Die zerebrospinale Fluid Tide kann genutzt und gelenkt werden, indem man ihr existierendes rhythmisches Muster modifiziert. Man bringt die Bewegung der Flüssigkeit (mit dem inhärenten Lebensatem) hinunter zu einem Stillpunkt und durch diesen hindurch. Während dieses Stillpunktes vollzieht sich eine sofortige Veränderung innerhalb der Tide und ein Austausch zwischen dem Liquor cerebrospinalis und allen anderen Körperflüssigkeiten – eine Transmutation zwischen den Dynamiken der Potency mit ihrem Lebensatem und der Vitalität aller lebendigen Gewebe und Flüssigkeiten im Körper. In diesem Moment findet eine Transmutation statt zwischen der Potency und ihrem sich sichtbar manifestierenden physiologischen Funktionieren im gesamten Körper.
Man kann die verschiedenen Arten der Fluktuationen (Tiden) des Liquor mit Hilfe von Palpation beobachten und man kann die Qualität der Tide eines jeden Menschen evaluieren. Ebenso ist es möglich, die Veränderungen wahrzunehmen, die geschehen, wenn die Tide hinunter zu ihrem Stillpunkt und durch ihn hindurch gebracht wird, sowie die therapeutische Reaktion im Primären Atemmechanismus und in der Körperphysiologie. Bei dieser Reaktion auf die Stille der Tide und die Transmutation gehen die Folgen weiter als beim einfachen Lösen einer somatischen Dysfunktion. Es kommt zu einem Loslassen, das eine Rückkehr zu gesundem Funktionieren initiiert. Kenntnis und Gebrauch der Tide des Liquor cerebrospinalis bieten ein gutes Beispiel dafür, wie man erreicht „[…] der innewohnenden physiologischen Funktion zu erlauben, ihre unfehlbare Potency zu entfalten, statt von außen blinde Kraft anzuwenden.“22
Wie Dr. A. T. Still in seiner Autobiografie bemerkt, hat er die Grundlagen der Wissenschaft der Osteopathie nicht erfunden – er hat sie entdeckt. Genauso erfand Dr. W. G. Sutherland das Kraniale Konzept nicht – er entdeckte seine grundlegenden Prinzipien. Er fand heraus, dass der Liquor cerebrospinalis sich mit dem austauscht, was er den Atem des Lebens nannte. Kontrolliert man die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis, indem man ihn hinunter bringt zu einem relativen Stillpunkt, erfolgt sofort eine Transmutation, ein Austausch zwischen dem Höchsten Bekannten Element und dem Liquor cerebrospinalis. Durch diesen Austausch ergibt sich ein nährender Faktor, den man Funken und Bioenergie nennen kann, und ebenso weitere, erst noch zu entdeckende Faktoren, die zwischen dem Liquor cerebrospinalis und dem Zentralen Nervensystem, den Kapillaren des Plexus choroideus, und wo auch immer Liquor cerebrospinalis in der gesamten Körperphysiologie zu finden ist, wirken. Komplizierte, leblose Maschinerie – wie in einem Auto, einer Spülmaschine, einer Mondrakete – braucht einen Funken in ihren Systemen, damit sie startet und läuft. Biologische Systeme haben seit Jahrtausenden einen Funken und ein Bioenergie-System in ihre Mechanismen eingebaut. Dies ist keine esoterische oder religiöse Fantasie; es ist eine einfache, bioenergetische, physiologische Tatsache.
3.3. DIE FLUKTUATION DES LIQUOR CEREBROSPINALIS: IHRE NATUR UND IHR THERAPEUTISCHER GEBRAUCH
Überarbeitete Fassung eines Vortrages, gehalten 1976 in einem Grundkurs der Sutherland Cranial Teaching Foundation in Milwaukee, Wisconsin.
Wir sprechen hier über etwas, dass weit über unsere normale Erfahrung oder unser Denken heraus reicht. Daher weiß ich nicht so recht, wie ich anfangen soll, aber wir werden ins Thema eintauchen und sehen, wie wir zurechtkommen. In den frühen Jahren seines Unterrichtens gab Dr. Sutherland seinen Studenten keine Instruktionen, wie der Liquor cerebrospinalis zu nutzen sei, da er das Gefühl hatte, sie seien nicht bereit dafür. Aufgrund seiner 30-jährigen Erfahrung wusste er alles über den Liquor cerebrospinalis und nutzte ihn. Er nutzte ihn viele Jahre lang in seinem eigenen Geistes, in seinen eigenen Händen und in seinen eigenen Patienten. Seine Ausbilder ließ er jedoch erst ab etwa 1947 in den Kursen unterrichten, wie man den Liquor cerebrospinalis und den Fluid Drive nutzt. Daher meinten einige, er habe den Liquor cerebrospinalis erst 1947 entdeckt, was aber nicht stimmt.
Dr. Will Sutherland und ich kannten einander gut, und ich weiß, dass der Liquor cerebrospinalis ein integraler Bestandteil seines Wissens war – und zwar schon seit den allerersten Anfängen seiner Entwicklung der detaillierten Anatomie und Physiologie des Primären Atemmechanismus. Weil die Kursteilnehmer dieser ersten paar Jahre seiner Einschätzung nach einfach schon genug damit zu tun hatten, die Vorstellung zuzulassen, dass die kranialen Knochen sich bewegen, sah er zunächst davon ab, über den stimulierenden Faktor zu sprechen, der diese Knochen sich bewegen lässt. So ging er in der Arbeit mit uns schrittweise von außen nach innen: Er begann mit der knöchernen, gelenkigen Mobilität des Schädelskeletts, führte uns dann allmählich an die reziproke Spannungsmembran heran, die als eine Einheit funktioniert, um die Knochen zu verbinden und zu bewegen, und kam schließlich zur Motilität des Zentralen Nervensystems sowie zum Fluid Drive. Es ist völlig unmöglich, diesen Mechanismus in einzelne Funktionseinheiten zu unterteilen – so arbeitet er im Körper keinesfalls. Freilich hat er fünf Teile, so wie wir es unterrichten, aber er arbeitet als eine Einheit, als eine einzige Funktionseinheit. Dein gesamter Körper geht von Kopf bis Fuß in seiner unwillkürlichen Mobilität zehn Mal pro Minute in anatomisch-physiologische Flexion/Außenrotation und Extension/Innenrotation – eine Mikromobilität durch das gesamte Funktionsmuster des ganzen Körpers hindurch.
Ich habe einen willkürlichen Körper, mit dem ich herumgehe, den ich sich schütteln oder sonst etwas tun lassen kann, was ich will. Und gleichzeitig, während ich das tue, während ich hier stehe, vollzieht sich diese unwillkürliche Flexion/Außenrotation und Extension/Innenrotation im gesamten Mechanismus, der zu uns gehört.
Mögen uns auch ‚wissenschaftliche‘ Beweise fehlen, dass der Primäre Atemmechanismus für dieses ganze unwillkürliche System im gesamten Körper verantwortlich ist: Wir können dennoch kategorisch sagen – und diese Behauptung lässt sich definitiv aufstellen – dass dies die einzige Art ist, wie der Primäre Atemmechanismus arbeitet. Es gibt innerhalb des Primären Atemmechanismus keine Muskelarbeit oder sonstige will-kürlichen Mechanismen, die ihn zu dieser Flexion/Außenrotation und Extension/Innenrotation veranlassen – dies ist wirklich die einzige Art und Weise, wie er arbeitet.
Es ist ein Mechanismus, und dies bedeutet, dass wir ihn auch als Mechanismus studieren müssen. Wir müssen die Knochen, die Hirnhäute, das Zentrale Nervensystem und den Liquor cerebrospinalis als Arbeitseinheiten studieren – als Arbeitseinheiten, die zu etwas gehören, das tut, was es tut, weil es dafür bestimmt wurde und weil das eben einfach die einzige Art und Weise ist, wie es funktionieren kann.
Meine Aufgabe ist es nun, über den Anteil des Liquor in diesem Mechanismus zu sprechen. Laut Dr. Sutherland ist der Liquor cerebrospinalis das primäre, grundlegende Prinzip im Primären Atemmechanismus. Nach Dr. A. T. Still ist er das Höchste Bekannte Element im menschlichen Körper, und es gibt weitere Stellen in seinen Schriften, die andeuten, dass da etwas anders ist als bei anderen Körperflüssigkeiten, dass es da etwas gibt im Liquor cerebrospinalis, das ein grundlegendes Gesetz ausdrückt.
Der Liquor ist ein Fluid Drive. Er fluktuiert und verändert sich und benötigt nicht das Einrollen und Ausrollen des Zentralen Nervensystems, damit er fluktuieren kann. Er fluktuiert, Punkt. Diese Tatsache muss man annehmen. Ich habe sie an dem Tag akzeptiert, als ich Will Sutherland sie aussprechen hörte. Ich nahm an, dass es wahr sei, und ich habe niemals einen gegenteiligen Beweis in meinen Patienten gefunden. Es ist mir eigentlich vollkommen egal, was ihn zum Fluid Drive macht – ich möchte ihn einfach arbeiten lassen – er ist ein Prinzip.
Der Liquor cerebrospinalis hat einen automatischen Fluid Drive, der Dinge geschehen lässt. Nach Dr. Sutherland ist sie mit einem Atem des Lebens gesegnet. Nun, was hat er damit gemeint? Das müsst ihr für euch selbst herausfinden. Sie besitzt einen unsichtbaren Funken, eine Potency, sie hat etwas, das es liebt, zum Fluid Drive zu werden. Sie hat etwas, was sie zu dem macht, was sie ist – zu einem ursächlichen Prinzip. Sie hat einen nährenden Anteil. Einen nährenden Anteil, der das gesamte Zentrale Nervensystem inklusive der zwölf Hirnnerven badet. Die Flüssigkeit umhüllt das gesamte Rückenmark und befindet sich auch in dessen Zentralkanal. Sie fließt durch die duralen Umhüllungen der Nerven hinaus und weiter am peripheren Nervensystem entlang sowie durch das periphere Nervensystem hindurch und durch die