Das Gesetz des Wassers. Urs Schaub. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Urs Schaub
Издательство: Bookwire
Серия: Simon Tanner ermittelt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783857919459
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und eine Musikanlage. In einem Zimmer liegt bloß ein dicker Teppich aus Marokko. All die anderen Sachen hat Tanner im leeren Gärtnerhaus eingestellt. Im Grunde braucht er sie alle nicht mehr.

      Ich bin gespannt, wie du meine Badewanne findest, die ist nämlich riesig und ova …

      Oh, wow! Verflucht! Eine ovale Badewanne. Wahnsinn!

      Kreischend verkündet sie die Entdeckung. Tanner lächelt.

      Wusst ich’s doch!

      Er stellt ihre Schuhe auf den Boden, zieht seine aus und bettet sich bequem auf das Sofa, die Hände hinter dem Kopf gefaltet.

      Jetzt bin ich gespannt, wie sich das Rätsel Martha weiterentfaltet, denkt er bei sich und findet seine gute Laune und auch seine Selbstsicherheit wieder. Ja, eigentlich amüsiert ihn das Ganze, zu offensichtlich entschlüsselt sich dem geschulten Kenner ihr Verhalten.

      Genüsslich beginnt er eine Melodie zu summen, die ihm für die Situation sehr passend vorkommt. Zuerst summt er sie leise, dann etwas lauter. Plötzlich hört er Martha in seinem Rücken. Sie singt gekonnt die Melodie mit. Etwas später übernimmt sie das Lied ganz. Kein Wunder: Sie kennt die Worte, die Zerlina singt. Und noch etwas, was er nicht wusste: Martha singt wunderschön. Er dreht sich auf den Bauch, um sie zu sehen. Sie steht sehr aufrecht in der Tür, hält sich mit beiden Händen am Türrahmen fest und singt mit geschlossenen Augen die zärtlichen Worte des Liebesduetts.

      An einer der schönsten Stellen bricht sie ab und öffnet die Augen. Jetzt könnte nicht die kleinste Stecknadel ungehört auf den Boden fallen.

      In welchem Bett schlafe ich?

      Ganz hinten steht ein breites Bett, es ist zufällig frisch bezogen. Ich schlafe hier auf dem Sofa. Wann möchte Zerlina denn frühstücken? Ich muss morgen um neun Uhr in der Hauptstadt sein. Fährst du mich hin? Am Nachmittag muss ich ins Büro und zurück in den Alltag.

      In Ordnung. Ich kann dich am Nachmittag auch in deinen Alltag zurückfahren. Ich habe ja immer noch mein Hotelzimmer und meine Sachen dort. In deiner Alltagsstadt, meine ich. Außerdem habe ich dort noch einiges zu erledigen.

      Wunderbar, Tanner.

      Sie macht einen zögernden Schritt, dann dreht sie sich noch einmal zu ihm um.

      Bist du mir böse? Ein bisschen? Ich hoffe nicht. Schlaf gut.

      Sie huscht unvermittelt zu ihm und küsst ihn mitten auf den Mund, allerdings: Hätte man die Zeit messen wollen, in der sich ihre Lippen berührten, würden Geräte aus der Welt der mechanischen Zeitmessung leider nichts anzeigen. Aber die Zeit reichte immerhin, um ihren Duft wahrzunehmen.

      Als sie längst im Dunkeln verschwunden ist, kommt ziemlich verspätet die Antwort auf ihre letzte Frage. Sie ist ja auch nicht für ihre Ohren bestimmt. Dann ist es plötzlich sehr still. Nur der Duft verweilt noch eine Weile. Vielleicht bildet er sich das auch nur ein. Ja, so ist das mit den Düften.

      ZEHN

      Serge Michel sitzt in seinem klimatisierten Dienstwagen und kaut lustlos an einem mächtigen Spezialsandwich, das die Vermieterin des trostlosen Appartements, das er seit Jahren bewohnt, fachgerecht für ihn zubereitet hat. Fachgerecht im Michel’schen Sinne. Das macht sie jeden Tag.

      Für das Sandwich nimmt sie eines jener unglaublich knusprigen Halbweißbrote, ein halbes Kilo schwer, schneidet es mit ihrem scharfen Sägemesser einmal quer durch, bestreicht die aufgeschnittenen Brotteile dick mit Butter, die sie sich bei dem Bauern um die Ecke besorgt. Auf die Butter kommt eine dicke Lage Senf. Ein viertel Glas geht dabei spielend drauf. Dann kommen verschiedene Lagen Fleisch und Gemüse. Auf die glatte Senfpiste kommt erst einmal eine ebenso glatte Schicht fein geschnittener, gekochter Schinken. Dann eine Lage Speckstreifen, und zwar in krauser, aufgelockerter Form, nicht glatt hingelegt. Auf den Speck kommt je nach Jahreszeit eine Lage frische Tomaten, gebratene Auberginen, gedämpfte Peperoni oder in Gottes Namen halt sonst ein Gemüse, das die Frau vielleicht noch vom Mittagessen des Vortages übrig hat. Nur jede Art von Kohl hat sich der gute Michel verbeten. Und keine Gurken. Michel hasst Gurken. Auf das möglichst farbige Gemüsebeet oben drauf – quasi als innerster Kern des Sandwichs – wird gebratenes Fleisch gebettet. Wiener Schnitzel hat er am liebsten. Es darf ab und zu auch einmal das ausgelöste Fleisch eines gebratenen Huhns sein. Auf diese innerste Fleischschicht kommt dann in umgekehrter Reihenfolge wieder Gemüse, Speck, Schinken. Am Schluss die zweite mit Butter und Senf bestrichene Brothälfte. Symmetrie ist alles.

      Dass er lustlos isst, kommt bei dem kolossalen Vielfraß Serge Michel im Schnitt erwiesenermaßen höchstens alle zehn Jahre einmal vor. Jetzt ist die Statistik allerdings ins Wanken geraten, denn vor zwei Wochen ist es schon einmal vorgekommen. An dem Tag nämlich, als ihn seine Geliebte mit den Worten verließ, sie könne leider nicht mit einem Polizisten zusammen sein. Es sei für sie ganz und gar unmöglich, da sie nämlich jeden Tag vor Angst um ihn fast sterben müsse. Sie würde das bei aller Liebe und trotz allnächtlicher sexueller Ekstase, was sie so noch nie erlebt habe – wie auch, sie war ja noch Jungfrau, als sie den dicken Michel kennen lernte – einfach nicht aushalten. Er sei ja als Polizist mit dem Abschaum der Menschheit konfrontiert und ständig in Gefahr. Außerdem wolle sie Kinder, und das ginge nun partout nicht, nein, nein. Ein Vater, der ständig in Gefahr sei. Kinder, die mit einem Bein schon im Waisengrab stehen. Nein, nein, nein!

      Sie war nicht zu bremsen, waren ihre Bilder und Beispiele auch noch so abstrus. Wie ein steter Lavafluss strömten ihre Argumente. Jedes, das Michel widerlegte, gebar sieben neue. Er mühte sich ab, erklärte, beschwor, flehte auf Knien und weinte. In den letzten Nächten ihres Beisammenseins steigerte er seine Bemühungen um ihre sexuelle Befriedigung ins schier Übermenschliche. Sie bebte und zitterte vor Lust. Ihr weißer Leib glühte vor angeheiztem Verlangen. Die pralle und an köstlich steil aufragenden Erhebungen, Spalten und Ausbuchtungen so reich gesegnete Topographie ihres Fleisches wurde von Michels Händen derart bearbeitet, als gälte es, sie neu zu formen. Die Wellen ihrer Wollust nahmen geradezu beängstigende Formen an, quasi tsunamihafte Ausmaße. Er sah nach diesen Tagen seines erbitterten Kampfes aus, als hätte er ganz allein noch einmal die blutige Schlacht von Solferino geschlagen. Und verloren.

      Eines Morgens war das Bett neben ihm leer und im Badezimmer waren alle ihre Sachen weg. All die Fläschchen, Döschen und sonstigen geheimnisvollen Gerätschaften, die eine Frau braucht, die sich an den Schimären der illustrierten Hefte orientiert – alles war verschwunden. An diesem Tag hat Michel wirklich wenig gegessen und das Wenige lustlos.

      Heute allerdings will sich der übliche Heißhunger aus einem anderen Grund nicht einstellen. Die dritte erschlagene Kuh ist im See gefunden worden. Und er hat immer noch nicht den geringsten Hinweis in der Hand. Nicht das leiseste Anzeichen von einer Spur. Es ist zum Davonlaufen. Auch die Laune des Herrn Oberstaatsanwalt verschlechtert sich von Tag zu Tag. Tote Kühe im See machen sich irgendwie nicht besonders gut. Die Hotels am See klagen schon über sinkende Bettenbelegungen.

      Zu allem Überfluss hat sich das Wasser des Sees über weite Flächen in tiefrotes Blut verwandelt. Da die farbliche Verwandlung zeitlich hinterlistig exakt nach dem Auftauchen der ersten erschlagenen Kuh begann, verbindet die einfache Volksseele das rote Wasser mit den toten Kühen. Dass es sich um eine explosionsartige Vermehrung der so genannten Blutalgen handelt, ein Phänomen, das sich in diesem See alle paar Jahre wiederholt, kann nichts an der Penetranz ändern, mit der eine gewisse Presse genüsslich einen Zusammenhang mit dem Blut der Kühe suggeriert, lechzend und bereitwillig aufgenommen von einer sensationslüsternen Bevölkerung. Normalerweise ergötzte sich der Volksmund an der Verbindung zu den in diesem See kurz nach Pfingsten 1476 abgeschlachteten Burgundern. Wenn sich also alle paar Jahre der See rot färbte, sprach man mit angenehmem Schaudern vom Burgunderblut.

      Michels Auto steht ganz oben auf dem sanften Hügel. Weit unterhalb liegt der blutrote See. Wer um Gottes willen erschlägt wehrlose Kühe? Und mit so ungeheurer Gewalt? Um einen massigen Kuhschädel derart zu zertrümmern, muss einer schon mit einem riesigen Bauhammer mit ungeheurer Kraft zuschlagen. Muss mit einem langstieligen Hammer ausholen wie der Waldschrat mit der Riesenaxt auf dem berühmten Bild. Im Moment des Ausholens muss die Kuh den Täter mit ihren großen, sanften, ja zärtlichen