Dagegen spricht aber, dass der Schutzzweck der Haftungserleichterung den Begünstigten nur in seiner spezifischen Rolle als Verleiher erfassen dürfte. Nicht vom Schutzzweck des § 599 BGB umfasst sind dagegen Verhaltensweisen, die in keinem inneren Sachzusammenhang mit der verliehenen Sache stehen.[15]
Dies bedeutet aber nicht, dass die Anwendbarkeit von § 599 BGB bei Verletzung von allgemeinen Schutz- und Verkehrssicherungspflichten pauschal verneint werden muss.[16] Anderenfalls droht ein Wertungswiderspruch zu § 600 BGB. Diese Vorschrift beschränkt die Haftung des Verleihers für Schäden, die dem Entleiher aus einem Fehler der entliehenen Sache entstehen, sehr weitgehend, nämlich auf den seltenen Fall arglistigen Verschweigens des Mangels. Damit ist es kaum in Einklang zu bringen, wenn der Verleiher einer mangelfreien Sache sogar für eine nur leicht fahrlässige Verletzung seiner allgemeinen Schutzpflichten einstehen müsste.[17]
Vorzuziehen ist deshalb eine differenzierende, heute wohl herrschende Ansicht. Nach dieser bleibt § 599 BGB anwendbar, wenn die fragliche Schutzpflichtverletzung in einem inneren Sachzusammenhang zu der Leihe stand.[18] Dagegen soll keine Haftungsmilderung eingreifen, wenn es um eine Verletzung der Fürsorge- und Schutzpflichten geht, die der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht i. S. d. Deliktsrechts entsprechen. Bei der generellen Rechtspflicht, das Leben und die Gesundheit des Vertragspartners in keiner Weise zu gefährden, fehlt dieser Zusammenhang. Anderenfalls würde nicht einleuchten, dass das Verleihen eines sogar weitgehend wertlosen Gegenstands oder die Hingabe eines auch ganz geringwertigen Geschenks den Verleiher bzw. Schenker von den allgemeinen Pflichten befreit, die volle Sorgfalt aufzubringen (§§ 599, 521 BGB), derer es zum Schutz seines Vertragspartners bedarf.
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Die Anwendbarkeit von § 599 BGB hängt im vorliegenden Fall somit davon ab, ob die Verletzung des Entleihers auf der Verletzung einer Schutzpflicht beruhte, die einen hinreichenden inneren Zusammenhang mit dem Vertragsgegenstand aufwies. An diesem Punkt des Gutachtens wird deshalb die Frage entscheidungserheblich, wie die Pflicht, die B verletzte, dogmatisch einzuordnen ist: Handelt es sich um eine allgemeine, nicht leistungsbezogene Schutzpflicht aus § 241 II BGB oder um eine leistungsbezogene Nebenpflicht aus § 242 BGB?
Auf den ersten Blick mag es den Anschein haben, dass eine Schutzpflicht verletzt wurde, die sich offenkundig nicht auf den Vertragsgegenstand bezog. Ein innerer Zusammenhang zwischen dem verliehenen Oldtimer und dem unfallträchtigen Gartengerät, das an der Garagenwand lehnte, scheint nicht zu bestehen. Dieser Anschein trügt jedoch. A war gezwungen, die Garage zu betreten, um seine Vertragspflicht zu erfüllen. Ein enger Kausalzusammenhang zwischen dem Leihvertrag und der erlittenen Schädigung ist nicht zu leugnen. Deshalb ist von einer leistungsbezogenen Nebenpflicht auszugehen und die Anwendung von § 599 BGB vorzugswürdig. Ein Schadensersatzanspruch des A gegen B aus § 280 I BGB ist demnach zu verneinen.
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Ergänzende Hinweise zu Lösungsalternativen:
(1) Wenn man einen Leihvertrag verneint und stattdessen von einem Gefälligkeitsverhältnis mit rechtlichem Einschlag ausgeht, ändert sich an der Lösung nicht viel. Zusätzlich ist dann zu prüfen, welcher Haftungsmaßstab bei Gefälligkeitsverhältnissen der vorliegenden Art anzulegen ist: § 276 BGB oder § 599 BGB analog? Die Rechtsprechung wendet grundsätzlich § 276 BGB an; eine Haftungsmilderung für Gefälligkeitsverhältnisse lehnt der BGH ab.[19] Dagegen befürwortet ein großer Teil der Lehrmeinung eine analoge Anwendung der gesetzlichen Haftungsmilderungen, die für bestimmte Gefälligkeitsverträge bestehen – hier: § 599 BGB –, auf bloße Gefälligkeitsverhältnisse.[20]
(2) Wenn man die Haftung des B dem Grunde nach bejaht, müssen sich auch Ausführungen zum Anspruchsinhalt anschließen. Insoweit bietet der Sachverhalt fast keine Anknüpfungspunkte. Das kann man klausurtaktisch als stillschweigenden Hinweis darauf deuten, dass die Haftung schon dem Grund nach verneint werden sollte. Anderenfalls sind zum Anspruchsinhalt folgende Punkte zu bedenken:
A kann Ersatz seiner Heilungskosten (§ 249 II BGB) verlangen, soweit sein Ersatzanspruch nicht auf einen Versicherungsträger übergegangen ist (vgl. §§ 116 ff. SGB X; § 86 VVG). Zu ersetzen wäre auch ein Verdienstausfall (§ 252 BGB), soweit dieser Anspruch nicht auf einen Arbeitgeber übergegangen wäre, der zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist (vgl. § 6 EFZG). Das darf man beim fortgeschrittenen Lebensalter des B (74 Jahre) ausschließen.
Ein Schmerzensgeld kommt seit Inkrafttreten des Schadensrechtsänderungsgesetzes am 1. August 2002 auch auf vertraglicher Grundlage in Betracht. Das Schadensrechtsänderungsgesetz ersetzte § 847 BGB durch § 253 II BGB. Die Bemessung des Schmerzensgeld liegt im freien richterlichen Ermessen gem. § 287 ZPO.[21] Eine Bezifferung, die sich in der Praxis an Schmerzensgeldtabellen orientiert,[22] wird in Klausuren nicht erwartet. Wegen des schweren Dauerschadens, den A durch seine Erblindung erleidet, kommt neben der Zahlung eines einmaligen Betrags auch eine Schmerzensgeldrente in Betracht.[23]
(3) Bejaht man wegen Annahme grober Fahrlässigkeit oder Nichtanwendung von § 599 BGB einen Schadensersatzanspruch aus § 280 I BGB, ist außerdem ein anspruchsminderndes Mitverschulden des A gem. § 254 BGB zu prüfen. § 254 BGB enthält eine praktisch höchst bedeutsame Durchbrechung des sogenannten Alles-oder-Nichts-Prinzips von § 249 BGB. Der BGH sieht in § 254 BGB eine besondere Ausprägung des grundlegenden Gebots von § 242 BGB, namentlich des Verbots des venire contra factum proprium: Der Geschädigte handelt treuwidrig, wenn er den vollen Ersatz eines Schadens fordert, an dessen Entstehung oder Vergrößerung er selbst mitgewirkt hat.[24] Für die Anwendung der Vorschrift kommt es nicht auf ein Verschulden im technischen Sinne an, denn im Zivilrecht bezieht sich Verschulden grundsätzlich auf den gesamten Haftungstatbestand, somit auch auf die Rechtswidrigkeit bzw. Pflichtwidrigkeit.[25] Es gibt allerdings keine Rechtspflicht, sich selbst nicht zu schaden.[26] § 276 BGB regelt daher in direkter Anwendung nur das Verschulden des Schuldners, nicht aber das eines Gläubigers. Für § 254 BGB ist ein sog. „Verschulden gegen sich selbst“ entscheidend, d. h. die Verletzung einer Obliegenheit, die dem Geschädigten im wohlverstandenen Eigeninteresse obliegt. Maßgebend ist an erster Stelle die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge von Schädiger und Geschädigtem.
A ist an einem späten Abend nach Einbruch der Dunkelheit in eine ihm fremde, unbeleuchtete, ziemlich enge Garage eingefahren. Nachdem er den Motor abgestellt und das Cabriolet verschlossen hatte, befand er sich in weitgehender Dunkelheit. Er muss sich also gleichsam aus dem Raum hinaus getastet haben. Hätte er dagegen zunächst die Scheinwerfer des Wagens eingeschaltet gelassen, um sich nach dem Aussteigen erst einmal in der Garage umzusehen, so hätte er den tragischen Unfall wohl vermeiden können. Ein erhebliches Mitverschulden liegt somit nahe und führt zu einer Anspruchskürzung. Einer konkreten Bezifferung bedarf es nicht.
II. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB
A könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 I BGB haben.
1. Rechtsgutsverletzung
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Eine Verletzung des Körpers und der Gesundheit des A liegen offensichtlich vor. Nicht näher erörtert werden muss auch die Frage, ob bei der Verletzungshandlung auf ein aktives Tun (Hinstellen des Rechens) oder auf ein Unterlassen (Nichtbeseitigung eines gefährlichen Zustands) abzustellen ist. Wenn man von einem Unterlassen ausgeht, so ist eine entsprechende Garantenstellung des B allemal zu bejahen. Auch die Kausalität der Verletzungshandlung bzw. die sogenannte Quasikausalität des Unterlassens sind, ebenso wie die Rechtswidrigkeit, ohne weiteres gegeben.[27]
2. Verschulden
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Bzgl. des Verschuldenserfordernisses gilt im Ausgangspunkt nichts anderes als bei der Prüfung