Allerdings ist die Berechtigung dieser Fallgruppe zu hinterfragen. Die finanziellen Auswirkungen einer Rechtshandlung für die andere Seite muss eine Partei ohne besondere Umstände nicht berücksichtigen, anderenfalls könnte man mit diesem Argument jegliches Subsumtionsergebnis revidieren. Eine, wenn auch erhebliche, Einbuße kann deshalb nicht für eine Anwendung von § 242 BGB genügen. Eine Existenzgefährdung müsste voraussetzen, dass das erzielte Ergebnis schlechthin untragbar ist. Wann diese Grenze erreicht ist, ist allerdings schwer zu sagen, was ein weiteres Argument gegen eine solche unspezifische Fallgruppe ist.
Der vorliegende Sachverhalt enthält jedenfalls für eine Existenzgefährdung in diesem Sinne nur wenige Anhaltspunkte.
Es spricht deshalb vieles dafür, dass ein Rückgriff auf § 242 BGB nicht angezeigt und folglich von der Unwirksamkeit des Vertrags auszugehen ist.
cc) Formzwecke als allgemeine Begründung für Ausnahmen von der Nichtigkeit
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Ein anderer Ansatzpunkt zur Konkretisierung des § 242 BGB ist es, auf den jeweiligen Zweck des Formerfordernisses abzustellen.[14]
Die Pflicht zur notariellen Beurkundung bei Veräußerung oder Erwerb eines Grundstücks verfolgt mehrere Zwecke: Zunächst soll sie die Parteien auf die Bedeutung des Geschäfts aufmerksam machen und vor dem Eingehen einer übereilten Verpflichtung oder unüberlegten Bedingungen schützen (Warnfunktion). Ferner soll sie den Beweis des Zustandekommens und des Inhalts der getroffenen Vereinbarung sicherstellen (Beweisfunktion). Daneben soll die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts gewährleistet (Gültigkeitsgewähr) und eine sachgemäße Beratung der Parteien sichergestellt werden (Beratungsfunktion).[15]
Sieht man den vorrangigen Normzweck des § 311b I BGB im Übereilungsschutz und dem Interesse der Parteien an sachkundiger Beratung und Belehrung, könnte man bei vorsätzlicher Verursachung des Formmangels durch eine Partei an eine Ausnahme vom grundsätzlichen Formerfordernis denken.
L entschloss sich laut Sachverhalt nur schweren Herzens zum Verkauf seines Anwesens, was darauf hindeutet, dass er jedenfalls keinen übereilten Entschluss gefällt hat. In seinem Verhalten im Kaminzimmer könnte deshalb durchaus ein Verzicht auf den Schutz der notariellen Beurkundung gesehen werden, weswegen eine Berufung seinerseits auf den Formmangel ausscheiden könnte. Dieses Ergebnis würde noch dadurch unterstrichen, dass auch für die GmbH sowohl Warn- als auch Beratungsfunktion keine wesentliche Rolle spielten. Da das Projekt auch für die GmbH sehr wichtig ist, hätte GF beim Notar ebenfalls keinen Abstand vom Vertrag genommen. Die Normzwecke würden einer Ausnahme von der Nichtigkeit somit nicht entgegenstehen.
Diese Argumentation birgt allerdings die große Gefahr, durch die Konstruktion eines abstrakten Ausnahmetatbestands die Formvorschrift letztlich doch zur Disposition der Parteien zu stellen. Mit einer Begründung über die Formzwecke sollte deswegen besonders vorsichtig umgegangen werden und auf die zuerst dargestellten Kriterien der Bestimmtheit, des schutzwürdigen Vertrauens und der Erforderlichkeit nicht verzichtet werden.
Im Ergebnis liegt es deshalb näher, einen wirksamen Vertrag und damit einen Erfüllungsanspruch aus § 433 I BGB zu verneinen.
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Ergänzender Hinweis:
Verwehrt man dagegen – ebenfalls vertretbar – L mit einer der aufgezeigten Argumentationslinien, sich auf die Formnichtigkeit zu berufen, gilt der Kaufvertrag als wirksam geschlossen. Zu überlegen ist dann, ob sich L von diesem Vertrag wieder lösen kann:
Es erscheint kaum vertretbar, dass L den Kaufvertrag durch Irrtumsanfechtung gem. § 119 BGB rückgängig machen kann. Zu dem Zeitpunkt, als er sein Ehrenwort gab, war für ihn ausschlaggebender Beweggrund für den Vertragsschluss seine angeschlagene finanzielle Situation. Diese hat sich durch den unvorhergesehenen Umstand des plötzlichen Vermächtnisses zum Positiven gewandelt, so dass er nicht mehr zum Verkauf seines Grundstücks gezwungen ist. Dabei handelt es sich aber um einen unbeachtlichen Motivirrtum.[16]
In Betracht zu ziehen ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB. Dazu müsste die gleichbleibend (schlechte) finanzielle Situation des L Teil der Geschäftsgrundlage geworden sein. Unter dem Begriff Geschäftsgrundlage werden objektive und subjektive Geschäftsgrundlage zusammengefasst. Zur subjektiven Geschäftsgrundlage gehören die bei Abschluss des Vertrags zutage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut. Zur objektiven Geschäftsgrundlage gehören diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse, deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist, damit der Vertrag im Sinn der Intentionen beider Vertragsparteien noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann.
Abzugrenzen sind die Umstände, die zur Geschäftsgrundlage geworden sind, von den einseitigen Erwartungen einer Partei, die allein für deren Willensbildung maßgeblich waren. Diese gehören nur dann zur Geschäftsgrundlage, wenn sie in den dem Vertrag zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen wurden. Dazu genügt nicht, dass eine Partei der anderen ihre Erwartungen bei den Vertragsverhandlungen mitteilt. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten der anderen Partei als bloße Kenntnisnahme oder als Einverständnis und Aufnahme der Erwartungen in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens zu verstehen ist.[17]
L hat während des Gesprächs im Kaminzimmer zwar offengelegt, dass er wegen Geldmangels gezwungen sei, sein Anwesen zu verkaufen. Hierauf ist GF in seiner Antwort aber nicht eingegangen, sondern hat L lediglich zu beschwichtigen versucht. Welcher Beweggrund für den Verkauf des Ritterguts ausschlaggebend war, blieb für GF ohne Bedeutung. Damit hat er den Umstand der Geldknappheit des L lediglich zur Kenntnis genommen, ihn aber nicht in die gemeinsame Grundlage des Geschäftswillens übernommen.
Nimmt man einen formwirksamen Kaufvertrag an, muss L sich somit an diesem auch festhalten lassen. Die GmbH kann Erfüllung (Auflassung des Grundstücks und Eintragung im Grundbuch) verlangen. Die Prüfung ist damit beendet. Schadensersatzansprüche sollten gleichwohl hilfsgutachterlich geprüft werden, auch wenn die Aufgabenstellung dies nicht explizit verlangt. Der Sachverhalt ist auf die Erörterung auch des Anspruchsinhalts angelegt.
Vgl. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage auch Fall 6 „Erkerzimmer“ und Fall 7 „Erbensucher“.
II. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB
Verneint man einen wirksamen Vertragsschluss, könnte die GmbH zumindest einen Schadensersatzanspruch gegen L aus culpa in contrahendo haben.
1. Schuldverhältnis
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Hierfür bedarf es zunächst eines Schuldverhältnisses i. S. v. § 311 II BGB. Dieses entstand durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen im Kaminzimmer, § 311 II Nr. 1 BGB. Die Anbahnung eines Vertrags (§ 311 II Nr. 2 BGB) meint dagegen bereits den Zeitpunkt vor der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, wenn eine Partei der anderen zur Vorbereitung eines Schuldverhältnisses die Möglichkeit zur Einwirkung auf ihre Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihr diese anvertraut, und ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig.[18]
Beendet