Schon in der elementarsten Form geführter, also bewegter Bewegung ist diese zu sich selbst in ein Verhältnis gesetzt und in sich selbst ausdrücklich geworden3. Im artikulierten Laut, einer geführten, also bewegten Bewegung wird das Ausdrucksverhältnis des Menschen zur Welt in der Sprache ausdrücklich, und die Sprache zum Ausdruck der Ausdrucksbewegung, zur Expression in zweiter Potenz. Wird der Klang damit zum Laut und zum Zeichen (Artefakt), so ergreift das dichterische Denken Antonio Gamonedas dieses und bewegt es zu einer höheren Ausdrücklichkeit und zum Zeichen zweiter, mithin „dritter Ordnung und Potenz“4, indem es die artikulierte, geführte Bewegung des Zeichens (Artefakt) in ein weiteres Verhältnis zu sich selbst führt, und ihm damit eine erweiterte Ausdrücklichkeit zukommen lässt. Die Inanspruchnahme des sprachlichen Zeichens als ein komplexes Verhältnis von Sinnlichkeit und Sinn versetzt es in Bewegung und bringt seine Bedeutung zum Schweben.
Mit der geführten, bewegten Bewegung des Zeichens lockert die Dichtung Antonio Gamonedas das Sein im Rang der Sprache, und in dieser Lockerung entdeckt sich die transzendierende Bewegung in der Immanenz des Seins.
Der Logos poietikos Antonio Gamonedas bewegt die Schwere des Seins im Rang der Sprache und lässt so dessen abgewandte Seite erkennbar werden.
Wenn also Ausdrücklichkeit die Natur des Organischen und Selbstausdrücklichkeit die des Menschen ist, so ist transzendierende Immanenz der Name für den Logos poietikos Antonio Gamonedas, und wenn die Selbststellung des Menschen das Sich-Selbst-Ausdrücklich-Werden fordert, so entspricht die Dichtung Antonio Gamonedas diesem mithin mit der Überschreitung der Genregrenzen. Die Überschreitung findet in der Rückbindung der dichterischen Rede auf die individuelle Existenz statt, welche die abseitige Seite des Seins verlautbar werden lässt.
PHILOSOPHISCHE ANTHROPOLOGIE UND DIE WORTKUNST
Eine zusammenfassende Lektüre mit Resümee
Es un hombre …
Paul Alsberg zitiert Sophokles mit „Viele gibt es der Wunder – kein größeres als den Menschen“1. Das Erstaunen oder Sich-Wundern, das Thaumatzein, verwandelt diese Aussage in einen urphilosophischen Gedanken. Alsberg sucht dieses Rätsel aufzuklären. Doch ein „Wunder“ kann der Mensch nur sein, wenn er „ein Tier im Sinne eines Primus inter pares sei“2 wie Alsberg weiter ausführt. Denn als Geschöpf eines Gottes oder einer höheren Macht sei er schon erklärt und bedürfe keiner weiteren.
Welchen Namen aber trägt der Mensch als Primus inter pares, als Säugetier/ Primat? Wie also transzendiert der Mensch seine biologische Einordnung im linnéschen System? Wie stellt sich dieses Überschreiten der Immanenz dar? Ist mithin dies seine ihm ureigene Natur: der Mensch, das Lebewesen der transzendierenden Immanenz?
Unter den frühen Gedichten Antonio Gamonedas finden wir das folgende:
Es un hombre. Va solo por el campo.
Oye su corazón, cómo golpea,
y, de pronto, el hombre se detiene
y se pone a llorar sobre la tierra.
Juventud del dolor. Crece la savia
verde y amarga de la primavera.
Hacia el ocaso va. Un pájaro triste
canta entre las ramas negras.
Ya el hombre apenas llora. Se pregunta
por el sabor a muerto de su lengua.3
Einfache Sätze beschreiben eine einfache Szene. Ein Mensch wird benannt. Er geht allein übers Feld, ein alltägliches Geschehen. Im Gehen erfüllt der Mensch seine Bestimmung, denn als aufrechter Bipodes auf dem weiten Feld der Erde begann er seinen Stammbaum. Der aufrechte Gang ist für Hans Blumenberg das wesentliche Merkmal des Menschen und der Ausgang für seine Sonderstellung in der Welt4. Doch der nächste Satz führt uns in sein Inneres, zu seinem Herzen und sogleich stockt dieser menschliche Gang. Er bricht in Weinen aus, dort auf dem Acker. Das Weinen stellt nach Plessner gleichsam einen Zusammenbruch der menschlichen Konstitution dar: ein Ausgeliefertsein des Menschen an ein ihn überwältigendes Erlebnis – ein Privileg des Menschen vor allen anderen Lebewesen –, welches diesem die Herrschaft über seinen Körper verlieren lässt und ihn an das Würgende, Schluchzende des Weinens und somit an seine reinen Körperfunktionen ausliefert5. Der Leser weiß nichts über das Warum dieses Ausbruchs. Das Gedicht führt uns in den Umkreis des „homo absconditus“6. Die nächste Strophe führt den Leser zu einem Empfinden, welches der Grund des Weinens sein könnte, einem Schmerz, und weiter zu einer Erinnerung oder der Beobachtung einer Umgebung, welche eine Erinnerung entbirgt. Die Möglichkeit des Habens einer Umgebung ist ein Privileg des Menschen vor seinen Lebensgenossen, den Tieren, welche eine Umwelt besitzen, aber keine Umgebung, keinen Horizont. Und weiter zieht der Mensch gegen Westen, dem fernen Horizont des Sonnenuntergangs entgegen, dahin, wo der Tag endet. Schon dunkelt es, die Zweige zeichnen schwarze Linien, und ein Vogel lässt sich hören, ein Bewohner desselben Horizonts, derselben Erde wie der Mensch. Das Weinen erlischt und zurück bleibt die Frage des Menschen nach dem Wissen um seinen Tod, der sich als Geschmack nach dem Tod auf seiner Zunge niederschlägt. Das Wissen um seinen Tod zeichnet den Menschen vor allen anderen Lebewesen aus, wobei nach Landsberg sich hier schon ein modernes, existenzielles, Bewusstsein von Tod geltend macht und nicht eines, welches den weit überwiegenden Teil der Menschheitsgeschichte bestimmte, nämlich dem vom Tod als einer Verwandlung, entweder in ein anderes Lebewesen, in ein höheres Leben oder in die Rückkehr als anderer Mensch derselben Sippe oder Volkes7.
Diese Fingerübung zum Thema Mensch möchte vorläufig darauf aufmerksam machen, was aus der Perspektive der philosophischen Anthropologie auf einen Text Antonio Gamonedas unmittelbar erkennbar werden kann.
Paul Alsberg: Das Menschheitsrätsel
Paul Alsberg fragt als Kantianer, wenn er fragt, „Wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?“1. Allein mit dieser Frage bestimmt er den Horizont seiner Arbeit. Denn wie soll es möglich sein, dass ein Naturwesen Mensch „außerhalb und unabhängig von sinnlicher Erfahrung zu allgemeingültigen Urteilen über die Natur gelangen kann?“2 Und die Frage findet ihre Zuspitzung, bedenkt man gar, dass im Sinne Linnés „also das Tier den höheren Gattungsbegriff bezeichne, welcher den niederen Begriff des Menschen unter sich hält.“3 Kann sich der Mensch aus dieser Systematik heraus zu seinem heutigen Stand graduell entwickelt haben? Wäre etwa der Haeckelsche Pithekanthropus alalus4 ein möglicher Kandidat für den missing link einer natürlichen Schöpfungsgeschichte, und wie könnte diese aussehen? Alsberg stellt fest, dass kein naturwissenschaftlicher Forscher bis dato dem „genealogischen und dem biologischen Prinzip beim Menschen gerecht zu werden“5 vermochte und unterscheidet dabei die zooistischen von den anthropistischen Theorien. Also jene Ansichten, welche den Menschen allein aus dem zoon heraus entstehen lassen wollen von denjenigen, welche einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier postulieren. Fehlen jene darin, dass sie keine Antwort auf die Existenz eines spezifisch- oder prinzipiell-Menschlichen6 finden, stellt sich diesen die Frage ernstlich überhaupt nicht, und sie müssen, streng genommen, jeder genealogischen Ableitung entbehren. Damit jedoch löst sich die Frage nicht auf. Eine weitere Schwierigkeit der Lösung des Menschheitsrätsels erkennt Alsberg in dem Sachverhalt, dass die Tierpsychologie „mit Ausnahme des Begriffsvermögens alle anderen geistigen Formelemente auch beim Tiere nachgewiesen“7 habe, wodurch die Grenzlinie zwischen Mensch und Tier noch feiner zu bestimmen sei. Er schließt sich jedoch auch nicht H. Spencers Lösung an, die ein „überorganisches Gesellschaftsprinzip“8 für die Entwicklung des Menschen verantwortlich machen möchte. Denn dieses Prinzip führt eine neue Entität in die Debatte ein und bedarf weiterer Erklärungen hinsichtlich des Verhältnisses von Gruppe und Individuum.
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