Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilke Elsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353028
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finden sein. Vielmehr ist es nötig, beide Aspekte in Betracht zu ziehen. Eine einfache Unterscheidung von erworben oder angeboren gibt es nicht, dazu ist das Zusammenwirken der verschiedenen Aspekte zu komplex. Auch Stereotype beeinflussen unsere Erwartungen, diese wiederum das Verhalten und die Wahrnehmung des Verhaltens.

      Auch wenn die genetischen Anlagen viele unserer Reaktionen steuern, ist jederzeit ein Eingreifen möglich. Viele kleine Schritte im privaten und öffentlichen Alltag können mithelfen, für mehr Chancengleichheit zu sorgen, und jede/r kann dazu beitragen.

      3.7 Zusammenfassung

      Die Forschung zu Sprache und Geschlecht hob zunächst den Dominanzaspekt hervor, dann den der Differenz, um danach sozial-performative Faktoren, Variabilität und ständiges Neukonstruieren von Gender zu betonen und auch die verschiedenen Möglichkeiten von Diversität zu beachten.

      Die frühe feministische Sprachwissenschaft konzentrierte sich noch auf einzelne Beobachtungen von Sprechen über und von Frauen. Die männliche Sprache galt als Norm, von der Frauen abwichen und dadurch Nachteile hatten. Dieser Zusammenhang zwischen sprachlichen und gesellschaftlichen AsymmetrienAsymmetrie bildete den Ausgangspunkt für die Feministische LinguistikFeministische Linguistik und für die sich daraus entwickelnde kritische Haltung mit dem Ziel, Gleichbehandlung zu erreichen. In der Folge wurde die Sprache der Frauen und Männer mehr und mehr als stilistisch zwar unterschiedlich, aber als gleichwertig aufgefasst.

      Zum Ende der 90er Jahre hin löst der Begriff der Genderstudien den der Feministischen Linguistik langsam ab. Das Geschlecht gilt nicht mehr als gegeben, sondern als Konstruktion, als sozial bedingtes Handeln. Es ist damit breiter, variabel und abhängig auch von anderen Faktoren wie EthnieEthnie, sozialer Schicht und ReligionReligion. Die Genderstudien arbeiten interdisziplinär. Die politisch-kritische Perspektive jedoch bleibt. Das Genderkonzept gibt zunächst die (für einige) gewaltsame Zweiteilung auf, will dann aber auch die AsymmetrienAsymmetrie anprangern, die damit zum Nachteil aller, die nicht zur Kategorie des „richtigen“ (weißen Mittelschicht-) Mannes zählen, verbunden sind.

      Mit Gender als sozial konstruierter Größe, mit Diskriminierung und Macht beschäftigen sich viele andere Disziplinen, so dass die feministischFeminismus-linguistische Sicht innerhalb der Genderstudien nur noch eine von vielen ist. Sie nähern sich aufgrund der Breite der Themenfelder stark den Kulturwissenschaften an. Die verschiedenen Erklärungsansätze setzen außerdem unterschiedliche Schwerpunkte: von erlernt und erworben bis hin zur völligen Negation angeborener Aspekte im philosophischen Rahmen. Es ist aber fraglich, inwiefern die biologischen Unterschiede in der Praxis völlig ausgeblendet werden sollten/können. Außerdem scheint es auch evolutionsbedingte unterschiedliche Tendenzen im Verhalten zu geben, aber sie sind den Auswirkungen durch kulturellen Fortschritt untergeordnet. Wir sollten sie kennen, um besser damit umgehen zu können, nicht, um die Errungenschaften jahrzehntelanger Arbeit um Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu bagatellisieren oder uns aus unserer Verantwortung, diese umzusetzen, herauszureden. Dies kann nicht oft genug betont werden.

      3.8 Forschungsaufgaben

      Der soziolinguistischeSoziolinguistik, -isch Ansatz von Eckert/McConnell-Ginet (1999) dürfte für diejenigen relevant werden, die mit heterogenen Gruppen arbeiten. Allerdings ist die Situation in den USA nicht auf die deutschsprachigen Länder übertragbar. Hier müssen eigene Studien zeigen, wie EthnienEthnie und Dominanzstrukturen in Abhängigkeit der Herkunftsländer und der spezifischen Migrationssituation auf das Verhalten Einzelner innerhalb der Gruppe wirken und welche Rolle die Sprache spielt. Gergen (2010) diskutiert Prinzipien, Typen und Fragestellungen der qualitativen Forschung, Murnen/Smolak (2010) die der quantitativen Ansätze in der Genderforschung, sie können als Anstoß für eigene Vorhaben dienen. Auch in Nentwich/Kelan (2014: 132) finden wir Forschungsfragen.

      3.9 Literatur

      Zur Vertiefung vgl. Meissner (2008). Nentwich/Kelan (2014) geben einen Überblick über Studien und Themen des Doing gender-Konzepts mit Schwerpunkt auf englischsprachigen Arbeiten. Sammelbände stammen von Braun/Stephan (2006), Günthner et al. (2012), Bergmann et al. (2012). Zu Feministischer LinguistikFeministische Linguistik vgl. Samel (2000), zu Queer Theory vgl. Laufenberg (2017), zu „Queerer Linguistik“ vgl. Motschenbacher (2012). Die Kritik an dem evolutionären Ansatz ist teilweise vehement und unterstellt zu starke Annahmen, für eine relativierende Position sei Newcombe (2010) genannt.

      Bucholtz (2014) skizziert verschiedene feministische Strömungen, die auch Sprache mitberücksichtigen, aus US-Sicht. Sie zeigt, dass vermehrt die ethnische Perspektive, soziale Schicht, masculinity- sowie queer-studies in die Theoriebildung einfließen können und dass es sehr unterschiedliche Sichtweisen zum Verhältnis der Geschlechter untereinander sowie zu Macht und Gesellschaft gibt.

      4. Sprache und Denken

      4.1 Die Sapir-Whorf-HypotheseRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese

      Für viele Linguist/innen gilt es heute als selbstverständlich, dass sich neurologische, kognitiveKognition, kognitiv und soziale Aspekte beim Sprechen verbinden. Das GehirnGehirn verarbeitet gleichzeitig Weltwissen, kontextuell-gesellschaftliche Zusammenhänge, persönliche Informationen der Sprecher/innen und Sprache. Alles trifft gleichzeitig im Informationsverarbeitungssystem ein, wird verwaltet und zum Dekodieren von Mitteilungen herangezogen. Die modernen neurobiologischen und kognitiven Wissenschaften liefern hierzu immer mehr Beweise.

      Innerhalb der (Sprach-)Wissenschaft ging jedoch nicht immer jede/r davon aus, dass zwischen Denken, Handeln und Sprache eine Verbindung bestehen könnte. Schon seit Aristoteles wird immer wieder die Auffassung vertreten, Sprache und KognitionKognition, kognitiv seien vielmehr getrennte Systeme und wechselseitige Einflüsse eher nicht anzunehmen. Demnach ist Sprache in sich geschlossen, objektiv fassbar und unabhängig vom Sprechen und von den Sprecher/innen. Also benötigen wir für das Denken keine Sprache, und Sprache bildet lediglich die Gedanken ab. Sprache folgt ihren eigenen Regeln, die bei allen Menschen gleich sind (sprachlicher UniversalismusUniversalismus). Diese Ansicht fand seit Mitte des letzten Jahrhunderts große Verbreitung durch die Dominanz amerikanischer Sprachwissenschaftler, die sich primär auf das Englische stützten.

      Demgegenüber vertraten andere die Auffassung einer direkten Verbindung. Neben einigen frühen Vorläufern wie Gottfried Herder oder Wilhelm von Humboldt gingen Franz Boas (1858–1942), Edward Sapir (1884–1939) und Benjamin Lee Whorf (1897–1941) Anfang des letzten Jahrhunderts explizit davon aus, dass Sprachen auf ihre Sprecher/innen einwirken. Dadurch können sie das Denken beeinflussen und mithin das Handeln ebenfalls. Somit ist die jeweilige Wirklichkeit eine relative und abhängig von Sprache und Kultur. Jede Kultur ermöglicht eine etwas andere Sicht der Welt, die sie unter anderem durch Sprache vermittelt. Eine Kultur, die in Schnee und Eis überlebt, muss zwangsläufig mehr Wörter für Schnee haben. Eine Kultur in der Wüste verfügt über mehr Begriffe von Brauntönen. Jede ist im Prinzip dazu in der Lage, die Dinge der Welt zu sehen, aber kulturell wählt sie nur bestimmte aus, die sie versprachlicht. Das gilt auch für grammatische Strukturen. Die Sprache filtert die Wahrnehmung, was unterschiedliche Realitäten in den Köpfen der Menschen mit sich bringt. Ein absolutes, einzig wahres Bild der Dinge gibt es daher nicht.

      Ausgangspunkt in den USA waren ethnologische Beobachtungen mit der Erkenntnis, dass fremde Kulturen und ihre Sprachen einige bisher als selbstverständlich geltende Dinge anders ausdrückten und auch anders sahen, sowie der Versuch, möglichst objektiv-beschreibend und ohne Vorurteile vorzugehen. Denn zu diesem Zeitpunkt wurden die indigenen Völker und ihre Sprachen noch als weniger wertvoll als das Englische betrachtet und somit negativ bewertet.

      Für die Vertreter der später so genannten Sapir-Whorf-HypotheseRelativität, sprachliche, Relativismus, Sapir-Whorf-Hypothese gilt der Einfluss der Sprache auf das Denken als zentral (sprachlicher Relativismus). Das beinhaltet jedoch nicht die Bestimmung, Abhängigkeit bzw. Festlegung des Denkens durch die Sprache (sprachlicher DeterminismusDeterminismus) (vgl. auch Elsen 2014: 75ff.). Letzteres impliziert, dass Denken ohne Sprache nicht möglich ist, und schließt Änderungen der durch die Sprache vermittelten Auffassung