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(1) Grundsatz der Bilanzidentität: Nach dem Grundsatz der Bilanzidentität (Grundsatz des Bilanzzusammenhangs) muss die Eröffnungsbilanz eines Wirtschaftsjahres in allen Positionen dem Grunde und der Höhe nach mit der Schlussbilanz des unmittelbar vorangehenden Wirtschaftsjahres übereinstimmen (§ 252 Abs. 1 Nr 1 HGB). Der Grundsatz der Bilanzidentität gewährleistet, dass die Summe der ausgewiesenen Periodengewinne mit dem tatsächlich erzielten Totalgewinn des Unternehmens übereinstimmt. Die Periodisierung von Ein- und Auszahlungen in Erträge und Aufwendungen beeinflusst lediglich den Zeitpunkt, zu dem ein Geschäftsvorgang erfolgswirksam wird. Die Art und Weise der Periodisierung entscheidet nicht darüber, ob der Erfolg dem Grunde nach ausgewiesen wird, sondern nur wann.
Der Grundsatz der Bilanzidentität stellt sicher, dass über den Zeitraum, in dem ein Unternehmen besteht, für die externe Rechnungslegung folgende Grundaussagen gelten:
Summe der Aufwendungen | = | Summe der Auszahlungen |
und | ||
Summe der Erträge | = | Summe der Einzahlungen |
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Da sich in einer Gesamtbetrachtung die Abweichungen zwischen dem Zahlungszeitpunkt und dem Zeitpunkt der Erfolgswirksamkeit ausgleichen, entspricht beispielsweise die Summe der als Aufwand verrechneten Abschreibungen eines Wirtschaftsguts den beim Erwerb angefallenen Auszahlungen. Rohstoffe gehen mit dem beim Erwerb bezahlten Preis in die Gewinn- und Verlustrechnung ein. Die Art und Weise der Bilanzierung und Bewertung in der Handels- oder Steuerbilanz beeinflusst den Gesamterfolg des Unternehmens nicht. Aufgrund des Grundsatzes der Bilanzidentität beschränkt sich der Effekt von Bilanzierungs- oder Bewertungsentscheidungen auf die Verteilung der Gewinne auf die einzelnen Perioden. Die im Rahmen der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung vorgenommene Periodisierung löst also lediglich einen Zeiteffekt aus, jedoch keinen Bemessungsgrundlageneffekt.
Unterbewertungen von Aktiva bewirken, dass der Gewinnausweis in die Zukunft verlagert wird. Im Zeitpunkt des Verbrauchs oder Verkaufs eines Wirtschaftsguts werden die durch die Unterbewertung gebildeten stillen Reserven (= Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert und dem Buchwert eines Wirtschaftsguts) gewinnerhöhend aufgelöst. Überhöhte Aufwandsverrechnungen (zB Sonderabschreibungen) und verzögerte Erfassungen von Erträgen (zB durch Bildung von steuerfreien Rücklagen) führen ertragsteuerlich grundsätzlich nur zu einer Steuerstundung. Bei konstanten Steuersätzen können bei den Ertragsteuern keine (endgültigen) Steuerersparnisse, sondern lediglich Liquiditäts- und Zinsvorteile erzielt werden (positiver Zeiteffekt). Bei progressiven Steuersätzen oder Veränderungen von Steuersätzen im Zeitablauf wird der positive Zeiteffekt durch positive oder negative Steuersatzeffekte verstärkt bzw abgeschwächt.[1]
In den letzten Jahren wurden Änderungen der steuerrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften häufig mit dem Schlagwort „Senkung der Steuersätze – Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ begründet. Da sich der bilanzielle Wertansatz nicht auf die Höhe der insgesamt zu versteuernden Gewinne auswirkt, ist diese Bezeichnung inhaltlich ungenau. Der Gesetzgeber beabsichtigt, dass Erträge früher erfasst und Aufwendungen später verrechnet werden. Materiell geht es um die Vorverlagerung des Zeitpunkts, zu dem eine Vermögensmehrung zu versteuern ist, bzw um eine Nachverlagerung des Zeitpunkts, zu dem eine Vermögensminderung steuerlich berücksichtigt werden kann. Im Hinblick auf den durch die Bilanzierung und Bewertung ausgelösten Zeiteffekt wäre deshalb der Begriff „Vorverlagerung der Bemessungsgrundlage“ inhaltlich zutreffend.
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(2) Grundsatz der formellen Bilanzstetigkeit: Nach dem Prinzip der formellen Bilanzstetigkeit (Darstellungsstetigkeit) sind die Form und Gliederung der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung im Zeitablauf in gleicher Weise zu gestalten. Dieser Grundsatz ist zwar lediglich für Kapitalgesellschaften im Gesetz formuliert (§ 265 Abs. 1 HGB). Für Einzelunternehmen und Personengesellschaften gilt er jedoch als ungeschriebener Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung. Der Grundsatz der formellen Bilanzstetigkeit bezieht sich sowohl auf die Bezeichnung der Posten und den Aufbau der Bilanz als auch auf die Zuordnung von Geschäftsvorgängen zu den einzelnen Bilanzpositionen bzw Ertrags- und Aufwandskonten.
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(3) Grundsatz der materiellen Bilanzstetigkeit (Grundsatz der Ansatz- und Bewertungsstetigkeit):[2] Der Grundsatz der materiellen Bilanzstetigkeit besagt, dass die auf den vorangehenden Jahresabschluss angewandten Ansatz- und Bewertungsmethoden beizubehalten sind (§ 246 Abs. 3, § 252 Abs. 1 Nr 6 HGB). Er beinhaltet die Forderung nach einer übereinstimmenden Anwendung der Ansatz- und Bewertungsmethoden in den einzelnen Wirtschaftsjahren (Methodenkontinuität) sowie nach einer Fortführung der Wertansätze (Wertstetigkeit). Sowohl der Grundsatz der Ansatzstetigkeit als auch der Grundsatz der Bewertungsstetigkeit entsprechen dem Objektivierungsgedanken. Diese beiden Unterformen der materiellen Bilanzstetigkeit erhöhen insoweit die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse im Zeitablauf, als gleiche Tatbestände in aufeinander folgenden Jahresabschlüssen gleich zu behandeln sind.
Die Ansatz- und Bewertungsmethoden sind immer dann beizubehalten, wenn gleichartige Sachverhalte zu beurteilen sind, dh wenn die anzusetzenden und zu bewertenden Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten vergleichbaren Nutzungs- und Risikobedingungen unterliegen. Art- und funktionsgleiche Bilanzierungs- und Bewertungsobjekte dürfen nicht ohne sachliche Begründung nach unterschiedlichen Methoden angesetzt oder bewertet werden. Dies gilt nicht nur für Sachverhalte, die bereits im vorangehenden Jahresabschluss erfasst wurden (zeitliche Stetigkeit), sondern auch für im laufenden Jahr zugegangene oder entstandene Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten, sofern gleichartige Positionen unter vergleichbaren Umständen im Vorjahresabschluss anzusetzen und zu bewerten waren (sachliche Stetigkeit, Grundsatz der einheitlichen Bewertung).
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Die Ansatzstetigkeit bezieht sich auf das planmäßige Vorgehen bei Entscheidungen über den Ansatz dem Grunde nach. Einbezogen werden sowohl die Ausübung von im Gesetz genannten Bilanzierungswahlrechten als auch die Konkretisierung von Ermessensspielräumen im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Ansatz eines bestimmten Bilanzpostens, sofern dem Vorgehen des Bilanzierenden ein bestimmtes Verfahren bzw eine Systematik zugrunde liegt. Ermessensspielräume bestehen insbesondere dann, wenn bei der Aufstellung des Jahresabschlusses ein Interpretationsspielraum besteht, weil im Gesetz ein unbestimmter Rechtsbegriff verwendet wird oder weil über die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Bewertungsmethoden sind definiert als in ihrem Ablauf konkretisierte Verfahren der Wertfindung, durch die ein Wert nachvollziehbar aus den bewertungsrelevanten Faktoren abgeleitet wird. Bei der Ausübung von ausdrücklich formulierten Bewertungswahlrechten ist die Bewertungsstetigkeit grundsätzlich zu beachten. Im Zusammenhang mit der Bewertung entstehen Ermessensspielräume insbesondere dann, wenn zwar der Bewertungsmaßstab als solcher festgelegt ist, aber die einzelnen Faktoren unbestimmt sind und Schätzungen oder Auslegungen im Rahmen bestehender Beurteilungsspielräume erfordern. Hierzu gehören beispielsweise die Art und Weise der Schätzung der Wahrscheinlichkeit über die Inanspruchnahme aus bestehenden Verpflichtungen, die Anwendung der Methoden zur Ermittlung der Herstellungskosten, der Regeln zur Ermittlung der Anschaffungsnebenkosten und der Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung des Werts von Rückstellungen.
Vom Grundsatz