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Kommt ein Sachverhalt zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden, gelingt es diesen meist, einen Tatverdächtigen zu benennen; die Polizeiliche Kriminalstatistik weist eine Aufklärungsquote von über 90 %, häufig sogar von über 95 % aus.[7] Dies erklärt sich daraus, dass mit Bekanntwerden eines Korruptionssachverhalts die möglichen Tatbeteiligten in der Regel bereits feststehen. Trotz dieser günstigen Ausgangslage gibt es rechtstatsächliche Hinweise dafür, dass Staatsanwaltschaften Verfahren häufig mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen.[8] Dies wird unter anderem auf eine problematische Fassung des Tatbestands zurückgeführt (vgl. dazu Rn. 5 ff.).[9] Auch Verurteilungen sind selten. Die Strafverfolgungsstatistik verzeichnet für das Jahr 2018 nur 21 Verurteilungen nach §§ 299 f. StGB, davon sieben im besonders schweren Fall (§ 300 StGB).[10] Soweit angesichts der geringen Verurteilungszahlen Aussagen dazu überhaupt sinnvoll sind, lässt sich feststellen, dass Gerichte bei § 299 StGB vorwiegend Geldstrafen ausurteilen und zwar im Bereich von bis zu 90 Tagessätzen.[11] Bei Verurteilungen im besonders schweren Fall nach § 300 StGB überwiegen Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren. 2018 wurden die nach §§ 299, 300 StGB verhängten Freiheitsstrafen ausnahmslos zur Bewährung ausgesetzt.[12]
2. Entwicklung des Tatbestands; europäische und internationale Vorgaben
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§ 299 StGB wurde 1997 durch das (erste) KorrBekG[13] in das StGB aufgenommen. Zuvor war der Tatbestand weitgehend inhaltsgleich[14] in § 12 UWG a.F. geregelt. Die Herausnahme aus dem UWG sollte einerseits das Bewusstsein schärfen, dass auch Korruption im geschäftlichen Verkehr strafrechtlich relevantes Unrecht ist.[15] Gleichzeitig legte die Verschiebung ins Kernstrafrecht einen Grundstein für ein nicht länger ausschließlich wettbewerbsrechtliches Verständnis der Vorschrift. Die bestehende Wettbewerbsvariante der Vorschrift wurde schließlich 2015 durch das (zweite) KorrBekG um eine sog. Geschäftsherrenvariante in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 ergänzt (siehe dazu Rn. 11).[16] Dies weitete die Strafbarkeit erheblich aus,[17] was bis heute auf heftige rechtspolitische Kritik stößt.[18] Auf die Fallzahlen hat sich die Tatbestandsergänzung bislang nicht erkennbar ausgewirkt (siehe Rn. 1).
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Durch § 299 StGB in seiner aktuellen Form werden europäische und internationale Vorgaben (größtenteils[19]) umgesetzt (vgl. dazu Einführung Rn. 12 ff.). Unionsrechtlich ist dies namentlich der EU-Rahmenbeschluss 2003/568/JI vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Korruption im privaten Sektor. Im internationalen Recht gibt es ähnliche Vorgaben: neben Art. 7 und Art. 8 des Strafrechtsübereinkommens des Europarats v. 27.1.1999 (ETS Nr. 173)[20] sollen die Vertragsstaaten auch nach Art. 21 UNCAC Maßnahmen in Erwägung ziehen, die Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor unter Strafe stellen.
3. Struktur der Vorschrift
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§ 299 StGB gleicht in seiner Tatbestandsstruktur der Amtsträgerkorruption und hier insbesondere der Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332, 334 StGB).[21] Sowohl die Geber- als auch die Nehmerseite machen sich strafbar und zwar gleichermaßen in der Wettbewerbs- und der Geschäftsherrenvariante (vgl. Rn. 10 f.).
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In keiner der Varianten des § 299 StGB gehört die Vornahme der mit dem in Aussicht gestellten Vorteil erstrebten Handlung oder Unterlassung zum Tatbestand.[22] § 299 StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Für die Tatbestandsvollendung ist weder die materielle Verletzung noch eine konkrete Gefährdung des jeweils geschützten Rechtsguts erforderlich. Es genügt die mit der inkriminierten Handlung typischerweise einhergehende, abstrakte Gefährlichkeit.
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Die Strafbarkeit der Nehmerseite (Bestechlichkeit nach Abs. 1) ist als Sonderdelikt ausgestaltet; nur Angestellte und Beauftragte eines Unternehmens sind taugliche Täter. Die Strafbarkeit der Geberseite ist in der Geschäftsherrenvariante (Bestechung nach Abs. 2 Nr. 2) ein Allgemeindelikt. In der Wettbewerbsvariante (Bestechung nach Abs. 2 Nr. 1) wird zwar vom Wortlaut keine bestimmte Täterqualität gefordert. Jedoch können Täter nur solche Personen sein, die mit relevantem Bezug auf den Wettbewerb handeln können,[23] was die Einordnung als ein beschränktes Allgemeindelikt rechtfertigt.
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Trotz unterschiedlicher Schutzrichtungen (siehe Rn. 9 ff.) entsprechen sich die in Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 geregelte Wettbewerbsvariante und die in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 geregelte Geschäftsherrenvariante in ihrer Ausgestaltung. Sie setzen weitestgehend die Verwirklichung derselben Tatbestandsmerkmale voraus. Die beiden Varianten unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Gegenstands der zu treffenden Unrechtsvereinbarung,[24] der sich einmal auf eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb, einmal auf eine Pflichtverletzung gegenüber dem Unternehmen beziehen muss (siehe Rn. 32 ff., Rn. 37 ff.). Daneben hat jedenfalls nach dem Wortlaut der Norm eine Einwilligung des Unternehmens nur in der Geschäftsherrenvariante strafbefreiende Wirkung (vgl. Rn. 42 ff.).
4. Schutzzwecke der Vorschrift
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Die Schutzzweckzusammenhänge des § 299 StGB sind seit jeher umstritten und seit der Regelung eines sog. Geschäftsherrenmodells (siehe Rn. 3) endgültig unübersichtlich geworden.[25] Nach wohl überwiegender und zutreffender Ansicht liegt § 299 StGB in seiner aktuellen Fassung kein einheitlicher Schutzzweck zugrunde („Hybridtatbestand“). Vielmehr ist zwischen der Wettbewerbsvariante (Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1) und der Geschäftsherrenvariante (Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2) zu unterscheiden. Bedeutsam sind diese mehrdimensionalen Schutzzweckzusammenhänge nicht nur für die Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale, sondern auch für die Bestimmung der Verletzteneigenschaft bezüglich der Anwendbarkeit auf Auslandssachverhalte (§ 7 Abs. 1 StGB)[26] und des Strafantragsrechts (§ 301 Abs. 2 StGB)