a) Zurechnung der Verwendung
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§ 310 III Nr. 2 BGB verlangt nicht ausdrücklich, dass die vorformulierte Bedingung dem Verbraucher vom Unternehmer „gestellt“ sein muss. Sicher ist nur, dass Vertragsbedingungen, die auf Initiative des Verbrauchers in den Vertrag eingeführt werden, von der Vorschrift nicht erfasst sind[23]. Dagegen ist streitig, ob die Vorschrift nur auf Vertragsbedingungen anzuwenden ist, deren Verwendung dem Unternehmer zugerechnet werden kann[24], oder ob auch solche Bedingungen erfasst werden, die von neutralen Dritten in den Vertrag eingeführt werden[25].
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Die erste Ansicht stellt den Wortlaut von Nr. 1 und Nr. 2 des 310 III BGB einander gegenüber: Nr. 2 beziehe sich anders als Nr. 1 nicht ausdrücklich auf Vertragsbedingungen, die von anderen Personen als dem Unternehmer gestellt würden, erfasse also im Gegensatz zu Nr. 1 Drittbedingungen gerade nicht. Diese Interpretation erscheint freilich nicht zwingend: Der Wortlaut der Nr. 2 macht die Inhaltskontrolle lediglich davon abhängig, dass der Verbraucher auf die Klausel keinen Einfluss nehmen konnte; das kann bei Drittbedingungen ebenso der Fall sein wie bei vom Unternehmer gestellten Bedingungen. Die zweite Ansicht hält es demgegenüber zu Recht mit Rücksicht auf Art. 3 II 1 der Missbrauchsklausel-Richtlinie für europarechtlich unzulässig, die Inhaltskontrolle vorformulierter Bedingungen in Verbraucherverträgen davon abhängig zu machen, dass diese vom Unternehmer „gestellt“ werden. Entscheidend ist allein, dass der Verbraucher keinen Einfluss auf die Gestaltung der Klausel nehmen konnte. Daher sind auch solche für einen Einzelvertrag vorformulierten Vertragsbedingungen von § 310 III Nr. 2 BGB (und damit insbesondere von der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB) erfasst, die von neutralen Dritten, etwa Notaren, in den Vertrag eingeführt werden.
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Man wende nicht ein, der Verbraucher sei durch die gesetzlichen Neutralitäts- und Belehrungspflichten des Notars hinreichend geschützt[26]: Es haben mittlerweile so viele Fälle die Gerichte erreicht, in denen notarielle Vertragsklauseln sich als grob unangemessen erwiesen haben oder sich gar der beurkundende Notar zum Werkzeug der Initiatoren zweifelhafter Immobiliengeschäfte hat degradieren lassen (sog. Mitternachtsnotare), dass das Vertrauen des Rechtsanwenders in die Angemessenheit und Ausgewogenheit notarieller Vertragsentwürfe insgesamt nicht mehr gerechtfertigt ist.
b) Einflussmöglichkeit des Verbrauchers
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Der Verbraucher hat erst dann Einfluss auf die Gestaltung der Vertragsbedingung, wenn der Verwender ernsthaft seine Bereitschaft erklärt, auf Änderungswünsche des Kunden einzugehen[27]. Ob der Verbraucher sodann tatsächlich auf Änderungen dringt, ist unerheblich; allein die Möglichkeit der Einflussnahme führt dazu, dass die Anwendung des § 310 III Nr. 2 BGB ausscheidet und eine Inhaltskontrolle nach §§ 307–309 BGB nicht stattfindet.
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Die fehlende Einflussmöglichkeit muss gerade die spezifische Folge der Vorformulierung sein. Mit diesem Tatbestandsmerkmal trägt § 310 III Nr. 2 BGB dem Erfordernis einer AGB-typischen Gefährdungslage Rechnung: Jene Gefährdungslage ergibt sich daraus, dass der Verbraucher in die AGB nicht in Betätigung eines eigenen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillens, sondern allein deshalb einwilligt, weil er glaubt, der Vertrag komme nur zu den gestellten Bedingungen oder überhaupt nicht zustande. Aus diesem Grunde erscheint es konsequent, dass § 310 III Nr. 2 BGB selbst für den Einzelvertrag vorformulierte Bedingungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterwirft; denn der Verbraucher wird aus seiner Sicht kaum je verlässlich beurteilen können, ob ihm ein Standardvertrag oder ein gerade für den Vertragsschluss mit ihm bestimmter Vertragsentwurf unterbreitet wird[28]. Häufig wird daher der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der Verbraucher keinen Einfluss nehmen konnte. Hier kann durchaus auch die wirtschaftliche Überlegenheit des Unternehmers eine Rolle spielen[29]; denn der unterlegene Verbraucher wird infolge der Vorformulierung um so mehr den Eindruck gewinnen, dass er entweder zu diesen (ihm vom Unternehmer vorgelegten) Bedingungen oder überhaupt nicht abschließen kann.
Anmerkungen
BGH NJW 1981, 2344, 2345. Vgl. dazu auch noch unten Rn. 86.
BGHZ 184, 259 Rn. 10; BGH NJW 1991, 843; ZIP 2000, 1535, 1536 f.; ZIP 2005, 1604; ebenso OLG Oldenburg MMR 2011, 656, 657; Kaufhold BB 2012, 1235, 1238.
Auf Letztere weist besonders Graf von Westphalen NJW 2006, 2228 hin.
Schwenker/Thode ZfIR 2005, 635, 637.
BGHZ 157, 102, 106 f.; BGH NJW 2017, 263 Rn. 30; OLG Düsseldorf NJOZ 2017, 436 Rn. 30; OLG Hamm NJW 2013, 392.
BGHZ 118, 229, 238.
BGHZ 118, 229, 238; 157, 102, 106.
Graf von Westphalen NJW 2005, 1987, 1988.
BGH NJW 1981, 2344, 2345. Vgl. auch BGH NJW 1991, 1117: Neun Verwendungsfälle in jedem Fall ausreichend.
BGH NJW 1997, 135; NJW 1998, 2286, 2287.
BGH WM 1984, 1610, 1611.
BGH NJW 2002, 138, 139; NJW 2002, 2470, 2471; NJW 2004, 1454; ebenso Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack AGB-Recht, § 305 Rn. 25a.
Heinrichs NJW 1977, 1505, 1506. Vgl. auch Sonnenschein NJW 1980, 1489, 1491: „drei oder mehr“ Verwendungsfälle.
Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer/Habersack