kann als der radikalste Versuch zeitgenössischen Geschichtsdenkens verstanden werden, die vermeintliche Objektivität der historischen Gegenstände und ihrer theoretischen Fassungen zu brechen.2
Inzwischen sind Brielers Untersuchung weitere Arbeiten gefolgt, die das Werk Foucaults aus einer breiteren geschichtswissenschaftlichen Perspektive beleuchten.3
Von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist die Frage, inwieweit Foucaults Ausführungen zur Geschichte an der tiefen Verunsicherung der Geschichtswissenschaft angesichts der postmodernen Einsicht in die sprachliche Verfasstheit der Wirklichkeit teilhaben, inwieweit also eine positivistisch vorausgesetzte historische Realität in Foucaults Diskursbegriff aufgeht. Diesbezüglich findet eine frühe Verurteilung durch die Geschichtswissenschaft statt, indem Foucaults Konzept der Diskursanalyse hier ausdrücklich als Signal des linguistic turn und als Ansatz verstanden wird, den außersprachlichen Kontext unberücksichtigt zu lassen – mithin die historische Referenzialität einmal mehr aufzugeben.4
Als vermeintlich exponierter Vertreter des (Post-)Strukturalismus wird Foucault zum einen (insbesondere von Vertretern eines um politische Intervention bemühten Marxismus) die Flucht aus der Realität in einen apolitischen Szientismus unterstellt. Zum anderen – und dies ist das aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive entscheidendere Argument – wird ihm die grundsätzliche Infragestellung historischer Kontinuität zugeschrieben sowie die Absage an die Möglichkeit des Einzelnen zur historischen Veränderung und damit das »Ende des Subjekts«.5 Offenbar zeigt sich innerhalb dieser Diskussion eine ähnliche Undifferenziertheit, wie sie bereits die oben ausgeführte Vereinnahmung der Thesen Hayden Whites durch poststrukturalistische Positionen (und der Kritik daran) sowie die fehlende Trennschärfe zwischen der Narrativitätsdebatte und dem vermeintlich postmodernen Abschied von den historischen Fakten kennzeichnet. Zum Teil verführt wohl der Foucault’sche Diskursbegriff dazu, ihn analog zu dem von Barthes profilierten und damit ganz im Sinne des Poststrukturalismus zu verstehen. Tatsächlich aber ist Philipp Sarasin zuzustimmen, wenn er mit Blick auf das Foucault’sche Gesamtwerk behauptet: »Wir werden sehen: Diskursanalyse nach Foucault hat kaum etwas mit dem linguistic turn zu tun […].«6 Wie Barthes entwickelt Foucault den Diskursbegriff ausgehend von der Unterscheidung der Ebene des Geschehens (histoire) und der Ebene seiner sprachlichen Darstellung (discours), löst sich in der Folge jedoch von dem streng linguistischen Entwurf und hält beide, wie Hans-Jürgen Goertz im Blick auf die sich wandelnden Positionen Foucaults unterstreicht, in »einer Spannung, die neue Perspektiven für die historische Arbeit zu eröffnen vermag«.7 Diese Spannung wird insbesondere im Übergang von Die Ordnung der Dinge (1966) zu Die Archäologie des Wissens (1969) nachvollziehbar, jenen Schriften, die im Kontext geschichtswissenschaftlicher Auseinandersetzungen am stärksten rezipiert worden sind.8 Foucaults Einordnung als Poststrukturalist verdankt sich unübersehbar dem früheren der beiden Werke, in dem Foucault eine Archäologie der Humanwissenschaften (so der Untertitel der Studie) entfaltet, welcher er seinen Begriff der Episteme zugrunde legt, jenes Ordnungschema, das »im Raum der Gelehrsamkeit« die Bedingungen konfiguriert, »die den verschiedenen Formen der empirischen Erkenntnis Raum gegeben haben.«9 Als Episteme der Renaissance begreift Foucault die Ähnlichkeit, welche die Signatur und das von ihr Bezeichnete verbindet – beide sind hier noch »von genau gleicher Natur«.10 Das Prinzip der Ähnlichkeit fungiert damit als das erkenntnisstiftende Zwischenglied, das Zeichen und Bezeichnetes miteinander verknüpft: »Den Sinn zu suchen, heißt an den Tag zu bringen, was sich ähnelt.«11 Das heißt auch, dass die Sprache als epistemologisches Instrument hier zum einen nicht in Frage gestellt wird, und zum anderen Hermeneutik (als die Suche nach dem bedeuteten Sinn) und Semiologie (als Auseinandersetzung mit den deutenden Zeichen) ineinander übergehen.12
Im Übergang zum klassischen Zeitalter, im auslaufenden 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, beginnen Signifikat und Signifikant sich, mit Foucault, voneinander zu lösen. Um eine Verbindung zwischen beiden herzustellen, dominiert nun die Episteme der Repräsentation und später, im modernen Zeitalter, die des Menschen und der (subjektiven) Bedeutung, die er den Dingen verleiht. Von nun an, so Foucault, wird
man sich fragen, wie ein Zeichen mit dem verbunden sein kann, was es bedeutet. Auf diese Frage wird das klassische Zeitalter durch die Analyse der Repräsentation antworten, und das moderne Denken wird mit der Analyse des Sinnes und der Bedeutung antworten. Aber genau dadurch wird die Sprache nichts anderes mehr sein als ein besonderer Fall der Repräsentation – für die klassische Epoche – oder der Bedeutung – für uns. Die tiefe Zusammengehörigkeit der Sprache und der Welt wird dadurch aufgelöst.13
Das im klassischen Zeitalter etablierte Ordnungssystem der Repräsentation stellt dabei ein selbstregelndes Zeichensystem zur Verfügung, welches das Bezeichnete im repräsentierenden Bezeichnenden unmittelbar aufgehen lässt und die Erkenntnisfunktion der Sprache weiterhin aufrecht hält. Foucault verweist in seiner Argumentation auf das in der Logik von Port-Royal angegebene Beispiel der Landkarte, die dem von ihr bezeichneten Raum nicht ähnelt, sondern allein über die abstrakte Idee der Repräsentation funktioniert:
Tatsächlich hat das Bezeichnende als alleinigen Inhalt, als alleinige Funktion und als alleinige Bestimmung nur das, was es repräsentiert: es ist völlig danach geordnet und transparent; aber dieser Inhalt wird nur in einer Repräsentation angezeigt, die sich als solche gibt, und das Bezeichnete liegt ohne Rückstände oder Undurchsichtigkeit im Innern der Repräsentation des Zeichens.14
Dieser Glaube an eine Naturgeschichte, in der die Erkenntnis der Wesen aus der Möglichkeit ihrer Namensgebung resultiert und das Prinzip der Repräsentation den Dingen eine Realität gibt, erfährt im modernen Zeitalter, im Umbruch zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert, eine radikale Erschütterung. Diese wird, folgt man Peter Sloterdijk, ausgelöst durch die Einsicht in die »den Dingen selbst inhärenten Grenzen, […] die Autonomie der sachlogischen Ordnungen und ihre Irreduzibilität auf die Weise ihrer Vorstellung«.15 Repräsentation und Realität fallen nun mit Foucault auseinander, veranschaulicht an den Bereichen der Arbeit, des Lebens und der Sprache. Jedes Sprechen ist von nun an durch den historischen und sozialen Ort determiniert, in dem es stattfindet – der Diskurs als die (zunächst noch sprachlich gefasste) Erscheinungsform der Episteme rückt in den Vordergrund der Foucault’schen Argumentation und meint nun eine Denk- und Aussagepraxis, die jene Dinge, von denen sie spricht, erst produziert.
Hier erst setzen jene sprach- und erkenntnistheoretischen Reflexionen Foucaults an, die seine Wahrnehmung als Poststrukturalist primär verantworten. Exemplarisch zeigt das die Rezeption durch Hayden White, der einen Schulterschluss mit Foucault bereits früh übt. In einem 1973 veröffentlichten Beitrag setzt er sich mit Die Ordnung der Dinge und Die Archäologie des Wissens auseinander und deutet Foucaults Aussagen dabei als erkenntnistheoretische Prämissen einer Geschichtswissenschaft, die sich der sprachlichen Konstitution ihres Sujets stellen müsse. Denn Foucault schreibe, so White,
»die Chronik des Verschwindens und Wiederauftauchens der Sprache – ihr Verschwinden in der Repräsentation und ihr Wiederauftauchen anstelle der Repräsentation, als diese ihr Ende gefunden hat in der Erkenntnis des abendländischen Bewußtseins seiner eigenen Unfähigkeit, Humanwissenschaften hervorzubringen, die auch nur annähernd die Überzeugungskraft ihrer Gegenstücke in den Naturwissenschaften besitzen.«16
Foucault gilt White als »der Philosoph des französischen Strukturalismus«17, er versäumt zwar nicht auf Foucaults eigene Ablehnung dieser Kategorisierung hinzuweisen, schreibt der Ordnung der Dinge jedoch jene Prämissen ein, die seine These von einer durch den Historiker »erfundenen« Geschichte stützen:
Der eigentliche Grund, warum man über manche Dinge schweigen muß, ist der, daß wir bei jeder Bemühung, die Ordnung der Dinge in der Sprache zu erfassen, einen bestimmten Aspekt dieser Ordnung ausblenden. Da die Sprache ein »Ding« wie jedes andere ist, ist sie ihrem Wesen nach intransparent. Der Sprache die Aufgabe zuzuschreiben, die Welt der Dinge zu »repräsentieren«, als könne sie diese Aufgabe angemessen erfüllen, ist daher ein tiefgreifender