L erwidert mit erhobener Stimme: „Für mich kommt eine Beurkundung auf gar keinen Fall in Betracht. Das ist eine unverhandelbare Sache der Ehre. Oder wollen Sie etwa behaupten, ich sei gar kein Ehrenmann, weil ich aus finanziellen Gründen zum Verkauf gezwungen bin?“ GF wendet beschwichtigend ein: „Nein, nein! Das wollte ich auf keinen Fall. Und als Ehrenmann tun Sie mit diesem Geschäft ja auch der Region einen großen Gefallen, weil viele Arbeitsplätze entstehen werden. Für die GmbH ist diese Sache, um ehrlich zu sein, ebenfalls von enormer Wichtigkeit. Sie braucht diesen Auftrag genauso dringend wie die Region. Wenn das Golfhotel-Projekt scheitert, kann sie Insolvenz anmelden.“ L nickt besänftigt und streckt GF feierlich seine Hand entgegen. Dieser schlägt mit kräftigem Händedruck ein.
Am folgenden Tag beauftragt GF einen Architekten (A) mit der Ausarbeitung der konkreten Pläne, der dafür € 50.000 fordert. Einige Monate später, als die Pläne zur Zufriedenheit des GF vorliegen und das Honorar gezahlt ist, will die GmbH mit den Bauarbeiten beginnen. L reagiert auf die entsprechende Mitteilung des GF unsicher und bittet um einige Tage Aufschub, weil sich sein Auszug aus dem Rittergut leider verzögert habe.
In Wahrheit ist L wenige Tage vor der Mitteilung des GF völlig unverhofft eine hohe Geldsumme zugefallen. Ein reicher Freund des L ist in jungen Jahren bei einem Autounfall zu Tode gekommen und hat ihm ein Vermächtnis von € 500.000 hinterlassen. Seitdem ist L hin- und hergerissen zwischen seinem gegebenen Wort und der Tatsache, dass die wirtschaftliche Notwendigkeit zum Verkauf des Familienbesitzes entfallen ist. Nach einigen weiteren schlaflosen Nächten ringt sich L schweren Herzens zu der Entscheidung durch, sich gegenüber der GmbH auf die Formnichtigkeit des Kaufvertrags zu berufen.
Die GmbH fordert von L unter wiederholten Fristsetzungen erfolglos die Erfüllung der getroffenen Vereinbarung. Danach droht sie mit Klage auf Übereignung des Grundstücks, hilfsweise auf Schadensersatz.
In tatsächlicher Hinsicht macht die GmbH wahrheitsgemäß geltend, dass für sie keine vernünftige wirtschaftliche Alternative zum Rittergut des L besteht, um das Golfhotel-Projekt zu realisieren. Das Rittergut ist nach seiner Lage und Bausubstanz in dieser Hinsicht einzigartig. Nirgendwo in der Region steht ein gleichwertiges Anwesen zum Verkauf. Die Realisierung des Projekts würde der GmbH nach Abzug aller Kosten und Steuern mindestens einen Reingewinn von € 750.000 einbringen.
Aufgabe: Prüfen Sie die Ansprüche der GmbH gegen L.
Fall 1 Rittergut › Überblick
Überblick
2
Bei diesem Fall handelt es sich um einen echten Examensklassiker. Die Fallgeschichte basiert im Wesentlichen auf einem Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahr 1927, das gemeinhin unter dem Namen „Edelmannswort“ bekannt ist.[1] Diesem Urteil lag folgender, hier stark vereinfachter Sachverhalt zugrunde: Ein adeliger Generaldirektor versprach bei einer Fahrt zu seinem Landsitz seinem Betriebsleiter als Belohnung für geleistete Dienste mündlich die Übereignung eines Grundstücks. Auf das Verlangen des Betriebsleiters nach notarieller Beurkundung erwiderte der Adelige, der Betriebsleiter könne vollkommen beruhigt sein. Das Haus sei ihm sicher, er habe nie sein Wort gebrochen. Nachdem der Betriebsleiter aufgrund von Streitigkeiten aus den Diensten der Gesellschaft ausgeschieden war, berief sich der Generaldirektor auf die Formnichtigkeit des Vertrags.
Damit ist das erste Hauptproblem des Falls bereits grob umrissen: Die von Gesetzes wegen vorgeschriebene notarielle Beurkundung eines Grundstückkaufvertrags nach § 311b I BGB (§ 313 BGB a.F.) ist als zwingendes Recht der Disposition der Parteien entzogen. Fehlt es an der notariellen Beurkundung, so ist der Vertrag nach § 125 BGB nichtig. Auf diese Nichtigkeit darf sich jede Partei berufen. Es gibt jedoch besondere Fallkonstellationen, in denen die Formstrenge zu schwer tragbaren Ergebnissen führen kann. Die Berufung auf die Formnichtigkeit kann dann ausnahmsweise als unzulässige Rechtsausübung untersagt sein – mit der seltsam anmutenden Folge, dass aus einem an sich formnichtigen Vertrag Erfüllungsansprüche erwachsen.
Belässt man dagegen der durch die Formvorschriften erzielten Rechtssicherheit den Vorrang, sind Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) zu prüfen. Zu überlegen ist in diesem Zusammenhang, ob über die in § 249 BGB verankerte Naturalrestitution das gleiche wirtschaftliche Ergebnis wie bei Annahme eines wirksamen Vertrags erreicht werden kann. Die Handhabung der Schadensersatzansprüche muss vor allem widerspruchsfrei zu der Argumentation bei der Frage der Wirksamkeit des Vertrags geschehen.
In der „Edelmannswort“-Entscheidung wies das Reichsgericht die Klage des Betriebsleiters ab. Der Adelige durfte sich auf die Formnichtigkeit berufen. Im Kontrast hierzu steht ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1967.[2] Im zugrunde liegenden Fall hatte ein bedeutendes Wirtschaftsunternehmen einem früheren Angestellten privatschriftlich ein Grundstück verkauft. Die Bedenken des Angestellten, der eine notarielle Beurkundung für erforderlich hielt, zerstreute der geschäftsführende Gesellschafter dadurch, dass er mit gewissem Stolz darauf hinwies, dass der Vertrag doch seine Unterschrift trage. Hier entschied der BGH, dass die spätere Berufung auf die Formnichtigkeit eine unzulässige Rechtsausübung darstelle und gewährte dem Angestellten einen Anspruch auf Auflassung.
Anmerkungen
RGZ 117, 121 ff.
BGHZ 48, 396 ff.
Fall 1 Rittergut › Gliederung
Gliederung
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I. | Anspruch auf Übereignung des Grundstücks aus § 433 I BGB | ||||
1. | Formbedürftigkeit des Grundstückskaufvertrags | ||||
2. | Ausnahmen gem. § 242 BGB | ||||
a) | Bestimmtheit | ||||
b) | Schutzwürdiges Vertrauen | ||||
c) | Erforderlichkeit | ||||
aa) | Erfordernis der Rechtsprechung: Schlechthin untragbares Ergebnis | ||||
bb) |