Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilke Elsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353028
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und StatusStatus korrelieren mit Testosteron. Beispielsweise weisen Berufsschauspieler, Berufsfußballer und Prozessanwälte1 wesentlich höhere Testosteronwerte auf als andere Berufsgruppen (Locke 2011: 93). Das viele Sprechen über sich selbst, das verbale Dominanzverhalten und Statussichern entspricht der körperlichen Selbstdarstellung, etwa bei der WerbungWerbung, während das kooperative Verhalten Beziehungsgeflechte pflegt, die für die Aufzucht des Nachwuchses zwischen den weiblichen Mitgliedern einer Gruppe unentbehrlich waren.

      So sieht es auch Scheunpflug (2004). Um das Überleben über erfolgreiche Reproduktion zu sichern, müssen männliche Individuen stark, gesund und schnell sein. Sie treten gegen viele andere Konkurrenten an und demonstrieren entsprechend ihre Vorteile wie körperliche Kraft oder beim Menschen hohes Einkommen und andere vergleichbare Leistungen. Sie wollen ihre Energie in möglichst junge (und viele) gesunde Weibchen investieren, müssen aber dafür lediglich Kraft für WerbungWerbung aufbringen. Im Gegensatz dazu wenden weibliche Säugetiere sehr viel Energie für Mutterschaft, Geburt, Stillen und Betreuung auf. Sie produzieren nur wenig Nachkommen und diese sind oft sehr unselbstständig und benötigen Schutz. Außerdem ist, je weniger Nachwuchs ein Weibchen hat, dieser umso wertvoller. Wenn sich das Weibchen um den Nachwuchs kümmern muss, benötigt es ebenfalls Schutz. Die weiblichen TiereTier sind deswegen auf die Hilfe durch die anderen weiblichen Mitglieder der Gruppe und das möglichst starke und mächtige Männchen angewiesen. Sie investieren darum ganz anders in den Partner: Er will sorgfältig ausgesucht sein, weil er für längere Zeit für die Gruppe bzw. das Weibchen sorgen soll, denn das Überleben der Kinder hat absolute Priorität.

      Die Gruppe, die aus anderen weiblichen Mitgliedern bestand, die bei der Betreuung des Nachwuchses zusammenarbeiteten, stellte ein komplexes soziales Netzwerk dar, in dem sich die Einzelne kooperativ platzieren musste. Einige Ansätze gehen deswegen davon aus, dass die soziale Entwicklung über die weiblichen Mitglieder entstand. Die soziale Intelligenz, die mit der Größe der Gruppen korreliert, entwickelte sich zunächst über höhere kognitiveKognition, kognitiv Ansprüche und entsprechend größerem Gehirnbereich auf der Seite der weiblichen Primaten (Lindenfors et al. 2004, Lindenfors 2005, Locke 2011: 144).

      Das viele Reden über Beziehungen und zwischenmenschliche Ereignisse bei Frauen entspricht einem Pflegen sozialer Bindungen, das viele Reden über sich selbst bei Männern der Selbstdarstellung und der StatusStatusdemonstration. Beides ist interpretierbar als sprachliche Entsprechung des evolutionärEvolution bedingten geschlechtstypischen Verhaltens mit dem Ziel, optimal zu reproduzieren und damit letztendlich die Art zu sichern.

      Entsprechend lassen sich auch die unterschiedlichen Interessen schon im KindergartenKindergarten – Schönheit vs. Stärke – erklären: Da Männchen ihre Energie (Samen) optimal anlegen wollen, müssen die Weibchen gesund und im richtigen (jungen) Alter sein. Das Interesse auch kleiner Mädchen am Äußeren ist in diesem Ansatz ein Relikt aus den Zeiten, in denen das Äußere die für die Fortpflanzung grundlegenden Eigenschaften Jugend und Gesundheit signalisierte. Da die Weibchen um Männchen konkurrieren, mussten sie ihr Äußeres effektiv in Szene setzen. Andersherum benötigten Weibchen starke und gesunde Partner, die die Chancen auf erfolgreiche Aufzucht des Nachwuchses verbesserten. Ein starkes Männchen hat mehr Chancen bei den Weibchen. So erklärt sich die ständige Konkurrenz, die sich schon im Kindergarten zwischen Jungen oft auf körperlicher Ebene zeigt. Sie äußert sich später in StatusStatus, erfolgreicher Karriere, Einkommen und großen Autos oder aber Gewalt.

      Da Männer bei der Partnerwahl potenziell das Risiko tragen, leer auszugehen, war es für sie in der Geschichte der männlichen EvolutionEvolution vorteilhaft, neben dem kommunikativen Konkurrenzverhalten eine hohe Risikobereitschaft zu entwickeln. Zudem kann die geschlechtsspezifisch hoch signifikante männliche Gewaltbereitschaft als ein Ausdruck innergeschlechtlicher Konkurrenz interpretiert werden (Scheunpflug 2004: 208).

      Biologisch-evolutionäre Gründe für Unterschiede zwischen Frau und Mann werden gern dazu missbraucht, bestehende Statusunterschiede zu rechtfertigen und Veränderungen zu blockieren, die die männlichen Machtpositionen schwächen könnten. Dieser Missbrauch ist ein wichtiges Motiv für die vielfach vehemente Ablehnung des Ansatzes.

      Der evolutionäre Ansatz ist nicht als Entschuldigung für stereotype Verhaltensweisen misszuverstehen, sondern als wichtig für Wissenserweiterung und die Möglichkeit, die Beobachtungen der Geschlechterforschung zu verstehen.

      Zweifellos überlagert der kulturelle Fortschritt viele der angeborenen Tendenzen oder macht sie obsolet. Die durch unsere moderne Entwicklung nötige und/oder forcierte Flexibilität relativiert die genetischen Anlagen. Ganz aber verschwinden sie nicht, sonst gäbe es kein Streiten um Frauen und Macht und keine Vergewaltigungen mehr. Wir können unsere Handlungen selbst bestimmen, und je mehr wir über möglicherweise angeborene Zwänge wissen, umso eher können wir uns dagegen entscheiden und uns auch gegenseitig besser verstehen. In diesem Ansatz geht es nicht primär darum, dass Frauen und Männer nicht gleich sind. Sie sind trotz aller Unterschiede gleichberechtigt.

      3.6 Abgrenzungen

      Im Rahmen der verschiedenen Diskussionen werden wir auch mit thematisch nahestehenden, aber nicht unbedingt gleichzusetzenden Begriffen von Gender oder Genderstudien konfrontiert, die an dieser Stelle geklärt werden, und zwar Sexismus in der Sprache, Gender Mainstreaming und Queer Studien.

      Zu Sexismus als Verhalten oder auch Ideologie zählen sexuelle Belästigung und alle offenen und unterschwelligen Formen der Benachteiligung und Unterdrückung, auch die Verweigerung von Gleichbehandlung. Dies kann sich sprachlich äußern, etwa durch Beleidigungen, üble Nachrede, falsche stereotype Beschreibungen, abfällige oder lächerlich machende Bemerkungen, Herabwürdigung von Leistungen, Ablenken von relevanten Aussagen, UnterbrechungenUnterbrechung, Ignorieren, sprachliches Unsichtbarmachen.

      Gender Mainstreaming stellt eine offizielle Richtlinie der EU dar (Amsterdamer Vertrag, 1997). Es ist keine Theorie, nicht akademisch oder theoretisch, sondern als politisch-gesellschaftlicher Gleichstellungsansatz praktisch ausgerichtet. Es handelt sich um eine Strategie, mit der die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen, auch als politische Vorgabe, umzusetzen ist. Es strebt umfassend und präventiv die Gleichstellung im öffentlichen KontextKontext an und betrifft alle politischen Bereiche.

      Die Queer Studies als wissenschaftliche Disziplin entstanden Anfang der 90er Jahre aus den Gay und Lesbian Studies im philosophischen und literaturwissenschaftlichen KontextKontext und beschäftigten sich weniger mit dem Gender-Aspekt als vielmehr mit Sexualität. Engl. queer ‚eigenartig, seltsam‘, aber auch ‚schwul‘, vor allem geringschätzend, bezeichnet sexuelle Randgruppen und als Queer Studies auch das theoretische Konzept. Es wertet das Thema zu einem Forschungsgegenstand auf, der sich mit Brüchen zwischen sex, gender und Begehren bzw. Praxis befasst (Jagose 2005: 15).

      Jeder Ansatz hat seine eigene Vorstellung davon, wie und in welchen Gewichtungen Geschlecht und Gesellschaft interagieren. Entsprechend anders gestaltet sich aus den verschiedenen Perspektiven die Möglichkeit, zu intervenieren und für Chancengleichheit zu sorgen. Dabei wird manche eher extreme und sehr umstrittene Vorstellung wie die von Butler im vorliegenden Buch nicht behandelt.

      Gender entwickelt sich immer mehr zu einem interdisziplinären Forschungsgegenstand. Grundsätzlich erweist es sich als plausibel, neben den biologischen Faktoren Unterschiede in der Sozialisation zu erkennen. Verantwortliche Erwachsene müssen daher zunächst sensibilisiert sein, um zu verstehen, dass wir alle unseren Teil dazu beitragen können, Mädchen und Jungen gleichberechtigt zu fördern. Ob die BiologieBiologie dann einen großen oder kleinen Anteil zum typisch männlichen oder weiblichen Verhalten beisteuert, kann momentan nicht entschieden werden. Wie die weiteren Kapitel zeigen, gibt es durchaus angeborene Faktoren, die uns beeinflussen. Nichtsdestotrotz sind wir als vernunftbegabte, kulturell entwickelte Individuen in der Lage, uns darüber hinwegzusetzen, wenn wir denn wissen, wie und wo wir dabei ansetzen müssen.

      Zunächst sollten wir erkennen, dass ganz im Sinne des Doing gender-Gedankens Geschlecht nicht einfach biologisch, binär und statisch und von Anfang gegeben ist, sondern dass es in der Gesellschaft und im Miteinander konstruiert wird. Die Erklärungen für Verhaltensweisen