Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium. Anna Cornelius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Cornelius
Издательство: Bookwire
Серия: NET - Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000027
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Dafür gibt er zunächst einen Überblick der Verwendung des Begriffs κύριος im MkEv.73 Anschließend geht er der Frage nach, wie Figuren im MkEv generell charakterisiert werden.74 „People in a narrative exist within the flow of an overall plot. They play particular roles within the overall sequence of events, while themselves are also influenced and shaped by those events.“75 In einem weiteren Schritt bündelt er die beiden vorhergehenden Ergebnisse in dem Abschnitt „Mark’s Use of 'Lord' and His Characterization of Jesus“.76 Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis in Bezug auf die Jesus-Figur als κύριος im MkEv: „For Mark, Jesus is Lord in that he is uniquely exalted in his authority, even though at the present time that authority may not be recognized by all. Jesus is also Lord in that his life serves as the defining paradigm for his followers, so that in following Jesus’ example they choose a life of sacrificial service. These prominent themes within Mark’s characterization of Jesus – his authority, his exemplary life, and his hiddenness – are potentially overlook as long as the final goal remains simply to isolate the most important title for Jesus in Mark.”77

      2.3.1.3 Fazit

      Wie im Vorhergehenden ausführlich gezeigt, bestehen in der Literatur- und Filmwissenschaft sowie in der Exegese viele unterschiedliche Ansätze zur Analyse von Figuren. Es existiert jedoch bislang kein einheitliches Verfahren zur Analyse von Figuren innerhalb von Erzählungen, was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, da unterschiedliche Verfahren unterschiedliche Beobachtungen zutage aufzeigen.

      Es lässt sich darüber hinaus eine Entwicklung festmachen: Ihren Ausgangspunkt nimmt die Figurenanalyse in den 20er Jahren im Bereich der Literaturwissenschaft. Figuren werden zunächst unter dem Aspekt ihrer Rolle und Funktion innerhalb von Handlungsmustern betrachtet und in bestimmte Kategorien eingeteilt (Forster, Propp, Harvey, Greimas). Im Laufe der Zeit werden vermehrt die ihnen im Text zugeschriebenen Eigenschaften (traits) analysiert (Barthes, Chatman). Wenig später werden diese beiden Verfahren zusammengebracht und miteinander kombiniert (Bal, Rimmon-Kenan). Im Zuge der kognitiven Wende werden Figuren in der neueren Forschung oftmals als mentale Modelle verstanden, die vom Leser gebildet und konstruiert werden (Jannidis, Eder).

      Der in der Literaturwissenschaft vollzogene Wandel hinsichtlich der Figurenanalyse hat sich auch in der Analyse und Auslegung biblischer Texte vollzogen. So finden sich Ansätze, die ihren Schwerpunkt auf die Kategorisierung von Figuren legen (u.a. Poplutz, Eisen). Wieder andere lehnen sich in ihren Figurenanalysen an Chatman an und untersuchen hauptsächlich die einer Figur zugeschriebenen traits (u.a. Powell, Rhoads/Michie, Tolmie). Darüber hinaus existieren in der Forschung auch Modelle, die versuchen, alle Aspekte miteinander zu kombinieren (u.a. Marguerat/Bourqin, Thompson, Schultheiss, Zimmermann). In der letzten Zeit hat auch die kognitive Wende in der Analyse biblischer Figuren vereinzelt Anklang gefunden (u.a. Finnern). Im Unterschied zur Literaturwissenschaft stellt sich in der Theologie zudem vermehrt die Frage, den narrativen Ansatz historisch auszuweiten und den Text historisch zu verorten (u.a. Fehribach, Hartenstein, Bennema, Darr, Thompson, Finnern).

      2.3.2 Zur figurenanalytischen Untersuchung in dieser Arbeit

      Nach der Vorstellung unterschiedlicher Figurenanalysemodelle aus verschiedenen Bereichen sowie der konkreten Durchführung von Figurenanalysen in den Evangelien und der Apostelgeschichte folgt nun eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Verfahren. Sie dient letztlich dazu, die Figurenanalysekategorien herauszuarbeiten, die im Hinblick auf die geplante Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium sinnvoll und ergiebig erscheinen.

      2.3.2.1 Kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Vorgehensweisen der Figurenanalyse

      Die im Vorherigen vorgestellten Verfahren zur Figurenanalyse sind nun hinsichtlich ihres Nutzens für das Ziel, ein möglichst präzises und differenziertes Bild des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium aus dem Text heraus zu erheben, zu befragen.

      Durch die Mehrzahl der Figurenanalyseverfahren1 zieht sich eine generelle Unterscheidung zwischen einer direkten Charakterisierung (telling) und einer indirekten Charakterisierung (showing).2 Diese beiden Kategorien scheinen auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Nutzen zu sein, da sie grundsätzliche Beobachtungen im Text zutage fördern. Lediglich hinsichtlich der Frage, welche Aspekte unter diesen beiden Kategorien zu verhandeln sind, besteht in der Forschung Uneinigkeit. Die eine Position3 versteht unter der direkten Charakterisierung Aussagen des Erzählers sowie anderer Figuren über die Figur und unter der indirekten Charakterisierung das Handeln und Reden einer Figur. Eine andere Position4 zählt zu der Kategorie der indirekten Charakterisierung noch weitere Aspekte wie z.B. die Umwelt der Figur5 hinzu. Wenn aber die Definition des showing wortwörtlich verstanden wird als die Art und Weise, wie sich eine Figur im Text selbst zeigt und präsentiert, dann kann das showing nur Aspekte umfassen, auf die die Figur selbst einen Einfluss hat (also ihr Reden und Handeln, ihre Gestik, Mimik und ihre Gefühle). Der für die Analyse des Auferstandenen sicherlich ebenso relevante Aspekt der Umwelt einer Figur wird daher in einem eigenen separaten Methodenschritt verhandelt. Zum besseren Verständnis wird in dieser Arbeit jedoch anstelle des Begriffs showing der Begriff der Selbstcharakterisierung einer Figur gewählt, da hierdurch der Bezug auf die Figur selbst und ihr Reden und Handeln m.E. noch deutlicher wird. In Entsprechung dazu wird anstelle des Begriffs telling von der Fremdcharakterisierung einer Figur gesprochen, um zu kennzeichnen, dass es unter diesem Aspekt um (fremde) Aussagen des Erzählers oder anderer Figuren über die Figur geht. Eine Alternative zur Einteilung in direkte und indirekte Charakterisierung bietet u.a. Finnern, der auf eine solche Unterscheidung verzichtet und stattdessen alle Figurenmerkmale zusammenfasst und in einem weiteren Schritt der Frage nachgeht, ob diese Merkmale direkt oder indirekt vermittelt worden sind. Jedoch scheinen viele seiner aufgelisteten Fragen nach Figurenmerkmalen wie z.B. Wissen, Erleben, Wünsche und Pflichten der Figur im Hinblick auf den Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium nicht sehr ergiebig zu sein. Eine grundsätzliche Unterteilung in indirekte und direkte Charakterisierung bzw. in Selbst- und Fremdcharakterisierung ist m.E. an dieser Stelle sinnvoller. Ähnlich wie Finnern verfahren auch Chatman, Rhoads und Michie und Tolmie, indem auch sie auf eine Unterteilung in direkte und indirekte Charakterisierung verzichten und sich in ihrer Figurenanalyse hauptsächlich auf die Zusammenstellung und Untersuchung aller einer Figur im Text zugeschriebenen Merkmale (traits) beschränken. Jedoch bleibt eine solche Figurenanalyse, die nur aus einer Aneinanderreihung von Persönlichkeitsmerkmalen einer Figur besteht, m.E. recht einseitig und oberflächlich, da sie die Figur statisch als Summe verschiedener traits und nicht dynamisch in ihren vielfältigen Funktionen und Beziehungen innerhalb einer Erzählung wahrnimmt.

      Für die Analyse des Auferstandenen werden somit grundsätzlich die beiden Kategorien indirekte und direkte Charakterisierung übernommen, in Selbst- und Fremdcharakterisierung umbenannt und dabei inhaltlich beschränkt auf eine Selbst-Präsentation der Figur v.a. durch ihr Handeln und Sprechen (Selbstcharakterisierung) und auf Aussagen über die Figur durch den Erzähler oder anderer Figuren sowie (nonverbaler) Reaktionen anderer Figuren auf die Figur (Fremdcharakterisierung). Um die Figur als dynamisch in ihren vielschichtigen Beziehungen und Funktionen innerhalb einer Erzählung wahrzunehmen, werden diese beiden Kategorien durch eine Reihe weiterer Kategorien ergänzt:

      Wie u.a. Finnern, Anderson, Thompson und Zimmermann deutlich gemacht haben, ist auch die Beziehung der Figur zu anderen Figuren von großer Bedeutung und Aussagekraft für die Darstellung einer Figur. Zum einen treten im direkten Vergleich der Figur zu anderen Figuren Ähnlichkeiten, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, schärfen also das Profil der Figur; zum andern sagt die Beziehung einer Figur zu anderen Figuren viel über die Figur selbst aus. Daher wird in Anlehnung an Finnern die Kategorie Figur und Figuren als eigenständiger Analyseschritt betrachtet. Ein Aktantenmodell, wie Greimas und andere es verwenden, kann zur Veranschaulichung der vielschichtigen Beziehungen einer Figur dienen. Jedoch ist es im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen m.E. ergiebiger, kein bereits feststehendes Raster zu verwenden, sondern jede Beziehung des Auferstandenen zu einer anderen Figur