Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit. Reinhard J. Wabnitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard J. Wabnitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353868
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hat Recht mit der sozialen Wirklichkeit und mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben? Vielleicht wird dies deutlich, wenn man einen kurzen Blick in eine x-beliebige Tageszeitung und auf die dort besonders ins Auge springenden Schlagzeilen wirft. Dies könnten z. B. die Folgenden sein, bei denen sofort deutlich wird, dass Politik, Wirtschaft, lokale Nachrichten, ja sogar Sport und Feuilleton sehr häufig zumindest auch eine rechtliche Dimension haben:

      •„Neue Gesetze zum Klimaschutz“

      •Bundestag beschließt Kindergelderhöhung.“

      •Wirtschaft fordert verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen im Umweltschutz.“

      •Keine Tarifeinigung in Sicht. Droht jetzt ein neuer Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn?“

      •Kein neues Einkaufzentrum auf der grünen Wiese“

      •Doping im Radsport und kein Ende.“

      Wie man unschwer erkennt, gibt es in all diesen Fällen vielfältige rechtliche Regelungen zu beachten: des Gesundheits-, des Wirtschafts-, des Familien-, des Arbeits-, des Umwelt- und sogar des Sportrechts! Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass ganz offensichtlich große Bereiche von Politik, Wirtschaft, Umwelt, Freizeit und Sport in einem Maße von rechtlichen Regelungen durchdrungen sind, wie man sich dies als „Normalbürger“ mitunter gar nicht vorstellt.

      Und wie sieht dies in der Sozialen Arbeit aus? Dazu zwei praktische Beispiele.

      Beispiel 1:

      Frau Anna A. ist 34 Jahre alt und hat zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren. Frau A. ist von ihrem Ehemann verlassen worden. Von Beruf ist sie Sekretärin, hat jedoch seit der Geburt des ersten Kindes nicht mehr gearbeitet. Sie hat zudem ein chronisches Rückenleiden und wäre kaum dazu in der Lage, in ihren alten Beruf zurückzukehren, in dem sich mit dem Einsatz moderner Informations- und Computertechnologien zudem sehr viel verändert hat. Frau A. erhält von ihrem Ehemann keine finanzielle Unterstützung mehr und ist auch sonst mittellos. Sie befindet sich zudem in einer psychischen Krisensituation und wendet sich in ihrer Verzweiflung an Sie als der zuständigen Sozialarbeiterin bzw. dem zuständigen Sozialarbeiter im Amt X der Stadt Y.

      Sofort haben Sie sicherlich eine Menge Ideen, wie Frau A. in persönlicher Hinsicht geholfen werden könnte, insbesondere durch Sozialberatung und durch Vermittlung psychotherapeutischer und gesundheitlicher Hilfen. Aber würde dies ausreichen? Nein, denn in diesem Fall und vielfach auch sonst in der Sozialen Arbeit erfordert professionelle Hilfe nicht nur Sozialberatung, sondern auch Rechtsberatung, ggf. auch Rechtsvertretung.

      Deshalb müssen Sie sich als Sozialarbeiter/in, wenn Sie hier wirksam helfen wollen, auch im Familienrecht auskennen, insbesondere im Unterhaltsrecht des BGB. Notwendig wäre hier auch die Kenntnis des Unterhaltsvorschussgesetzes. Mit Blick auf Berufsberatung und Umschulung durch die Agentur für Arbeit ist die Kenntnis der Regelungen des SGB III (Arbeitsförderung) erforderlich, ergänzend möglicherweise auch der Hilfen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und dem SGB II und SGB XII (Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie Sozialhilfe). Im SGB V ist geregelt, welche gesundheitlichen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung hier in Betracht zu ziehen sind. Damit wird deutlich, dass Sie als Sozialarbeiterin oder als Sozialarbeiter auch die einschlägigen rechtlichen Ressourcen kennen und ausschöpfen müssen, wenn Sie Frau A. wirkungsvoll helfen wollen.

      Beispiel 2:

      Der drogenabhängige Karl D. kommt in die Drogenberatungsstelle des Evangelischen Dekanats in der Stadt X. D. offenbart Ihnen als dem/der dort tätigen Sozialarbeiter/in Privatgeheimnisse und im weiteren Verlauf des Gespräches sogar die Begehung einer Straftat. Wie verhalten Sie sich nun gegenüber Ihren Kollegen/innen und Vorgesetzten? Wie gegenüber der Polizei? Dürfen oder gar müssen Sie schweigen? Wie sieht es mit dem Datenschutz und ggf. Ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung aus, falls es zu einem Prozess kommt? Auch hier ist offensichtlich, dass die Kenntnis des einschlägigen Berufsrechts gleichsam die Grundlage Ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiter/in darstellt. Auch hier gehört die Kenntnis des Rechts zum Handwerkszeug für eine(n) Sozialarbeiter/in schlechthin.

      Mit diesen beiden Beispielen ist auch deutlich geworden, wie intensiv in der Sozialen Arbeit die Probleme ihrer Klientinnen und Klienten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften „verwoben“ sind. Deshalb gehört es unverzichtbar zum Kanon der Lehrveranstaltungen an den Fachbereichen für Soziale Arbeit, dass dort zumindest Grundkenntnisse im Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, im Sozialhilferecht, im Recht der Existenzsicherungsleistungen, ggf. im Strafrecht, Ausländer-/Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht und im Berufsrecht vorgesehen sind (aus kritischer Sicht vgl. auch Hinrichs/Öndül 2016).

      Um in diese sehr speziellen Rechtsgebiete mit Aussicht auf Erfolg „einsteigen“ zu können, ist es erforderlich, zunächst allgemeine Basiskenntnisse über die Strukturen von Rechtsnormen, über Rechtsquellen, über die Rechtsanwendung sowie über die wichtigsten Grundbegriffe des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts zu erwerben. Dazu dienen die üblicherweise angebotenen Lehrveranstaltungen „Einführung in die rechtlichen Grundlagen der Sozialen Arbeit“ und das vorliegende Buch will eine Hilfe für den Einstieg geben.

      „Künftige Sozialarbeiter/innen/ bzw. Sozialpädagogen/innen haben nicht der Rechtsfächer wegen ihr Studium der Sozialen Arbeit begonnen. Würde man sie fragen, mit welchen herkömmlichen Disziplinen sie am ehesten ihr Studium in Verbindung bringen, würden sie vermutlich antworten: mit „Psychologie“, „Pädagogik“, „Methoden der Sozialen Arbeit“, aber wohl eher ausnahmsweise mit „Recht“, das zudem vielfach als formal, unverständlich und scheinbar gegenwartsfern empfunden wird“ (Gastiger 2010, 2).

      Recht ist zudem vielfach „gefürchtet“, weil man dort zumeist viel lernen und Klausuren schreiben muss. In der Tat ist es richtig, dass man für die Rechtsfächer Einiges an Zeit aufwenden muss. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass spätestens dann, wenn Studierende sich im praktischen Studiensemester/Berufspraktikum befinden, und allerspätestens dann, wenn sie später als Sozialarbeiter/in in der beruflichen Praxis stehen, klar geworden ist, wie wichtig, gesellschaftsrelevant und dynamisch Recht ist – und wie spannend Recht sein kann.

      Recht stellt eine bestimmte „Sollensordnung“ mit Geboten und Verboten sowie mit „Spielregeln“ für das menschliche Zusammenleben dar. Daneben gibt es aber auch Regeln, die nicht rechtlicher Natur sind, sondern ethischer oder moralischer Art.

      Übersicht 1

      Die Stellung des Rechts im Rahmen der Sollensordnungen

      Ethik und Moral sind Sollensordnungen für das Zusammenleben von Menschen aufgrund von philosophischen oder theologischen Grundpositionen. Nach den zehn Geboten soll man u. a. nicht stehlen und nicht töten, soll man seine Eltern achten, nicht lügen und den Feiertag heiligen. Daneben gibt es Sollensordnungen, die gebieten, an bestimmten Orten eine bestimmte Kleidung zu tragen, in bestimmter Weise seine Mitmenschen zu begrüßen, bis hin zu Tischordnungen oder sonstigen Umgangsformen im Alltag.

      Nur ein Teil dieser Gebote und Verbote ist auch rechtlich geregelt. Dies gilt für einen Teil der biblischen Gebote (Verbote zu töten, zu stehlen), aber nicht für alle (z. B. nicht: Seine Eltern zu ehren). Teil der Rechtsordnung sind also nur diejenigen Normen und Gebote, die (in einer formal ordnungsgemäß zustande gekommenen) Rechtsnorm niedergelegt sind. Man kann deshalb die Rechtsordnung auch als das „ethische Minimum“ einer Gesellschaft bezeichnen. Im Folgenden werden wir uns im Wesentlichen nur noch mit Rechtsnormen befassen, und zwar mit solchen, die „der Staat“ gesetzt hat. (Daneben gibt es auch Rechtsnormen der Kirchen und Religionsgemeinschaften, etwa der evangelischen und katholischen Kirche, auf die im Folgenden ebenfalls nicht eingegangen wird.)

      Die