Fall 1 Rittergut › Lösungswege
Lösungswege
I. Anspruch auf Übereignung des Grundstücks aus § 433 I BGB
Die GmbH könnte einen Anspruch gegen L auf Übereignung des Grundstücks gem. § 433 I BGB haben.
1. Formbedürftigkeit des Grundstückskaufvertrags
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Hierfür bedarf es eines wirksamen Kaufvertrags. Jeder Vertrag kommt durch eine Einigung, d.h. einander entsprechende Willenserklärungen der Parteien zustande. Dies ist hier unproblematisch im Rahmen des Gesprächs im Kaminzimmer geschehen. Die GmbH wurde dabei durch ihren Geschäftsführer GF nach § 35 GmbHG vertreten. Ein Kaufvertrag liegt somit vor.
Vgl. zu den Einzelheiten der Auslegung von Willenserklärungen Fall 5 „Speisekarte“.
Vgl. zur Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers Fall 14 „Speisekarte“
Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, bedarf nach § 311b I BGB der notariellen Beurkundung. Diese ist im vorliegenden Fall unterblieben. Grundsätzlich ist ein mit einem Formmangel behafteter Vertrag nach § 125 BGB nichtig.
2. Ausnahmen gem. § 242 BGB
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Gestützt auf § 242 BGB könnte die Formnichtigkeit jedoch ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Die Einhaltung von Formvorschriften ist grundsätzlich sowohl im Interesse der Rechtssicherheit als auch im Interesse der Parteien unerlässlich. Diese Interessen können aber im Einzelfall in Widerstreit geraten, so dass zwischen der Rechtssicherheit – verwirklicht durch das Gebot der Formstrenge (§ 125 BGB) – einerseits und der Einzelfallgerechtigkeit – verwirklicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) – andererseits abzuwägen ist. Damit die Formvorschriften nicht ausgehöhlt werden, muss die Durchbrechung des Formenzwangs auf wenige Ausnahmen beschränkt bleiben. Sonst würde über den Umweg von Treu und Glauben den Parteien in gewisser Weise die Wahl der Vertragsform überlassen.
Vertiefungshinweis:
§ 242 BGB kommt eine weit über seinen Wortsinn hinausreichende Bedeutung zu. Er beinhaltet einen das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz: Jedermann hat in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Hintergrund ist der Gedanke, dass einem jeden Recht auch sozialethische Schranken immanent sind. Rechtsprechung und Lehre haben diese Generalklausel durch Bildung von vier Funktionskreisen konkretisiert:[1]
• | Konkretisierungsfunktion: § 242 BGB regelt die Art und Weise der Leistung. |
• | Ergänzungsfunktion: § 242 BGB dient als Grundlage für Nebenpflichten und ergänzt, soweit vertragliche Abreden und gesetzliche Sonderregelungen fehlen, das Pflichtenprogramm der Parteien. |
• | Schrankenfunktion: § 242 BGB fungiert als allen Rechten und Rechtspositionen immanente Schranke. Hierher gehört das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, das sich in folgende Fallgruppen untergliedern lässt: – Unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung (Entwicklung aus der exceptio doli specialis des römischen und gemeinen Rechts) – Verletzung eigener Pflichten (z. B. bei missbräuchlicher Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung) – Fehlen eines schutzwürdigen Eigeninteresses (z. B. wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzugewähren wäre: dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est) – Geringfügige Interessenverletzung/Unverhältnismäßigkeit – Widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) |
• | Korrekturfunktion: § 242 BGB dient als Grundlage für die Inhaltskontrolle von Verträgen, z. B. für den zwischenzeitlich in § 313 BGB kodifizierten Wegfall der Geschäftsgrundlage. |
a) Bestimmtheit
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Zunächst muss es sich um ein, abgesehen vom Formmangel, gültiges Rechtsgeschäft mit hinreichend bestimmtem Inhalt handeln.[2] Das ist beim Kauf des Ritterguts zu bejahen, da Kaufpreis und Kaufobjekt klar bezeichnet werden können.
b) Schutzwürdiges Vertrauen
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Ferner muss die Partei, die am Rechtsgeschäft festhalten will – also die GmbH, vertreten durch