Die Kosmetik unterstreicht das Schönheitsideal und erweitert die Macht des Menschen über sich und seine Erotik. Das Unterstreichen von körperlichen Schönheitsmerkmalen lässt sich auf das Bild bzw. Abbild, die Plastik, die Sprache mit und ohne Gesang sowie auf Musik und Tanz – als idealtypische Verhältnisse und Bewegungen – übertragen. Auch körperliche Fitness und Körperpflege finden ihren Ursprung in der menschlichen Gattenwahl, des sie leitenden Ideals und dem in der Idee der Körperausschaltung impliziten Telos des Vollmenschentums. Die Fitness zeitigt bestimmte Körperformen und gibt diese der Idealisierung an die Hand. Des Weiteren lässt sich mittels ihrer eine ethologische Idee, wie die der griechischen Spiele in Olympia kultivieren. Sie führt dem Publikum das Ideal des Sportlers mit seinem Körperbau, aber auch mit seiner Askese und seinem agonalen Ethos vor, generiert Ordnung durch Gruppenbildung, unterscheidet Sieger und Verlierer, stiftet Friedenspflichten, einen Kalender unter den griechischen Stämmen und schafft nicht zuletzt Raum und Motiv für Ehrungen, Erzählung, Feste und Meinungsaustausch unter allen Teilnehmern. Die Körperpflege selbst stiftet ihre eigenen Ideale der Schönheit. Indem sie körperliches Wachstum und Erholung unterstützt, gehen aus ihr nicht nur Kenntnisse hervor, sondern auch Verhaltensweisen wie Ruhe, rekreative Bewegung, spezifische Diäten, Moden und Etikette und nicht zuletzt auch Attraktivität. Die Körperpflege erschafft ihre eigene Askese und ein ihr eigenes Ethos, die aus dem Schönheitsideal entstehen und sich in Kunst und Kultur wiederum manifestieren können.
Alsberg widmet in seiner Abhandlung dem Ästhetischen nur wenige Zeilen, man kann jedoch, ausgehend von den Stichworten Gattenwahl, Kosmetik und Körperpflege, die uns bekannten künstlerischen Genres angelegt erkennen, und stringent aus dem von Alsberg benannten Prinzip der Körperaussschaltung entwickeln.
Resümee
Alsberg gelingt es, den Menschen als primus inter pares unter den Lebewesen zu bestimmen, ohne dabei die gemeinsame Substanz der Lebewesen aufzuheben. Der Mensch ist und bleibt ein Lebewesen unter Lebewesen, doch der Werkzeuggedanke und das Prinzip der Körperausschaltung überformen diese gemeinsame Substanz derart, dass der Mensch in ein Gegenüber zur Natur gerät. Unter den Lebewesen findet sich allein der Mensch in einer Position Welt und Natur gegenüber. Das Schöne gehört dabei wesentlich zu seinem Reich der Freiheit. Wie das Wahre und Gute ist – nach Alsberg – auch das Reich des Schönen Ausdruck jener einsamen Stellung des Menschen in der Welt, und es obliegt ihm, selbst das Rätsel dieser Sonderstellung mit der Entwicklung seiner Fähigkeiten einer Lösung zuzuführen. Das Telos dieser Entwicklung ist die Selbstwerdung des Menschen. Es ist der dynamische Substanzbegriff Alsbergs, welcher die Entwicklung des Dramas dieser Menschheitsaufgabe wie auch das daraus erwachsende geschichtliche Sein des Menschen ermöglicht.
Blicken wir von hier aus auf das eingangs zitierte Gedicht Es un hombre zurück, so können wir eine kurze Geschichte des Menschheitsrätsels erzählen: Ein Mann auf dem Weg durch seine Welt: Va solo por el campo. Im Oye su corazón, como golpea, erlebt er einen Akt der Selbstvergegenwärtigung. Sie überwältigt ihn und schlägt ihn nieder: el hombre se detiene/ y se pone a llorar sobre la tierra. In der Gegenwärtigkeit der Erinnerung an seine Jugend erwacht der Schmerz, Umwelt verwandelt sich in Umfeld und Umgebung: Crece la savia/ verde y armaga de la primavera. Der Mensch wird seiner Vergänglichkeit gewahr, doch er richtet sich wieder auf, frei dem Sonnenuntergang zu folgen: Hacia el ocaso va, und er zieht weiter seines Weges, einsam unter den Lebewesen: un pajaro triste/ canta entre las ramas negras. Er nimmt sein Sein an: Ya el hombre apenas llora, und er versetzt sich so in den Stand, danach fragen zu können: Se pregunta por el sabor a muerto de su lengua, und er beginnt auf diese Weise sich selbst zu ergreifen, getreu des schon erwähnten Pindarschen Mottos: Werde, der du bist!
Vorwärts im aufrechten Gang, seinen Schwerpunkt in sich selbst tragend wie seiner Geschichte innewerdend, ist der Alsbergische Mensch in Es un hombre allein unter den Lebewesen frei, nach seinen Grenzen zu streben.
Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos
Die Biologie, eine neue philosophische Modellwissenschaft
Das Novum des Denkens, welches Max Scheler seit der Zeit seiner Köllner Vorlesungen von 1922 in der philosophischen Skizze Die Stellung des Menschen im Kosmos kundtun konnte und was ihn zu der Behauptung berechtigte, dass die „Probleme einer Philosophischen Anthropologie heute geradezu in den Mittelpunkt aller philosophischen Problematik in Deutschland“ 1 getreten seien, lag in der Heranziehung einer neuen Modellwissenschaft zum philosophischen Denken: der Biologie. In der Zeit einer Krisis des traditionellen Menschenbildes, innerhalb dessen er entweder als Abbild Gottes oder als selbstverständlicher Träger eines Logos bestimmt worden war, war es ob der neuzeitlichen Wissenschaften (wie der Evolutionstheorie, welche den Menschen als ein wohl komplexeres, gar als den Höhepunkt einer Entwicklung jedoch rein natürlicher Lebensformen auffasste) notwendig geworden, Traditionsstränge neu zu überprüfen. Hinzu kam die Tatsache, dass die verschiedenen Wissenschaften „gewaltige Schätze des Einzelwissens“2 vom Menschen erarbeitet hatten, so dass die Zeit reif schien, für den Menschen „eine neue Form seines Selbstbewusstseins und seiner Selbstanschauung zu entwickeln.“3
Demnach musste sich der Horizont der zentralen philosophischen Fragestellung verschieben – nach der ersten anthropologischen Wende durch Sokrates, jetzt eine zweite – und das Lebendige den paradigmatischen Rahmen dafür darstellen. Der Mensch musste nun als Forschungsgegenstand notwendig in den Fokus der philosophischen Untersuchungen einrücken, war er doch das einzige lebendige Wesen, dessen Innenleben, dessen „Fürsich- und Innesein“4, welches Scheler als „das psychische Urphänomen des Lebens“5 bestimmte, ihm selber einsichtig werden konnte. Konsequenterweise musste sich der Blick auf den Menschen grundsätzlich neu einstellen. Mit theologischen oder metaphysischen Kriterien allein konnte er nicht mehr zureichend beschrieben werden. Es bedurfte zusätzlicher, neuer Konzepte, die den im Aufschwung befindlichen Lebenswissenschaften wie der Biologie Jakob von Uexkülls entnommen werden konnten – wie z.B. der zentrale Begriff der Umwelt6. Damit rückte der Mensch in den Zusammenhang von Tier und Pflanze – seinen Mit-Lebewesen – ein, und es ergab sich zwingend die Frage der modernen Anthropologie nach der Sonderstellung des Menschen in dieser Welt: das Wort „Mensch in der Sprache des Alltags, und zwar bei allen Kulturvölkern […] soll auch einen Inbegriff von Dingen bezeichnen, den man dem Begriffe des ‚Tieres überhaupt‘ aufs Schärfste entgegensetzt […]“.7
Scheler kontrastiert diesen emphatischen Menschenbegriff, den er den „Wesensbegriff“8 des Menschen nennt, mit einem „natursystematischen Begriff“9 und fragt:
Ob dieser zweite Begriff, der dem Menschen als solchem eine Sonderstellung gibt, die mit jeder anderen Sonderstellung einer lebendigen Spezies unvergleichbar ist, überhaupt zu Recht bestehe – das ist unser Thema.10
Das Verdienst Schelers war es also, als erster grundlegend neue Konzepte für diese neue Situation in das philosophische Denken eingeführt und die Fundamente dieses modernen Zweiges der Philosophie gelegt zu haben.
Die Fragen, welche Konsequenzen sich aus dieser anthropologischen Wende des Denkens für Ästhetik und Poetik ergeben, sollen hier behandelt werden.
Der Gefühlsdrang und die Leiter des Lebendigen
Schnell beginnt Scheler in der Kosmosschrift mit der Rekonstruktion der lebendigen Welt, auf deren Stufenleiter er den Menschen an oberster Stelle einordnen wird. Die Grenze des Psychischen fällt für ihn mit der Grenze des Lebendigen zusammen1, und er bestimmt für diese neben anderen als dessen wesentliches Merkmal ein „Fürsich- und Innensein“2.
Es ist die psychische Seite der Selbständigkeit, Selbstbewegung etc. des Lebewesens überhaupt