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(b) Da bei der Aufstellung eines Jahresabschlusses auf die am Abschlussstichtag bestehenden Verhältnisse abzustellen ist und nicht auf die Verhältnisse am Tag der Bilanzerstellung, muss bei Erkenntnissen, die zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Bilanzerstellung gewonnen werden, danach unterschieden werden, ob es sich um werterhellende oder um wertbegründende Informationen handelt:[4]
– | Eine werterhellende Information liegt vor, wenn ein buchführungspflichtiger Vorgang, der im abgelaufenen Wirtschaftsjahr eingetreten ist, dem Rechnungslegenden am Abschlussstichtag noch nicht bekannt war, er die erforderlichen Informationen aber noch vor Aufstellung seines Jahresabschlusses erhält. Das Gebot der materiellen Vollständigkeit in zeitlicher Hinsicht schreibt im Zusammenwirken mit dem Stichtagsprinzip vor, dass dieser dem vergangenen Wirtschaftsjahr zuzuordnende Vorgang bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu berücksichtigen ist. |
– | Wertbegründende Informationen betreffen Geschäftsvorfälle, die erst nach dem Abschlussstichtag eintreten, die also am Bilanzstichtag objektiv noch nicht vorlagen. Bei der Aufstellung der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung für das abgelaufene Wirtschaftsjahr dürfen sie nicht berücksichtigt werden, da ihre wirtschaftliche Ursache nach dem Bilanzstichtag liegt. Sie sind in der für das nächste Wirtschaftsjahr aufzustellenden Bilanz zu erfassen. |
Beispiele:
Am 30.12.01 platzt in einer ungeheizten Lagerhalle ein Wasserrohr. Der Betriebsinhaber entdeckt den Wasserschaden erst am Morgen des 2.1.02. Bei der Entdeckung des Wasserschadens handelt es sich um eine werterhellende Information. Der Wertverlust an den gelagerten Rohstoffen und der Gebäudeschaden sind bereits in der Bilanz zum 31.12.01 zu berücksichtigen.
Am 3.1.02 brennt ein Produktionsgebäude aus. Der Brandschaden stellt ein wertbegründendes Ereignis dar, das in der Bilanz des Jahres 01 noch keinen Einfluss auf die Bewertung des Gebäudes hat. Allerdings liegt ein Tatbestand vor, über den Kapitalgesellschaften im Anhang bzw Lagebericht zu berichten haben.
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Die Abgrenzung zwischen (zu berücksichtigenden) werterhellenden und (noch nicht auszuwertenden) wertbegründenden Informationen beruht auf Objektivierungsüberlegungen. Das Abstellen auf die am Abschlussstichtag geltenden Verhältnisse erleichtert die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Geschäftsvorfälle. Würde auf die Verhältnisse am Tag der Bilanzerstellung abgestellt, würde dem Ersteller des Jahresabschlusses ein Ermessensspielraum eingeräumt, welcher Tag für die Bilanzierung und Bewertung relevant ist. Aufgrund des Fehlens eines konkreten zeitlichen Bezugspunkts würde eine Überprüfung durch Außenstehende erschwert.
Die Abgrenzung zwischen werterhellenden und wertbegründenden Tatsachen fällt nicht immer leicht. Ist nicht sicher, ob es sich um eine werterhellende oder um eine wertbegründende Information handelt, wird häufig ergänzend der Grundsatz der Bewertungsvorsicht herangezogen. Nach diesem zu den Kapitalerhaltungsgrundsätzen gehörenden Prinzip sind Informationen über negative Entwicklungen eher als werterhellend anzusehen, während Informationen über positive Entwicklungen eher als wertbegründend zu beurteilen sind.
Beispiel:
Am 15.2.02 wird über das Vermögen eines Schuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet. Die Bilanz des Gläubigers wird im März 02 aufgestellt. Offen ist, durch welches Ereignis sich die wirtschaftliche Lage des Schuldners so verschlechtert hat, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.
Nach dem Grundsatz der Bewertungsvorsicht ist anzunehmen, dass die Ursache für die Insolvenz schon im Jahr 01 eingetreten ist. Damit ist die Nachricht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens als werterhellendes Ereignis zu beurteilen. Dies bedeutet, dass der Forderungsausfall bereits im Jahresabschluss für das Jahr 01 aufwandswirksam zu erfassen ist.
Ein seit längerer Zeit laufender Schadensersatzprozess wird am 5.1.02 durch die Rücknahme der Klage durch den Prozessgegner beendet. Bei der Klagerücknahme durch den Prozessgegner handelt es sich um ein wertbegründendes Ereignis, das erst im Jahr 02 berücksichtigt werden darf. Die für den möglicherweise zu leistenden Schadensersatz gebildete Rückstellung darf im Jahr 01 noch nicht ausgebucht werden.
Im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung ist zusätzlich der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit und Tatbestandsbestimmtheit zu beachten. Dies bedeutet, dass bei der Abgrenzung zwischen werterhellenden und wertbegründenden Informationen dem Objektivierungsgedanken gegenüber dem Grundsatz der Bewertungsvorsicht Vorrang einzuräumen ist: Bei einer Betonung des Objektivierungsgedankens werden Geschäftsvorfälle nach dem Grad der Bestimmtheit der vorliegenden Informationen eingeordnet. Ist nicht eindeutig zu begründen, ob es sich um eine werterhellende oder eine wertbegründende Information handelt, sollte die Information im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung (noch) nicht berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass in den Fällen, in denen keine nachprüfbaren Argumente vorliegen, zu welchem Zeitpunkt das betreffende Ereignis eingetreten ist, eher von einer wertbegründenden Information auszugehen ist. Der betrachtete Vorgang ist nur dann bereits in der für das vergangene Wirtschaftsjahr aufzustellenden Steuerbilanz zu erfassen, wenn plausibel begründet werden kann, dass es sich um einen Vorgang handelt, der der abgelaufenen Periode zuzurechnen ist. Diese Handhabung sollte unabhängig davon gelten, ob es sich um einen ertrags- oder aufwandswirksamen Vorgang handelt. Folgt man dieser Auffassung, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Abgrenzung zwischen wertbegründenden und werterhellenden Informationen in der Handelsbilanz anders vorgenommen wird als im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung.
Informationen, die erst nach Aufstellung der Bilanz zugehen, können auch dann nicht mehr in dem für das abgelaufene Wirtschaftsjahr aufzustellenden Jahresabschluss ausgewertet werden, wenn es sich um werterhellende Tatsachen handelt.
Anmerkungen
Zum Realisationsprinzip siehe ausführlich Kapitel V.2., Rn. 101–118.
Zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit siehe Kapitel III.5., Rn. 87–88.
Zum Imparitätsprinzip siehe ausführlich Kapitel VI.2., Rn. 123–135.
Vgl EuGH vom 7.1.2003 (BIAO), ECLI:EU:C:2003:3; BFH vom 16.12.2014, BStBl. 2015 II, S. 759.
4. Grundsatz der Vergleichbarkeit (Bilanzidentität, formelle und materielle Bilanzstetigkeit)
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Der Grundsatz der Vergleichbarkeit lässt sich in drei Unterprinzipien einteilen: Bilanzidentität, formelle Bilanzstetigkeit und materielle Bilanzstetigkeit. Der Grundsatz der Vergleichbarkeit dient dazu, einen Zeitvergleich von Jahresabschlüssen desselben Unternehmens zu erleichtern. Er