Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilke Elsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353028
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faire Bezahlung und Schwangerschaftsabbruch. Nachdem es Anfang des letzten Jahrhunderts bereits erste empirische Studien zur Lage der Frau gegeben hatte, entstanden in den 1960er Jahren in Deutschland und den USA die Women’s Studies. Gleichzeitig erschienen erste kritische Schriften zur Behandlung von Frauen in der und durch die Sprache. Aus den Feminist Studies entwickelten sich die Gender Studies, aus den Gay / Lesbian Studies die Queer Theory (Frey Steffen 2017: 85).

      Viele der ursprünglichen Forderungen waren umgesetzt. Die Wahrnehmung richtete sich langsam auf individuelles Wohlempfinden, so traten Frauenthemen etwas in den Hintergrund. Die Jüngeren nahmen vieles als selbstverständlich wahr und erkannten dann oft erst bei Eintritt in das Berufsleben die immer noch unfaire Chancenverteilung. Zudem erlitten in Deutschland mit der Vereinigung der zwei deutschen Staaten die FrauenbewegungenFrauenbewegung einen Rückschlag, da ihre Interessen bei der Neuorganisation untergingen (Gerhard 2009: 120ff.). In den 90ern formierte sich trotzdem weltweit die dritte Welle ausgehend von den USA, auch aufgrund antifeministischer Bewegungen. Es gab internationale Frauenkonferenzen und Initiativen, die die Anerkennung der Rechte der Frauen als Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung überall auf der Welt forderten. Zu den Themen gehörte zunehmend auch HomosexualitätHomosexualität. Als Auslöser gilt unter anderem Gender Trouble der Philosophin Judith Butler von 1990 mit der These, dass auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich beeinflusst zu sehen ist. Das Werk stieß die Queer Theory mit an. Damit wurde die grundsätzliche Zweiteilung der Geschlechter hinterfragt. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Sichtbarmachen der Frauen, sondern mehr auf der DekonstruktionDekonstruktion von Geschlecht. Eine gesellschaftliche und politische Gleichbehandlung sollte auch durch die sprachliche ergänzt werden.

      Die geschichtlichen Tatsachen können teils nicht verständliche, gut etablierte Gewohnheiten erklären. Freiheit und Gleichheit sind für Frauen neu und ungewohnt. Sie blicken auf jahrtausendealte Rechtlosigkeit zurück3. Sie hatten Objektstatus, waren Eigentum von VäternVater oder Ehemännern, hatten keine Rechte, kein Geld, keine eigene Meinung, durften nicht nein sagen – Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 erlaubt und ein Recht des Ehemannes. Sie gilt in Deutschland erst seit 2004 als Offizialdelikt.

      Frauen hatten auch keine eigenen Bedürfnisse zu haben und mussten zu Hause bleiben. Der öffentliche Raum gehörte den Männern. Da Frauen bis auf wenige adlige Ausnahmen nie Eigentum hatten, ist es verständlich, dass Männer um Macht kämpften, Frauen jedoch um Männer mit Macht und dass es deswegen auch den Frauen so schwerfiel – und zuweilen immer noch -fällt –, zusammenzuhalten. In diesen wenigen Jahren seit der offiziellen Gleichberechtigung können sie kaum das gleiche Selbstbewusstsein und SelbstwertgefühlSelbstbewusstsein, Selbstwertgefühl entwickeln, wie wir es von den meisten Männern kennen. Dies dürfte die ablehnende Haltung vieler Frauen gegenüber feministischen Gleichstellungsversuchen mit erklären.

      Viele Frauen haben eine über Generationen tradierte Tendenz zur Angst vor Macht und vor der Verantwortung, während Männer Angst vor dem Verlust der Macht haben.

      2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache

      Die Thematisierung von Frauen und Sprache erfolgte bis weit in das letzte Jahrhundert hinein intuitiv und aus männlicher Sicht. Otto Jespersen gehört zu denjenigen Sprachwissenschaftlern (m.), die in diesem Zusammenhang sehr oft zitiert werden, weil er Anfang des letzten Jahrhunderts nicht nur auf das andere Sprachverhalten der Frau hinwies, sondern auch Erklärungen dazu formulierte: Die Sprache der Frau sei insgesamt primitiver, para- und nicht hypotaktisch, inhaltsärmer, unvollständiger. Frauen hätten einen kleineren Wortschatz und bewegten sich in jeder Beziehung im durchschnittlichen Bereich. Jespersen verdanken wir Beobachtungen wie

      […], daß manche männer unverbesserliche wortspieler sind, während die frauen im allgemeinen langsam im begreifen eines solchen wortwitzes sind und kaum jemals selbst etwas derartiges verbrechen […], daß die Frauen viel öfter als die männer mitten in der rede aufhören und den satz unbeendet lassen, weil sie zu sprechen anfangen, ohne das, was sie sagen wollen, zu ende zu denken (Jespersen 1925: 233f.).

      Auch Überlegenheit wird uminterpretiert:

      Nicht nur, daß sie [die Frauen] schneller lesen konnten als die männer, sie waren auch imstande, bessere rechenschaft über den absatz als ganzen zu geben. Eine dame z.b. konnte genau viermal so schnell lesen als ihr mann und überdies noch einen vollständigeren bericht niederschreiben als er von dem kleinen stück des absatzes, das er zu bewältigen vermochte. Aber es ergab sich, daß diese geschwindigkeit kein beweis für geisteskraft war (ibd.: 236).

      Die Gründe dafür suchte Jespersen bei Unterschieden in der Ausbildung, in den täglichen Anforderungen und der Arbeitsverteilung. Im Gegensatz zu einigen außereuropäischen Sprachen gibt es für den deutschen Sprachraum aber keine „FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i>“ mit grammatischen, lexikalischen und / oder phonologischen Eigenheiten und damit auch kein geschlechtsspezifisches Sprachverhalten, sondern nur mehr oder weniger typische Merkmale.

      Die SoziolinguistikSoziolinguistik, -isch nahm den Faktor Geschlecht Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit in ihren Untersuchungskanon zu Sprachvariation auf, beginnend mit William Labov und Peter Trudgill. Zunächst waren oft genug nur männliche Probanden untersucht worden (Thorne/Henley 1975b, Hellinger 1990: 20). Die Studien mit Frauen zeigten, dass sie im Vergleich zu Männern eher standardnah sprechen.

      Eine erste auf tatsächlichen Belegen beruhende Abhandlung über 1500 Spott-, Scherz- und Schimpfnamen für Frauen in der schweizerdeutschen Volkssprache legte 1935 Luise Frei (Frei 1981) vor mit einer erstaunlichen Menge und Bandbreite an affektiven, zumeist negativ konnotierten Begriffen zu den Themenbereichen ‚hässlich‘, ‚dick‘, ‚faul‘, ‚geschwätzig‘, vor allem ‚moralisch fragwürdig‘, und aus zahlreichen Wortschatzbereichen wie TierenTier oder Objekten. So wurden Behälter, Gefäße oder allgemeiner Hohlräume in Übertragung auf weibliche Organe verwendet (Schmutzsack, Stinkloch, Schmutzampele). Alle Bezeichnungen waren laut Autorin von Männern geschaffen. Das sagt nun aber hauptsächlich etwas über die Männer und über das, was ihnen wichtig ist, aus (Wyss in Frei 1981: 9).

      Batliner (1981) argumentierte ähnlich. Er überprüfte statistisch Denotate und Konnotate von Nomen und Nominalphrasen mit Bezug auf Frauen und Männer (angefasste Apfelsine für eine Frau, ein Bär von einem Mann) in einem Synonymwörterbuch. Zunächst ging es ihm um die Häufigkeitsverteilung und darum zu zeigen, dass die Sprache eher von Männern als von Frauen geprägt wird. Zahlenmäßig überwiegen ganz klar die Denotate für die Frau (418, für den Mann 44; Batliner 1981: 325). Inhaltliche Aspekte verstärken dann die Argumentation: Attribute für Frauen beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild, auf das Verhalten gegenüber Männern und auf Themen wie ‚jungfräulich‘ oder ‚liederlich‘, während der Mann Machtansprüchen gewachsen ist oder nicht, vgl. bei der Frau schön, attraktiv, sexy, dumm, zanksüchtig gegenüber dem Mann potent, fruchtbar, jugendlich, schwach, senil (Batliner 1981: 320ff.). Anhand der Ausdifferenzierung bei den Bezeichnungen für die Frau werden die inhaltlichen Tendenzen und die vielen Rollenklischees sichtbar, die in dieser Ausrichtung und Breite den männlichen Sprachbenutzern offenbar wichtig sind.

      Ruth Römer (1973) untersuchte das Weltbild, das Lehrbücher vermitteln. Sie sammelte Beispielsätze aus renommierten Grammatiken in Hinblick auf Erwähnung, Rollen und Tätigkeiten von Frauen und Männern und fand die klassische Verteilung und Stereotype. Hauptsächlich agieren Männer, Frauen sind selten berufstätig, sondern mit Kindern und Haushalt beschäftigt. „Während er alles weiß, weiß sie nichts.“ „Der Mann ist gebildet. Das Mädchen ist reizend.“ „Der Vater liest. Er liest ein Buch. Die MutterMutter liest Erbsen“ (Römer 1973: 77f.). Solche Untersuchungen gab es später noch öfter (Kap. 11, 12).

      Die aktuelle Auseinandersetzung mit der Thematik fand ihren Anfang u.a. mit Key (1972, ausführlich 1975). Sie beleuchtete in Anlehnung an Arbeiten von z.B. Jespersen die Unterschiede der Sprache von Frauen und Männern in einigen Kulturen und trennte dabei auch zwischen gender (‚GenusGenus‘) und sex. Darüber hinaus stellte sie Vorüberlegungen zu unterschiedlichem sprachlichen Verhalten als auch zu Unausgewogenheiten in der sprachlichen