BGH NJW 1977, 624, 625.
1. Allgemeine Begriffsbestimmung
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Bereits beim Begriff der „Vorformulierung“ kommt der generalisierende Charakter von AGB zum Ausdruck: Klauseln, die ein Vertragsteil aus Anlass des konkreten Vertragsabschlusses entwirft, sind selbst dann nicht vorformuliert, wenn sie bereits in unterschriftsreifer Fassung vorliegen, bevor der Verwender mit seinem Angebot an die Gegenseite herantritt. Der BGH hat sich vielmehr für die folgende Begriffsbestimmung ausgesprochen[1]:
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Tipp
Vertragsbedingungen sind im Sinne des § 305 I 1 BGB nur, aber auch immer dann vorformuliert, wenn sie als Grundlage oder Rahmen für gleichartige Rechtsverhältnisse mit verschiedenen Kunden aufgestellt sind.
2. Vorformulierung durch Dritte
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Dagegen ist nicht entscheidend, ob der Verwender die Bedingungen selbst vorformuliert, hierzu den Auftrag gibt oder aber stattdessen auf allgemein zugängliche (empfohlene) Vertragswerke zurückgreift[2]. Wenn also die soeben wiedergegebene Definition erfüllt ist, handelt es sich um AGB unabhängig davon, wer ihr materieller Urheber ist.
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Mit dieser Feststellung ist freilich nur belegt, dass die Vertragsbedingungen selbst dann „vorformuliert“ sind, wenn sie von Dritten ausgearbeitet wurden. Eine andere Frage ist, ob der Verwender diese Bedingungen auch „gestellt“ hat. Bei Vertragsbedingungen, die von unabhängigen Dritten empfohlen und von den Vertragsparteien sodann zugrunde gelegt werden, kann es hieran fehlen, weil die Verwendung solcher Bedingungen beiden Parteien zugerechnet werden muss. Näheres unten Rn. 110 ff.
3. Die Vorformulierung „im Kopf“ des Verwenders
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Des Weiteren ist nicht entscheidend, in welcher Form die Vertragsbedingungen vorformuliert wurden. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Bedingungen bei Vertragsschluss in Schriftform vorliegen. Vielmehr reicht es aus, dass der Verwender die AGB sozusagen „im Kopf“ vorformuliert, also Bedingungen in den Vertrag einführt, die er in seinem Gedächtnis gespeichert hat und generell seinen Vertragsabschlüssen zugrunde legt[3]. Der Rationalisierungseffekt und die damit einhergehenden Gefahren für den Klauselgegner bestehen unabhängig davon, in welcher Form die vorformulierten Bedingungen vorliegen.
4. Handschriftliche Ergänzungen in vorformulierten Klauseln
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Schwierige Probleme ergeben sich, wenn der Verwender vorformulierte Vertragsbedingungen stellt, die der individuellen Ergänzung durch handschriftliche oder maschinenschriftliche Zusätze bedürfen.
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Beispiel 11
a) | In den AGB eines Kfz-Händlers über den Verkauf von Neuwagen heißt es: „Der Kaufpreis richtet sich nach der Preisliste des Herstellers. Der aktuelle Listenpreis beträgt . . . . . €. Mit jeder Erhöhung des Listenpreises erhöht sich zugleich entsprechend der Kaufpreis“[4]. |
b) | In den AGB eines Kfz-Händlers über den Verkauf von Gebrauchtwagen heißt es: „Der Verkäufer sichert zu, dass das Fahrzeug, soweit ihm bekannt, eine Gesamtfahrleistung von . . . . . km aufweist“[5]. |
c) | In AGB, die eine Bank gegenüber Kreditbürgen verwendet, heißt es: „Der Bürge haftet für alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen der Bank aus . . . . . (handschriftlich eingefügt: Geschäftskrediten) der Bank gegen Herrn/Frau . . . . . (im Folgenden: Hauptschuldner)[6]“. |
d) | In den AGB einer Bank gegenüber einem Kreditschuldner heißt es: „Der Kreditnehmer tritt uns zur Sicherung unserer Ansprüche aus dem Kreditverhältnis alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen seine Abnehmer mit den Anfangsbuchstaben A bis Z ab. Die Bank verpflichtet sich zur Freigabe der Forderungen, sobald und soweit deren Nennwert . . . . . % der noch offenen Kreditsumme übersteigt.“ |
e) | In den AGB eines Versicherungsunternehmens sind unter der vorformulierten Rubrik „Vertragsdauer“ zum Ankreuzen die Alternativen angegeben: „ □ 10 Jahre □ . . . . . Jahre“[7]. |
f) | In den AGB eines Mietvertrags ist bezüglich der Vertragslaufzeit bestimmt: „Die Parteien verzichten wechselseitig für die Dauer von . . . . . Jahren auf ihr Recht zur Kündigung des Mietvertrags“. |
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Wenn Vertragsbestimmungen wie im Beispiel 11 nunmehr für den individuellen Einzelfall ergänzt werden, so fragt sich, ob es sich noch um „vorformulierte“ und vom Verwender „gestellte“ Vertragsbedingungen handelt oder aber um Individualabreden i.S.d. § 305 I 3 BGB. Der BGH[8] differenziert in solchen Fällen danach, ob sich die (mögliche) Unangemessenheit gerade aus dem eingefügten Zusatz ergibt (sog. selbständige Ergänzungen) oder ob sie sich bereits aus dem vorformulierten Teil der Klausel ergibt und der eingefügte Zusatz lediglich der Konkretisierung des Vertragsgegenstandes dient (sog. unselbständige Ergänzung). Klauseln mit unselbständigen Ergänzungen sind immer vollumfänglich AGB, während bei Klauseln mit selbständigen Ergänzungen anhand der Umstände des Einzelfalles geprüft wird, ob es sich um eine vorformulierte Vertragsbedingung oder um eine Individualabrede handelt. Maßstab für diese Einzelfallprüfung ist, ob der Kunde nur vor der Wahl stand, Vorschläge des Verwenders zu akzeptieren oder nicht (dann AGB), oder ob er dazu aufgerufen werden sollte und sich aus seiner Sicht dazu aufgerufen fühlen darf, eigene Vorstellungen in die konkrete Vertragsgestaltung einzubringen (dann Individualabrede).
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Daraus ergibt sich für die Beispielsfälle Folgendes:
– | Im Beispiel 11 a) handelt es sich um eine unselbständige Ergänzung und damit um AGB[9]. Die mögliche Unangemessenheit ergibt sich nicht aus dem eingesetzten Kaufpreis, sondern aus dem einseitigen Vorbehalt des Verkäufers, diesen an spätere Erhöhungen der Herstellerpreise anzupassen (vgl. § 309 Nr. 1 BGB). |
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Ebenso ist im Beispiel 11 b) eine unselbständige Ergänzung anzunehmen. Die mögliche Unangemessenheit ergibt sich nicht aus der angegebenen Fahrleistung, sondern vielmehr daraus, dass deren Zusicherung durch die Wendung „soweit ihm
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