Und was müsste passieren, damit das Volk seine Stimme wiederbekommt?
Die Leute müssen empowert, befähigt werden, ihre Interessen auszudrücken, um diese in demokratische Prozesse einbeziehen zu können. Sozial schwache Schichten sollten viel mehr gestärkt werden, damit sie ihre Stimme wieder zurückbekommen. Hilfe zur Selbsthilfe. Die Schwächsten haben sie gar nicht mehr. Das zeigt sich dann in den sozialen Netzwerken. Lies dir mal die Facebook-Kommentare durch! Da wird einfach nur Hass rausgeschrien. Die sind frustriert, weil sie keine Möglichkeit haben, sich produktiv und konstruktiv in der Gesellschaft zu beteiligen. Die Wirtschaftsordnung müsste dahingehend geändert werden, dass nicht wenige Riesenkonzerne den kompletten Markt kontrollieren. Der Neoliberalismus muss mehr eingeschränkt werden, dass nicht nur die individuellen Interessen, wie Profit zu erwirtschaften, im Vordergrund stehen. Das hat viele negative Folgeerscheinungen. Und der Geldfluss innerhalb der Gesellschaft sollte gerechter gestaltet werden, beispielweise mit effektiven Besteuerungen von Spitzenverdienern und Großkonzernen.
Steppenwolf, wie bist du eigentlich zu deinem Künstlernamen gekommen?
Durch das gleichnamige Buch von Hermann Hesse. Da geht es um Harry Haller, er ist 46 und eine verloren wirkende Existenz. Er hat das Leben durchlebt, ist verzweifelt und fragt sich, wieso er noch weiterleben soll. Er sagt, dass er zwei Teile in sich hat: zum einen den Wolf, zum anderen den Menschen, er sozusagen aus dem Gegensatz zwischen Animalischem und Menschlichem besteht. Er fasst den Entschluss, sich zu seinem 50. Geburtstag umzubringen. Hesse ging es nach eigenen Angaben darum, ein Buch der Heilung zu schreiben. Der innere Prozess bei Harry Haller wird gezeigt. Und der beschreibt, wie er sich erholt und seinen Weg aus der Sinnkrise findet. Ich finde, der Steppenwolf ist eine schöne Beschreibung der Zerrissenheit des modernen Menschen.
Warum Rap-Texte und kein Schlager?
Ist das ’n Witz? Ich bin damit aufgewachsen, das war damals das Geilste! Rap ist eh die beste Form: Rap bringt Musik und Poesie zusammen. Besser gehts gar nicht. Und dann kannst du noch, was du selbst erlebt hast, in die eigenen Texte reinstecken. Hip-Hop ist ein Medium, das von jedem genutzt werden kann. Du kannst deine Gedanken aufschreiben und zu Reimen verarbeiten. Dann noch einen Beat dahinter, und du kannst sagen, was du willst, egal ob reich oder arm, egal welche Hautfarbe. Aber Rap hat sich schon gewandelt, das ist echt schade. Es gibt so viel beschissenes Zeug, was da heute verherrlicht wird. Materialismus, Sexismus, Homophobie, Gewalt, was weiß ich. Zurück zum Ursprung, zurück zum Protest!
Der Geldfluss innerhalb der Gesellschaft sollte gerechter gestaltet werden, beispielweise mit effektiven Besteuerungen von Spitzenverdienern.
Das hört sich schon auch wütend an, was du textest …
Ja. Wenn man jung ist, lässt man sich nicht so in die gesellschaftlichen Schranken weisen. Je älter man wird, desto mehr wird man ein Teil des gesellschaftlichen Zahnwerks, und man lässt sich nach und nach in die Ketten der Gesellschaft legen. Die junge »Scheißdrauf-Haltung« geht im Alter verloren. Das läuft meistens so, dass man selbst Verantwortung übernimmt, heiratet oder Kinder bekommt. Da geht das einfach nicht mehr. Alles andere macht auch nicht wirklich Sinn, das ist schon paradox. Wenn du 37 bist, allein unterwegs, säufst dir einen rein und versinkst in Weltschmerz, dann hat das schon etwas Lächerliches. Das ist mit 18 anders, da ist dir das einfach scheißegal. Das ist so in der Jugend verankert. Jeder Mensch, der einigermaßen vernünftig denkt, findet dieses Leben in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter absurd, meiner Ansicht nach. Und er fragt sich: Was soll ich eigentlich in dieser Welt machen?
Textauszug Prosatariat – Steppenwolf
hellwach nachts am schreibtisch, feile eifrig
an zeilen über die gesellschaft, die zeit tickt
weiter alles schreitet hier voran, nur der geist nicht
stufenweise steigt die versuchung, die nur das geld schafft
denn jeder will ein stück vom kuchen
materielles wird zum wesen um sein pures glück zu suchen
so verbluten kontinente korrupte konten
verbuchen dividende, auf kosten von zu vielen menschenleben
wir sind gebrandmarkt von ’nem lebensstandard,
der darauf basiert, dass die dritte welt unsre mittel stellt,
für uns anschafft, langsam krepiert,
trotzdem denken leute hier, wir würden standhaft regiert,
ausradiert, ist politischer diskurs,
raubtierkapitalisten vergiften die demokratischen prozesse,
geld schafft gesetze, der fiskus unterworfen
mit der globalisierung die letzte stimme des volkes gestorben
wurde überworfen, ermordet, von dem kapital
radikal wird die anwort ausfallen,
das ist klar das rad der geschichte ist nicht aufzuhalten
in der tat ist das proletariat gerade aufgespalten
über alle erdteile zerstreut,
im westen vergeuden sie ihre zeit während der rest für uns knechtet,
in ländern ohne zukunftsperspektive voller leid, ey es reicht,
also lasst uns kämpfen für’s gerechte
das geht an …
bandarbeiter maurer oder krankenschwestern
alle bauarbeiter schweißer oder landschaftsgärtner
maler und lackierer mechaniker oder kassenkraft
nach wie vor sind wir gefangen in nem klassenkampf
Welche Themen greifst du in deinen Texten sonst noch so auf, hast du ’ne spezielle Message?
Auf jeden Fall keine direkte Handlungsempfehlung. Das wäre das Lächerlichste überhaupt, wenn man in seine Texte so was reinpackt wie: Drogen sind scheiße. Es ist vielmehr eine Beschreibung, wie das Leben an mir vorbeizieht. Jeder muss seine Erfahrungen machen. Man hört sich das vielleicht an, denkt darüber nach und findet vielleicht die gleichen Sachen ansprechend, die mir im Kopf herumgehen. Aber das ist wahrscheinlich der Ausnahmefall, dass sich jemand ein Buch durchliest oder einen Track anhört und dann von heut auf morgen alles radikal ändert. Ich geb eher Anregungen und Impulse, statt ’ne Message rüberbringen zu wollen. Wir können uns alle richtig viel aus Musik rausholen, und es wäre gut, wenn die Musik jeder oder jedem Einzelnen hilft, seinen oder ihren Weg zu finden, der auch wirklich zu den einzelnen Personen passt und nicht die große Message für alle ist.
Angenommen, du könntest dir deine Welt texten, so wie sie dir gefällt. Wie würde sie aussehen?
Im Endeffekt würden die meisten Menschen mit gesundem Menschverstand sich eine Welt ausmalen, die gerecht ist, die fair ist, in der jedes Individuum ohne Einschränkungen wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder seines Alters leben kann – die besten Rahmenbedingungen für die Selbstverwirklichung halt. Nachteil: Vermutlich hätte aber auch jede*r den höchsten moralischen Zwang überhaupt. Momentan ist es so, dass es viel zu kritisieren gibt, was natürlich viele Möglichkeiten mit sich bringt, sich künstlerisch auszudrücken. Da würde viel kreatives Zeug wegfallen, wenn alles perfekt wäre; dann könntest du höchstens irgendwelche Texte schreiben, wie supertoll die Welt ist … klasse. Man muss sich schon auch noch reiben können zwischen den Polen gut und schlecht. Meine Welt wäre schon eine utopische, in der sich alle theoretisch selbstverwirklichen können und es allen einigermaßen gut geht. Ist dann nur