Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilke Elsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353028
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ist.

      Der Gedanke des doing gender<i>doing gender</i> findet sich in zahlreichen Debatten und theoretischen Strömungen wieder, in denen verschiedene Wissenschaftstraditionen unterschiedliche Akzente setzen. Für Hirschauer (1994, 2001) dient aus Sicht der Soziologie die Aufteilung in zwei Geschlechter der sozialen Organisation. Die Ethnomethodolog/innen West/Zimmerman (1987) prägten den Begriff des doing gender als eine Routine, eine Fertigkeit, die wir in der InteraktionInteraktion mit anderen immer wieder neu schaffen. Die soziale Wirklichkeit erzeugen wir erst im alltäglichen Miteinander. Sie nahmen den Fall der transsexuellen Agnes als Ausgangspunkt. Agnes wurde zunächst als Junge erzogen, wollte dann aber trotz männlicher Genitalien Frau sein und ließ sich schließlich auch umoperieren. Als wesentlich erwies sich die Beobachtung, dass sie ständig ihr Geschlecht durch ihr Tun beweisen musste, unterstützt von adäquater Sprache, Stimmführung, Kleidung, Schminke, Frisur etc. Sie hatte das angemessene Verhalten, sich in jeder Situation als Frau und damit anders als bisher zu benehmen, um als Frau auch wahrgenommen zu werden, erst mühsam zu erlernen und war auf die Hinweise ihres Freundes angewiesen, etwa, eher einmal nichts zu sagen als sich durchzusetzen. Die Sichtweise des Doing gender-Konzepts rückt deswegen das Verhalten sowie die tragende Rolle der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Gender im Vergleich zu sex ist weniger Eigenschaft als immer wieder neu in der Interaktion miteinander hervorgerufenes Tun, was AsymmetrienAsymmetrie nicht ausschließt, aber Varianten mit einbezieht, die über +/- weiblich bzw. männlich hinausgehen, also verschiedene Transgenderformen, Hermaphroditen, Homosexuelle. Geschlecht ist nicht gegeben und auch nicht fix. Es ist „emergent“Heterosexualität<i>performing gender</i>2. Über die Interaktion aber rückt die Sprache etwas mehr in den Blickpunkt. Studien untersuchen u.a., wie genau Gender zustande kommt.

      Kotthoff (2002) kritisiert allerdings die zu starke Betonung von Gender als soziale Kategorie. Denn erstens sieht sie durchaus Zusammenhänge zwischen sex und gender, zweitens sind NeutralisierungsstrategienNeutralisierung möglich, die von Einzelnen ausgehen können. Außerdem zeigt sich doing gender<i>doing gender</i> nicht nur in der InteraktionInteraktion, sondern auch in Äußerlichkeiten und Körpersprache. Gender wird nicht immer und in jeder Situation gleich „gemacht“. Meistens ist der/die Einzelne auch nicht allein beteiligt. Kotthoff möchte das Phänomen relativieren in rezipiertes gegenüber produziertes, bewusstes und nicht bewusstes, mehr oder weniger Gender.

      Das biologische Geschlecht ist für Doing gender-Ansätze unwichtig oder sogar nicht existent, da Gender stets im Moment und abhängig von der Situation inszeniert wird und die Kategorie durch die sprachliche Benennung erst entsteht.

      In der Tradition des ‚Doing gender‘-Ansatzes gibt es Gender nicht, außer wenn es sprachlich konstituiert wird. Sprache ist damit nicht Abbild von Gender, sondern Sprache ist herstellende Bedingung für Gender (Hornscheidt 2013: 346).

      Diese Position ist in ihrer extremen Variante, auch die tatsächlich angeborenen Geschlechtsmerkmale zu negieren und sie erst gelten zu lassen, wenn sie für relevant erklärt werden, sehr umstritten. Es stellt sich auch die Frage, wie realistisch die komplette Ausblendung jeglicher biologischen Aspekte letztendlich ist.

      3.4 DekonstruktionDekonstruktion – undoing gender<i>undoing gender</i>

      Während für West/Zimmerman (1987) doing gender<i>doing gender</i> und damit die Zuschreibung geschlechtsspezifischer Eigenschaften sowie das entsprechende Handeln unvermeidbar ist, sieht Hirschauer (1994: 678, Westheuser 2015) auch die Möglichkeit von undoing gender<i>undoing gender</i>.

      Undoing gender heißt, die Geschlechtsunterscheidung in manchen, z.B. schulischen oder beruflichen, Situationen zu neutralisierenNeutralisierung, wenn es angebracht ist, indem sie unwichtig und nicht mehr wahrgenommen wird.

      Für Hirschauer ist die Geschlechtsunterscheidung im Gegensatz zu West/Zimmerman nicht „omnirelevant“. Deutsch (2007) kritisiert ähnlich, dass (doing) Gender nicht universell, allgegenwärtig und unvermeidbar ist, weil das die Möglichkeit des Wandels ausschließen würde. Beispiele für undoing gender<i>undoing gender</i> sind die NeutralisierungNeutralisierung des Aussehens, Meiden körperbetonter Kleidung, wenig Schmuck, wenig Make up, tiefere Stimmlagen, Unisex-Produkte oder Egalitätsnormen (Hirschauer 2001) bis hin zu Widerstand gegen Geschlechtsnormen und -stereotype (Deutsch 2007).

      Therefore, I propose that we adopt a new convention, namely, that we reserve the phrase ‘doing gender<i>doing gender</i>’ to refer to social interactions that reproduce gender difference and use the phrase ‘undoing gender<i>undoing gender</i>’ to refer to social interactions that reduce gender differences (Deutsch 2007: 122).

      Die verschiedenen Richtungen schwanken zwischen Widerstand gegen Unterscheidung, Verneinung und Abmildern der Unterschiede.

      Der Ansatz von Penelope Eckert und Sally McConnell-Ginet (u.a. 1999) zieht weitere soziokulturelle Faktoren mit in die Betrachtung ein, die ihrer Meinung nach stark miteinander verflochten sind und den Genderaspekt schwer isolierbar machen. Geschlecht muss im Zusammenhang mit weiteren gesellschaftlich bedingten Variablen, die der Identitätsstiftung dienen, gesehen werden wie sozialer StatusStatus, EthnieEthnie, HeterosexualitätHeterosexualität oder Alter. Diese soziolinguistischeSoziolinguistik, -isch Sicht betrachtet eher den Stil einer bestimmten Gruppe und legt Wert auf die tragende Rolle der Sprache für die Identitätskonstruktion. Sie bezieht ebenfalls die Möglichkeit ein, sich einer Kategorisierung entziehen zu können.

      3.5 EvolutionEvolution, aber nicht Determiniertheit

      Schließlich vertreten einige Ansätze die Meinung, dass biologische Faktoren nicht irrelevant sind. Auf der Suche nach Erklärungen, warum es etwa im Gesprächsverhalten zu Unterschieden kommt, flossen auch evolutionsbedingte Gründe mit ein, da die Arbeiten der Feministischen Linguistik für viele keine zufrieden stellenden Erklärungen für die Beobachtungen lieferten, weil sie lediglich Thesen und Vermutungen aufstellten und nicht nach Ursachen suchten. Auch der Doing gender-Ansatz erfährt Kritik: Die Universalität, die Stabilität und die psychischen Verankerungen der Geschlechterhierarchien werden nicht erklärt und dem Einzelnen wird zudem ein zu großer Handlungsspielraum beigemessen (Rendtorff 2006: 137f.). Deswegen versucht u.a. Locke (2011) zu zeigen, dass sich die großen Unterschiede zwischen Männer- und Frauengesprächen nicht über Gendereffekte, sondern über unterschiedliche biologisch bestimmte Eigenschaften erklären lassen, die ihren Ursprung in den verschiedenen Aufgaben bei der Fortpflanzung haben – „men and women speak in fundamentally different ways largely because they are outfitted by Nature to do so“ (Locke 2011: 9). Locke sieht in den Unterschieden jedoch keine Rechtfertigung für Ungleichbehandlung, vielmehr will er Frauen und Männer als sich gegenseitig ergänzend begreifen. Er betont die Vorzüge des Zusammenwirkens.

      Bereits zu Zeiten der Jäger und Sammler(innen), die damals noch als egalitär zu betrachten waren, bedingten die biologischen Unterschiede vor allem die klassische Arbeitsteilung (Wood/Eagly 2012). Sie führten aufgrund des je anderen Evolutionsdrucks über viele tausende von Jahren hinweg zu Unterschieden von Körper und GehirnGehirn. Locke führt zahlreiche Belege zu universellem Verhalten, Parallelen bei anderen Spezies, höheren Testosteronwerten im Zusammenhang mit Dominanz und kindlicher Entwicklung an.

      Besonders die sehr stark verbreiteten Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Sprachstilen lassen sich seiner Meinung nach schlecht als je unmittelbar konstruiert verstehen. Hier sieht Locke weniger psychologisches als vielmehr biologisches Erklärungspotenzial. Auffälligerweise sprechen kulturübergreifend Frauen eher ungern vor vielen Menschen, während Männer dazu tendieren, den öffentlichen Rahmen für die Selbstdarstellung und verbale Wettkämpfe zu nutzen, dazu gehören auch Witze, lange Monologe und Herumalbern. Wie die EvolutionEvolution uns lehrt, haben stärkere und intelligentere TiereTier bessere Überlebenschancen. Kämpfe, die jedoch nicht tödlich enden, und laute und gefährlich klingende Drohgebärden dienen dazu, den Stärksten und damit Statushöchsten auszuhandeln und damit weibliche Tiere zu beeindrucken und für die Fortpflanzung zu gewinnen. Diese wiederum bevorzugen möglichst starke Partner, die das Wohlergehen