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Hinweis zum Aufbau:
Die Unterscheidung zwischen Schutzpflicht und leistungsbezogener Nebenpflicht wird bei der Frage, ob das Haftungsprivileg des § 599 BGB anwendbar ist, virulent und wird nach dem hier vorgeschlagenen Aufbau deshalb erst später beantwortet. Dies widerspricht einem streng der logischen Prüfungsreihenfolge verhafteten Gutachtenstil. Befasst man sich jedoch bereits bei der Pflichtverletzung näher mit dieser Unterscheidung, hängen die Ausführungen und auch das Ergebnis gewissermaßen in der Luft. Eine Pflichtverletzung ist ohne Zweifel gegeben. Die Bedeutung der Unterscheidung kann an dieser Stelle nur schwer vermittelt werden. Aus sachlichen Gründen bietet es sich deshalb an, die Frage hier noch offen zu lassen.
Fernliegend ist die Prüfung von § 600 BGB. Der vorliegende Sachverhalt enthält keinerlei Anhaltspunkte für einen Mangel des verliehenen Oldtimers. Deshalb wird die Norm hier nicht in die Falllösung aufgenommen. Aufbautechnisch wäre § 600 BGB als spezielle Anspruchsgrundlage vor § 280 I BGB zu prüfen.
3. Vertretenmüssen
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Gemäß § 280 I 2 BGB haftet B nicht, wenn er die objektive Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Grundsätzlich hat der Schuldner nach § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit (Verschulden[8]) zu vertreten. Durch die Schuldrechtsreform wurde in § 276 I 1 n. F. BGB die Bestimmung aufgenommen, dass das Einstehenmüssen des Schuldners für „Vorsatz und Fahrlässigkeit“ nur dann in Betracht kommt, „wenn eine strengere oder mildere Haftung“ nicht bestimmt ist. Ein milderer Haftungsmaßstab könnte sich im vorliegenden Fall zugunsten des Verleihers aus § 599 BGB ergeben.
Damit steht man vor der Frage, ob B grob fahrlässig gehandelt hat und – sollte dies bejaht werden – vor der Überlegung, ob das Haftungsprivileg des § 599 BGB auf den vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist.
a) Grobe Fahrlässigkeit
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Fahrlässig handelt nach § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Fahrlässigkeit setzt Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit des rechtswidrigen (pflichtwidrigen) Erfolgs voraus.[9] Der Eintritt des Verletzungserfolgs (Augenverletzung) war durchaus vorhersehbar. Vermeidbar war er, wenn er bei sorgfältigem Verhalten des Schuldners (B) nicht eingetreten wäre.
Zur Beurteilung der Fahrlässigkeit gilt ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab, der auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichtet ist. Erforderlich ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten ist. Die erforderliche Sorgfalt ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter sowie der Art und des Umfangs der Gefährdung zu bestimmen. Als normativer Maßstab stimmt die erforderliche Sorgfalt dabei nicht zwangsläufig mit der üblichen Sorgfalt der jeweiligen Verkehrskreise überein. Verbreitete und zur Gewohnheit gewordene Nachlässigkeiten schließen daher die Vorwerfbarkeit nicht aus.[10]
Insofern scheidet ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht deshalb aus, weil es in der Bevölkerung weit verbreitet ist, Gartengeräte in der Garage aufzubewahren. Entscheidend ist vielmehr, dass die Parteien im Klausurfall ausdrücklich vereinbarten, dass der Entleiher A das Auto in die Garage zurückbringen solle. Deshalb hatte B als Verleiher dafür Sorge zu tragen, dass sich seine Garage in einem verkehrssicheren Zustand befand. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Garage für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war. B musste sicherstellen, dass vorhersehbare Unfallgefahren für seinen Vertragspartner so weit wie möglich ausgeschlossen waren.
Dieser Verpflichtung ist B nicht nachgekommen. Von dem Rechen ging eine erhebliche Gefährdung aus, weil er so postiert war, dass er leicht umfallen konnte. Dazu zeigten die Zacken nach oben, so dass besonders empfindliche Körperteile – namentlich die Augen – verletzt zu werden drohten. Außerdem war die Garage eng und unbeleuchtet. Eine Person, die mit den örtlichen Gegebenheiten nicht vertraut war, wurde dadurch einer gesteigerten Gefahr ausgesetzt, den Rechen zu übersehen. Das gefährliche Gerät befand sich ausgerechnet im Eingangsbereich der Garage. Ein weit geringeres Risiko hätte bestanden, wenn es stattdessen an der rückwärtigen Wand gelehnt hätte.
B handelte somit zweifelsfrei fahrlässig. Zu beantworten bleibt aber, ob es sich um einen Fall grober Fahrlässigkeit handelt. Das ist zu bejahen, wenn B die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dazu müsste er selbst einfachste, ganz naheliegende Vorsichtsmaßnahmen versäumt haben, mithin das nicht beachtet haben, was jedem verständigen Garagenbesitzer ohne weiteres eingeleuchtet hätte. Dabei muss ihn auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen.[11]
Hier lässt sich mit entsprechender Begründung beides vertreten. Vorzugswürdig erscheint aufgrund der wenigen Anhaltspunkte im Sachverhalt, die das Verhalten des B aus dem Bereich der „normalen“ Fahrlässigkeit herausheben könnten, die Annahme bloß einfacher Fahrlässigkeit.
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Ergänzender Hinweis:
Vor vorschneller Bejahung grober Fahrlässigkeit ist in Haftungsfällen generell zu warnen. Bei rückblickender Betrachtung – also bei voller Kenntnis des konkreten Unfallhergangs – kann sich der Gedanke aufdrängen, dass die Verletzungsgefahr offensichtlich gewesen sei. So kann man leicht zu der These gelangen, dass die Gefahr einer drohenden Augenverletzung durch den scharfzackigen Rechen, der in einer unbeleuchteten Garage an der Wand lehnte, dem Garagenbesitzer gleichsam „ins Auge springen“ musste. In der psychologischen Forschung wird diese Verzerrung bei der nachträglichen Einschätzung von Unfallwahrscheinlichkeiten als Rückschauverzerrung (hindsight bias) bezeichnet.[12] Außerdem ist ein gewisser Mitleidseffekt in Rechnung zu stellen, der auch in der Rechtsprechung, die in der Regel mit der Annahme von grober Fahrlässigkeit zurückhaltend verfährt, in Einzelfällen zu schwer vertretbaren Billigkeitsentscheidungen beiträgt.
b) Anwendbarkeit von § 599 BGB
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Nach der hier favorisierten Lösung könnte der lediglich fahrlässig handelnde B somit in den Genuss der Haftungserleichterung des § 599 BGB gelangen.
Unstreitig erfasst diese Vorschrift zumindest alle Ansprüche gegen den Verleiher wegen einer Vertragsverletzung, die das Erfüllungsinteresse des Entleihers an der Gebrauchsgestattung betreffen. Darunter fallen Verzug, Unmöglichkeit und Schlechterfüllung. Darum geht es hier aber nicht. Betroffen sind vielmehr Ansprüche des A wegen der Verletzung seines Körpers und seiner Gesundheit, das heißt sein allgemeines Interesse an der Unversehrtheit (Integrität) seiner sonstigen Rechtsgüter, also sein sogenanntes Integritätsinteresse. Ob sich die Haftungsbeschränkung des § 599 BGB auch darauf erstreckt, ist heftig umstritten.[13]
Der Wortlaut enthält keine Beschränkung des Tatbestands. Lediglich, wenn Ansprüche wegen eines Mangels an der verliehenen Sache geltend gemacht werden, ist § 599 BGB wegen der speziellen Vorschrift des § 600 BGB nicht einschlägig.