Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium. Anna Cornelius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Cornelius
Издательство: Bookwire
Серия: NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000027
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deutlich, dass der Erzähler durch bestimmte Kommentare die Vorstellung der Leser über bestimmte Figuren gezielt prägen kann.23 Im Gegensatz zum Bereich des Erzählers, der sich in irgendeiner Art und Weise über die Figuren äußert, geht es im Bereich der Charaktere nach Gunn und Fewell letztlich um Folgendes: „Alternatively, the narrator will step aside and allow the characters to speak for themselves. For, of course, what characters say and how they say it may tell us much about the kind of people they are.“24 Demnach zählen zum Bereich der Charaktere ihre Rede, ihr Kontext und ihr Kontrast zu anderen Figuren.25 Auch ist die Verlässlichkeit ihrer Aussagen und Urteile über andere Figuren zu prüfen.26 Als letztes schreiben Gunn und Fewell dem Bereich der Charaktere die Fragen nach einer möglichen Widersprüchlichkeit der Figuren, ihres Standpunktes (im Vergleich zum Standpunkt des Erzählers) und möglicher Ironie zu.27

      Zuletzt greifen Gunn und Fewell Forsters Unterscheidung in flache und runde Charaktere auf, wobei sie jedoch deutlich machen, dass ein und dieselbe Figur in unterschiedlichen Szenen einmal flach und einmal rund dargestellt werden kann.28

      Marguerat und Bourqin29 widmen sich u.a. auch ausführlich der Analyse von Charakteren. Dabei verwenden sie Forsters Unterteilung in flache und runde Charaktere sowie das von Greimas entwickelte Aktantenmodell.30 Zusätzlich stellen sie heraus, dass ein typisches Merkmal biblischer Figuren ihre fehlende Autonomie ist, da sich die Figuren immer in einer Beziehung zu Gott oder Jesus befinden und niemals nur für sich existieren.31Auch untersuchen Marguerat und Bourqin, inwiefern der Leser sich mit bestimmten Figuren identifiziert, bzw. wodurch eine Wirkung wie Sympathie, Empathie oder Antipathie für die Figur entsteht. Dabei kommen sie zu folgender Schlussfolgerung: „The rule is simple: the more the characters resemble real beings, i.e. the more their life coincides with that of the reader (whether real or imaginary), the more attractive these characters will be to the reader.”32 Dem Erzähler kommt dabei eine bedeutende Position zu, da er durch seine gezielt gewählte Erzählstrategie die Wirkung des Lesers auf bestimmte Figuren beeinflusst.33 Zu dieser gezielten Beeinflussung der Leser gehört auch die Position, die der Erzähler seinen Lesern in Bezug auf bestimmte Figuren zuweist. Zentral ist hierbei die Frage, ob die Leser mehr, weniger oder genauso viel wissen wie die Figur.34 Die Rolle des Erzählers und sein Verhältnis zur Figur sind dabei genauso bedeutsam. Entweder beschreibt er das Innenleben einer Figur, ihre Gedanken und Träume, erzählt also aus einer großen Nähe zur Figur; oder er schildert die Figur „von weitem“ aus einer gewissen Distanz heraus.35 Als weiteres Analysekriterium für die Untersuchung von Figuren nennen Marguerat und Bourqin die grundlegende Unterscheidung zwischen telling und showing. Dabei beinhaltet das telling alle direkten Aussagen, die vom Erzähler über die Figur gemacht werden. Das showing bezeichnet dagegen das Handeln und Sprechen der Figur selbst.36 Marquerat und Bourqin entwickeln somit ein Analysemodell, das Aspekte von Forster und Greimas sowie die grundlegende Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Charakterisierung miteinbezieht.

      In der letzten Zeit hat v.a. Finnern37 einen Versuch unternommen, eine generell anwendbare Methodik für die Analyse biblischer Figuren auszuarbeiten. Dabei orientiert er sich stark an dem von Eder entwickelten Konzept zur Figurenanalyse im Film.38 Finnern gliedert eine Figurenanalyse in sechs verschiedene Methodenschritte. 1. Figurenbestand und Figurenkonfiguration: Hier werden zunächst die in einer bestimmten Szene vorkommenden Figuren39 die oftmals eine Auswahl aus dem Gesamtbestand aller Figuren darstellen, aufgelistet.40 2. Figurenmerkmale: Hierunter fallen die folgenden zwölf Kriterien Identität, Charakterzüge, Meinungen, Erleben, Gefühle, Verhaltensweisen, äußere Attribute, sozialer Kontext, Wissen, Pflichten, Wünsche und Intentionen der Figur.41 Auch wird nach ihrer Wirkung auf den Rezipienten gefragt. 3. Figurenkonstellation: In dieser Analysekategorie steht die Figur und ihre Beziehungen zu anderen Figuren, die auch grafisch veranschaulicht werden können, im Fokus.42 4. Figur und Handlung: An dieser Stelle wird nach der Bedeutung und Funktion der Figur innerhalb der Handlung gefragt.43 5. Figurendarstellung: In dieser Kategorie wird die Art und Weise der Charakterisierung einer Figur genauer beleuchtet. So kann sie direkt oder indirekt erfolgen, auktorial oder figural, über den Text verteilt oder in Blöcken.44 6. Figurenkonzeption: In diesem die Figurenanalyse abschließenden Punkt findet eine Gesamtbeurteilung der Figur statt. Es geht dabei um die Frage, ob die Figur letztlich statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder untypisch, geschlossen oder offen, realistisch oder unrealistisch, kohärent oder inkohärent ist.45

      2.3.1.2.2 Durchführungen von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte

      Im Folgenden werden konkrete Durchführungen von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte vorgestellt. Dabei liegt der Fokus zum einen auf Figurenanalysen im Johannesevangelium, Matthäusevangelium, Lukasevangelium, der Apostelgeschichte und zum andern auf Analysen der Jesus-Figur in den synoptischen Evangelien. Die zuerst genannten Durchführungen werden an dieser Stelle skizziert, weil sie in einigen Punkten Impulse liefern für die in dieser Arbeit verwendete Methodik und in anderen Punkten durch Abgrenzungen zu mehr Klarheit verhelfen. Die Darstellungen von Analysen der Jesus-Figur liefern dagegen nicht unbedingt signifikante Impulse hinsichtlich der von mir zu entwickelnden Figurenanalysemethode, zeigen jedoch, wie in der bisherigen Forschung die Jesus-Figur in den synoptischen Evangelien analysiert worden ist, und machen so mögliche Schwachstellen deutlich.

      2.3.1.2.2.1 Figurenanalyse im Johannesevangelium

      Fehribach1 untersucht und analysiert die fünf Frauenfiguren – die Mutter Jesu, die samaritanische Frau, Maria aus Bethanien, Martha und Maria Magdalena – im Johannesevangelium und kommt dabei letztlich zu folgendem Ergebnis: „[T]he main function of the female characters in the Gospel is that of supporting Jesus’ role as the messianic bridegroom who has come to give those who believe in him the power to become children of God”2. Bei ihrer Figurenanalyse verfolgt Fehribach einen historisch-literarischen Ansatz, bei dem sie versucht, zu ergründen, wie die Figuren auf den impliziten Leser des 1.Jhds n. Chr. gewirkt haben können.3 Dazu untersucht sie den Text in enger Beziehung zu seinem kulturellen und literarischen Millieu.4 Als Bezugstexte dienen hierfür die Hebräische Bibel, Hellenistisch-Römische Schriften, bekannte Griechisch-Römische Literatur, das Konzept „Ehre und Schande“, das von Kulturanthropologen zur Untersuchung von Geschlechter-Beziehungen im mediterranen Raum verwendet wird und die Geschichte der Frauen in der Griechisch-Römischen Welt.5 Für die Analyse der Frauenfiguren geht sie generell von fünf verschiedenen Annahmen aus: 1. Figuren sind eng mit der Handlung und dem Plot verbunden 2. Figuren verraten wichtige Aspekte über andere Figuren 3. Eine Charakterisierung vollzieht sich zugleich sequenziell und kumulativ 4. Eine Charakterisierung impliziert stets eine rhetorische Funktion 5. Der soziale Standpunkt des Lesers spielt eine tragende Rolle bei der Vorstellung von Figuren.6

      Nicklas7 untersucht die Figurengruppe der Juden und der Jünger im Johannesevangelium auch im Blick auf ihre Wirkung auf den impliziten Leser. Dafür nennt er in Bezug auf die Figurenanalyse einige grundlegende Techniken der Charakterisierung8: So macht er deutlich, dass Figuren im JohEv selten mit Attributen belegt werden, sondern oft nur mit Namen genannt sind. Darüber hinaus werden Figuren „in erster Linie durch ihre Aktionen und Aussagen gezeichnet.“9 Einige Figuren vollziehen zudem eine Entwicklung. Auch können die Figuren in ihrem jeweiligen Verhältnis zu Jesus (als Maßstab) analysiert werden.10 Als eine weitere Technik der Charakterisierung nennt Nicklas die Beurteilung von Figuren durch Aussagen anderer Figuren, wobei zwischen dem Gewicht der Aussagen aufgrund der Stellung der jeweiligen Figuren differenziert werden muss. Auch die Technik der Kontrastierung und Parallelisierung von Charakteren findet sich im JohEv.11 Dabei weist Nicklas insgesamt darauf hin, dass bei der Charakterisierung von Figuren dem Erzähler eine ganz entscheidende Rolle zukommt. Denn durch seine Erzählweise (u.a. durch Anspielungen, das Durchbrechen erwarteter Muster oder Ironie) kann er die Rezeption des impliziten Lesers lenken und die Wirkung von Figuren auf den impliziten Leser bestimmen.12

      In ihrer Untersuchung zur Charakterisierung der Figuren Maria Magdalena, Petrus, Thomas und der Mutter Jesu im Johannesevangelium unterscheidet