Im Gegensatz zu den vorherigen Erzählmodellen teilt Schmid eine Erzählung in die Ebenen Geschehen, Geschichte, Erzählung und Präsentation der Erzählung. Das Geschehen bezeichnet demnach die gesamte, unbegrenzte Situation, die Geschichte steht für die aus dem Gesamtgeschehen getroffene Auswahl von Ereignissen. Als Erzählung versteht Schmid die Komposition dieser selektiven Auswahl aus dem Geschehen; die Verbalisierung der Erzählung bezeichnet er als Präsentation der Erzählung.8
Sein Erzählmodell lässt sich folgendermaßen darstellen:
Abb. 5 Erzählmodell nach Schmid (eigene Darstellung)
2.2.1.6 Martinez und Scheffel
Im Gegensatz zu Genette unterteilen Martinez und Scheffel in einer Erzählung lediglich – wie Chatman – die zwei Ebenen Handlung und Darstellung.1 Dabei umfasst das „was“, also die Handlung, die Elemente Ereignis, Geschehen, Geschichte und Handlungsschema. Unter dem „wie“, also der Darstellung, fassen sie die beiden bei Genette als eigenständig proklamierten Bereiche Erzählung und Narration. Sie begründen diese Zusammenführung der beiden Bereiche unter die Kategorie Darstellung damit, dass „die ‹Narration› in fiktionaler Rede nicht mehr als die text- und fiktionsinterne pragmatische Dimension der ‹Erzählung› umfasst […], d.h. die zeitliche und räumliche Position des fiktiven Erzählers gegenüber seiner Geschichte“2.
Auf der Ebene der Erzählsituation finden sich bei Martinez und Scheffel jedoch nur wenige Begriffe. Im Grunde reduzieren sie die Erzählsituation auf die Instanzen realer Autor, Erzähler und Leser. Es gilt: „Der Autor erfindet den Erzähler“3. Der Leser ist dabei der „narrative Adressat“4 einer Erzählung und kann in einen fiktiven und in einen realen Leser unterteilt werden.5 Der Leser ist darüber hinaus an der Sinnerschließung und Wirkung eines Textes maßgeblich beteiligt, denn die Tätigkeit des Lesers „beschränkt sich […] nicht nur auf das Nachvollziehen logischer Implikationen des explizit Gesagten, sondern sie ergänzt auch aufgrund lebensweltlicher und literaturhistorischer Muster“6.
Daraus ergibt sich folgendes Erzählmodell:
Abb. 6 Erzählmodell nach Martinez und Scheffel (eigene Darstellung)
2.2.1.7 Finnern
In Bezug auf die Unterteilung einer Erzählung schlägt Finnern die ungewöhnliche und hier nicht näher zu erläuternde Einteilung in Umwelt, Handlung, Figuren, Perspektive und Rezeption vor.1 Auf der Ebene der Erzählsituation spricht sich Finnern dafür aus, den Begriff des impliziten Lesers durch den Begriff des intendierten Rezipienten zu ersetzen. Er begründet diese Änderung wie folgt: „Die (klassische) Rezeptionsästhetik hat […] mehrere Probleme: Sie geht von einem textimmanenten 'impliziten Leser' aus, bei dem das benötigte Vorwissen und die typischen Verstehensprozesse bei der Lektüre nicht berücksichtigt werden und der deshalb durch das kognitive Konzept des intendierten Rezipienten ersetzt werden sollte“2. Anstatt als eine rein textimmanente Größe versteht Finnern den intendierten Rezipienten als eine Vorstellung von der Leserschaft im Kopf des realen Autors. Daher verfügt der vom realen Autor intendierte Leser auch über ein bestimmtes, kulturell bedingtes Vorwissen, auf das der reale Autor gezielt anspielt.3 Auch erwartet der reale Autor bestimmte Reaktionen bei seinen intendierten Rezipienten und schneidet seine Erzählstrategien auf sie zu.4 Für die Analyse ist es daher nach Finnern wichtig, den Text historisch zu verorten, um möglichst genau das Vorwissen und die Verstehensprozesse der intendierten Rezipienten zu rekonstruieren. Finnern übernimmt dabei die in der Forschung übliche Einteilung dieses Vorwissens in statische frames und dynamische scripts.5 Frames beschreiben die historisch und kulturell bedingten, sich von Kindheit an verfestigenden Vorstellungen, die wir von bestimmten Dingen, wie z.B. einem Vogel, einem Hochhaus etc. haben. Die scripts stellen dagegen das „prozeduale Vorwissen, also welche Ereignisse uns in einer bestimmten Situation erwarten […] oder wie man etwas tut“6 dar. Zum Verstehen eines Textes und der Leserlenkung des Erzählers ist es daher nach Finnern unumgänglich, die frames und scripts der intendierten Rezipienten zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Figurenanalyse bedeutet dies z.B., dass die intendierten Rezipienten bereits eine bestimmte Vorstellung von den Figuren haben, auch wenn diese zum ersten Mal erwähnt werden. Denn aus „kognitiver Sicht funktioniert die Figurenrezeption nach demselben Muster wie die reale Personenwahrnehmung. Der Rezipient setzt sich dabei auch mit inhaltlichen Standpunkten der Figuren auseinander.“7
Die von Finnern vertretene Berücksichtigung von historischen und kulturellen Kenntnissen der intendierten Rezipienten kann als eine Folge der kognitiven und historischen Wende8 angesehen werden.9 Ebenso kritisiert Finnern den – wiederum textimmanenten – Begriff des impliziten Autors und schlägt dagegen vor, ihn als das „kognitive Modell des Lesers vom Autor – ähnlich dem mentalen Modell, das sich der Leser von Figuren der Erzählung macht“10 zu verstehen. Auch der in der bisherigen Narratologie weitgehend ausgeklammerte reale Autor gewinnt bei Finnern wieder an Beachtung.11 Darüber hinaus definiert er das Verhältnis zwischen dem realen Autor und dem Erzähler neu: „Der Autor einer Erzählung ist zunächst immer selbst ein Erzähler.“12 In den Fällen, in denen auch in fiktionalen Erzählungen realer Autor und Erzähler nicht merkbar auseinandertreten, hält Finnern eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Größen, wie u.a. Genette sie durchführt, für künstlich und „unsinnig“13. Es gibt somit nach Finnern einen realen Autor, der gleichzeitig auch der Erzähler ist. Die realen Rezipienten erhalten durch den Text ein Bild des Erzählers/Autors. Der reale Autor/Erzähler kann sich jedoch auch eine von ihm abweichende Erzählerfigur konstruieren und sich an bestimmte (fiktive) Adressaten wenden. Dabei hat der reale Autor/Erzähler stets ein Bild der Rezipienten mit einem bestimmten Vorwissen vor Augen, auf die er seine Erzählstrategie abstimmt.
Finnerns Erzählmodell lässt sich somit folgendermaßen veranschaulichen:
Abb. 7 Erzählmodell nach Finnern (eigene Darstellung)
2.2.1.8 Fludernik
Eine Erzählung unterteilt Fludernik grundsätzlich in zwei Ebenen: Die „Ebene der dargestellten Welt (die Geschichte) und die Ebene der Vermittlung“1, womit sie sich Chatmans Zweiteilung in story und discourse anschließt.
Hinsichtlich der Kommunikationssituation in einer Erzählung lehnt sie sich ebenfalls stark an Chatman an und unterscheidet verschiedene Erzählebenen von innen nach außen: Im Inneren, im Kern einer Erzählung, befindet sich demnach eine Erzählfigur, die einer textinternen Leserfigur etwas mitteilt.2 Ganz außen befinden sich ein realer Autor sowie ein realer Leser. In der Mitte unterscheidet sie mit Chatman zwischen einem impliziten Autor und einem impliziten Leser. Dabei ist der implizite Autor ihrer Ansicht nach „in Wirklichkeit keine Figur, sondern ein Leser/Interpreten-Konstrukt, das den Sinn des Werkganzen in eins fasst.“3 Parallel dazu ist für sie der implizite Leser ein „Konstrukt des Interpreten, der eine Rezeptionshaltung aus dem Werk abliest.“4
Fluderniks Erzählmodell, das sich stark an das Modell von Chatman anlehnt, kann wie folgt skizziert werden: