Übersicht 7
Möglichkeiten der Einteilung von Rechtsnormen
1. nach der Rechtsquelle: Gesetzes- und Verordnungsrecht sowie Gewohnheitsrecht
2. nach dem Geltungsbereich der Rechtsnorm: inländisches und ausländisches Recht
3. nach dem Inhalt der Rechtsnorm: öffentliches Recht und Privatrecht
4. nach der Wirkung der Rechtsnorm: zwingendes und dispositives Recht
5. nach der Zeit: ab einem / bis zu einem bestimmten Datum
Weitere Vertiefung: Neben dem Gesetzes- und Verordnungsrecht gibt es auch ungeschriebenes, so genanntes Gewohnheitsrecht, das gewohnheitsmäßig allgemein anerkannt wird. Aufgrund der oben dargestellten Zunahme der geschriebenen Rechtsnormen gibt es in Deutschland nicht mehr viel Gewohnheitsrecht. Ein „klassisches“ Beispiel dafür war das früher gewohnheitsrechtlich anerkannte „Züchtigungsrecht“ von Eltern und Lehrern; zum Glück ist inzwischen in Rechtsnormen definitiv geregelt worden, dass eine solche „Züchtigung“ (also: das Verprügeln von Kindern zu Zwecken der „Erziehung“) unzulässig und verboten ist.
Vom (Herkunfts- und) Geltungsbereich her kann man inländisches und ausländisches Recht unterscheiden. Besonders wichtig ist die Unterscheidung zwischen Zivilrecht (oder Privatrecht) und öffentlichem Recht (dazu 2.4). Von der Wirkung her gibt es zwingendes und dispositives Recht. Zwingendes Recht gilt immer ohne Ausnahme, dispositives Recht lässt ggf. ein Abweichen von Rechtsnormen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen zu.
Beispiel:
Für den Fall der Ehescheidung sieht das BGB unter bestimmten Voraussetzungen nachehelichen Unterhalt für den geschiedenen „Ex“-Ehepartner vor (§ 1569 ff. BGB). Von diesen Regelungen können die (früheren) Eheleute jedoch gemäß § 1585c BGB abweichende Vereinbarungen schließen, können also aufgrund eines (notariellen) Vertrages z. B. auch auf nachehelichen Unterhalt verzichten.
Nicht mehr von großer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen vor- und nachkonstitutionellem Recht. Mit vor- bzw. nachkonstitutionellem Recht (von lat. „constitutio“ = Verfassung) sind Rechtsnormen gemeint, die vor bzw. nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (im Jahre 1949) geschaffen worden sind. Die für die Soziale Arbeit wichtigsten Rechtsnormen stammen mittlerweile fast alle aus der Zeit nach 1949. Ein Beispiel für nach wie vor gültiges vorkonstitutionelles Recht ist das Gesetz über die religiöse Kindererziehung aus dem Jahre 1921.
2.3Hierarchie, Zitierweise und Strukturen von Rechtsnormen
2.3.1Rechtsquellen
Es gibt Rechtsnormen unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung, die in einem gestuften, hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Die verschiedenen Rechtsnormen werden in diesem Zusammenhang häufig auch als „Rechtsquellen“ bezeichnet.
Grundsätzlich ist es so, dass die von der jeweils „höheren“ Ebene erlassenen Rechtsnormen denjenigen übergeordnet sind, die auf einer „unteren“ staatlichen Ebene erlassen worden sind. Deshalb gehen Rechtsnormen der Europäischen Union denen der Bundesrepublik Deutschland (als Gesamtstaat) vor, deren Rechtsnormen wiederum gegenüber denen vorrangig sind, die auf Landesebene geschaffen sind (dazu: Hömig/Wolff 2016, Erläuterungen zu Art. 31 GG).
Auf das Europäische Recht soll im Folgenden nicht näher eingegangen werden, da es bislang für die Soziale Arbeit in Deutschland noch keine wesentliche Bedeutung erlangt hat. Dies wird sich möglicherweise in den nächsten Jahren ändern, wie die Entwicklungen z. B. im Bereich des Wirtschaftsrechts, des Gesundheitsrechts, des Umweltrechts und partiell auch bereits des Sozialversicherungsrechts gezeigt haben. Auf Rechtsnormen der Europäischen Union soll an dieser Stelle auch deshalb (noch) nicht eingegangen werden, weil dort zum Teil Begriffe verwendet werden, die im deutschen Recht eine andere Bedeutung haben.
Die deutschen geschriebenen Rechtsnormen stehen in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander (Übersicht 8).
Übersicht 8
Stufung/Hierarchie von Rechtsnormen in Deutschland
1.Bundesrecht
1.1Grundgesetz (GG) = Bundesverfassung
1.2Bundesgesetz
1.3Bundesrechtsverordnung
Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 GG)!
2.Landesrecht
2.1Landesverfassung
2.2Landesgesetz
2.3Landesrechtsverordnung
2.4Satzung, z.B. von Gemeinden oder Sozialversicherungsträgern
Die oberste Rechtsnorm bzw. oberste Rechtsquelle in Deutschland ist das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik aus dem Jahre 1949, unsere Bundesverfassung (im Einzelnen dazu Kap. 8). Dort sind die wesentlichen Grundentscheidungen für das Verhältnis von Bürger und Staat und für den Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland getroffen worden. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat und zugleich ein Rechtsstaat. Außerdem enthält das Grundgesetz in den Art. 1 bis 19 Grundrechte und in den Art. 20 bis 146 Regelungen des so genannten Staatsorganisationsrechts: über die Verfassungsorgane und ihr Verhältnis zueinander (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht) sowie über weitere Themenbereiche wie Verwaltung, Finanzverfassung, Bundeswehr u. a. m. Das Grundgesetz geht allen anderen Rechtsnormen der Bundesrepublik Deutschland sowie der Länder vor, bzw. diese dürfen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Ist z. B. ein Bundesgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, kann es vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben werden.
Die für die Soziale Arbeit bedeutendsten Rechtsnormen sind in Bundesgesetzen enthalten. Es gibt ca. 1700 Bundesgesetze, die vom Deutschen Bundestag unter Mitwirkung des Bundesrates beschlossen worden sind. Sie gelten in ganz Deutschland. Die beiden für die Soziale Arbeit wichtigsten Bundesgesetze sind das Sozialgesetzbuch (SGB) mit derzeit zwölf „Büchern“ sowie das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) mit fünf „Büchern“. Für die Soziale Arbeit von Bedeutung sind ggf. auch andere Bundesgesetze wie z. B. das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung, die Zivilprozessordnung oder das Aufenthaltsgesetz (früher: Ausländergesetz). Die Bundesgesetze kommen aufgrund eines im Grundgesetz genau beschriebenen Gesetzgebungsverfahrens unter Mitwirkung des Bundesrates zustande, werden vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet. Eine ganze Reihe von Verlagen gibt Sammlungen der wichtigsten Bundesgesetze heraus, die zudem mittlerweile großteils auch über das Internet zugänglich sind.
Auf der dritten Ebene der bundesrechtlichen Rechtsnormen gibt es Bundesrechtsverordnungen. Einige der mehr als 2600 Bundesrechtsverordnungen sind auch für die Soziale Arbeit von Bedeutung, z. B. Bundesrechtsverordnungen zum Sozialhilferecht. In einer Bundesrechtsverordnung werden weitere Einzelheiten in Ausführung eines bestimmten Bundesgesetzes geregelt. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Bundesrechtsverordnungen nicht vom Deutschen Bundestag beschlossen werden, sondern von der Bundesregierung oder einzelnen Bundesministern. Bei den Bundesrechtsverordnungen handelt es sich mithin nicht um Rechtsnormen der Legislative, sondern der Exekutive, die zum Erlass von Bundesrechtsverordnungen allerdings im jeweiligen Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt worden sein muss.
Neben den Rechtsnormen, die von der Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat geschaffen worden sind (Grundgesetz, Bundesgesetze und Bundesrechtsverordnungen), gibt es in jedem der 16 Bundesländer nach demselben hierarchischen Prinzip wiederum eine Landesverfassung, gibt es Landesgesetze und Landesrechtsverordnungen. Die jeweilige Landesverfassung stellt das höchste Landesgesetz im jeweiligen Bundesland dar, das allen anderen Rechtsnormen des Landes (Landesgesetzen und Landesrechtsverordnungen) vorgeht. Umgekehrt dürfen diese nicht gegen die Landesverfassung verstoßen, wenn sie nicht verfassungswidrig sein sollen.
In jedem Bundesland gibt es zahlreiche Landesgesetze, die vom