Gender - Sprache - Stereotype. Hilke Elsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hilke Elsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353028
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der DefizithypotheseDefizithypothese als dem ersten Ansatz im Rahmen der Feministischen Linguistik, u.a. Pusch und Trömel-Plötz, bewerten und hierarchisieren die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Defizithypothese schließt an die frühen Beobachtungen von Wissenschaftlerinnen wie Key oder Lakoff an. Sie interpretierten den höflichen Sprachstil der Frauen als notwendiges Sicherheitsdenken, um nicht zu bestimmt aufzutreten, keinen Dissens hervorzurufen und dadurch Sicherheitsabstand zu gewinnen. Frauen versuchten sich dadurch vor möglichen verbalen Angriffen durch Männer zu schützen. Dieses Verhalten werde ihnen als Unsicherheit, Machtlosigkeit und Nichtwissen ausgelegt und schwäche ihre Position im Gespräch, während sich die Männer dadurch gleichzeitig besser durchsetzen können. Der weibliche Stil ist also nachteiliger als der männliche, weil er dazu führt, dass sich die Frau weniger gut behauptet. Wenn sie sich aber durchsetzen will, muss sie auf die typisch männlichen Verhaltensweisen zurückgreifen, was sie dann unweiblich und aggressiv wirken lässt.

      Das führte zu weiteren Untersuchungen des Gesprächsverhaltens. Der Blick richtete sich jedoch zunächst noch wenig auf Kontexteffekte, so dass der einzige Faktor für Unterschiede das Geschlecht zu sein schien. Entsprechend war der Stand, immer noch in Fortsetzung der früheren Thesen, dass Frauen häufiger unterbrochen werden. Männer reden mehr und länger, unterbrechen mehr, vor allem Frauen. Sie verwenden wenige tag-questions oder andere Unterstützungen und überhaupt weniger Fragen, aber mehr Behauptungen und ImperativeDirektive, Befehle, Imperativ. Frauen stützen das Gespräch und halten es am Laufen, sie sind höflicher, aber auch unsicherer, werden dominiert, während sie gleichzeitig kooperativer sind. In den späteren Untersuchungen werden diese Unterschiede aber nurmehr konstatiert, nicht mehr bewertet: Sie folgen der DifferenzhypotheseDifferenzhypothese.

      Die DifferenzhypotheseDifferenzhypothese zeigt die Unterschiede auf und billigt beiden Geschlechtern gleiche Fähigkeiten zu. Weibliches Sprechen ist nicht schlechter, sondern anders.

      Maltz/Borker (1982/2008) übertrugen einen Ansatz, der für Probleme bei der KommunikationKommunikation zwischen EthnienEthnie entwickelt wurde, auf die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Nicht Macht- oder psychologische Unterschiede, sondern hauptsächlich kulturelle Differenzen und deren Regeln und Interpretation führen in gemischtgeschlechtlicher Kommunikation zu Missverständnissen. Diese Idee wurde durch anthropologische Arbeiten aus dem Mittleren Osten und Südeuropa inspiriert. So lautet der Grundgedanke, dass (in den USA) Männer und Frauen aus verschiedenen soziolinguistischenSoziolinguistik, -isch Subkulturen kommen.

      Die Theorie der zwei Kulturenzwei Kulturen geht ebenfalls von zwei gleichwertigen Systemen aus, betont aber die Unterschiede sehr stark, die auf zwei getrennten Sozialisierungswegen entstehen sollen.

      Das führt vor allem im Sinne von Tannen (u.a. 1990) auch zu eher homogenen Gruppierungen. Kinder spielen von Anfang an in gleichgeschlechtlichen Gruppen und entwickeln eigene Interaktionsstile, die nicht genügend geschlechtsübergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen, so dass es ständig zu Missverständnissen und Auseinandersetzungen kommt. Während Mädchen früh üben, Konflikte verbal zu lösen und zu kritisieren und damit einen kooperativen Gesprächsstil einüben, positionieren sich Jungen von Anfang an auch sprachlich deutlich, was zu Dominanzverhalten führt. Die klare Einteilung nach zwei Geschlechtergruppen ist mittlerweile überholt, denn es gibt Übergänge und biologisch und sozial bedingt auch mehr Gruppen. Mädchen und Jungen agieren außerdem auch immer wieder miteinander. Der Ansatz vereinheitlicht und vereinfacht zu sehr und vernachlässigt Gemeinsamkeiten sowie andere Erklärungsmöglichkeiten für Missverständnisse.

      Die Feministische LinguistikFeministische Linguistik beschäftigte sich mit Macht, Benachteiligung und Gewalt durch Sprache und damit, wie sprachliche Unterdrückungsmechanismen funktionieren, wie Gleichbehandlung herzustellen und auf politischer Ebene durchzusetzen ist. Die Untersuchungen konzentrierten sich auf das Sprachsystem, Gespräche und Gesprächsstile.

      Die Arbeiten dieser Phase wurden vielfach wegen ihres eher intuitiven, methodisch noch nicht ausgereiften Vorgehens kritisiert. Frauen galten global als die einzig Leidtragenden. Die Datengrundlage war noch dünn, die Verallgemeinerungen vernachlässigten andere Aspekte wie Situation, soziale Schicht und StatusStatus. Auch populäre Begriffe wie FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i>/Männersprache oder GenderlektGenderlekt erwiesen sich als für unsere Kulturkreise nicht angebracht, da sie von zu großen Unterschieden im System oder Verhalten ausgehen. Sie suggerieren Stabilität und Homogenität der Varietät sowie Kontextlosigkeit. Die situative Abhängigkeit aber ist ein entscheidender Faktor des Doing gender-Ansatzes. Während die Feministische LinguistikFeministische Linguistik die Unterschiede und vor allem AsymmetrienAsymmetrie und dadurch die Diskriminierung in der Sprache und im Sprachgebrauch zu beschreiben suchte und für mehr sprachliche Gleichberechtigung eintrat, verschob sich hier der Schwerpunkt der Genderstudien auf die Konstruktion von Geschlecht und darauf, wie sich die verschiedenen Geschlechter inszenieren. Dabei beschäftigt sich die Genderlinguistik gezielt mit der sprachlichen Konstruktion von Geschlecht.

      3.3 Diversität – Gender und doing gender<i>doing gender</i>

      Lange galt Geschlecht als feste Größe, als natürlich definiert, unveränderbar und universell (so) gegeben. Vor allem aber handelte es sich um ein bipolares Konzept. Das Geschlecht als entweder Mann oder Frau stand mit der Geburt automatisch fest und blieb für immer gleich, „one’s identity is known to oneself and seen by others as one’s body“ (Fryer 2012: 41). Damit war auch die GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität stabil. Das Geschlecht eines Menschen galt als so selbstverständlich, dass es nicht hinterfragt, ja nicht einmal darüber nachgedacht werden musste. Probleme gab es nur für diejenigen, die nicht oder nicht ganz zu einer der beiden Kategorien passten. Diese Vorstellung dürfte auch heute noch die übliche sein. Die beiden Geschlechtskategorien manifestieren sich in Verhaltensweisen, zum Beispiel in der InteraktionInteraktion, Kleidung, Mimik, Gestik, Vornamen oder einer Entscheidung zwischen männlich und weiblich in amtlichen Dokumenten.

      Die meisten Aspekte, die die Geschlechter ausmachen, sind allerdings gar nicht angeboren, so die aktuelle Genderforschung, vielmehr werden sie uns anerzogen, und wir selbst richten uns, bewusst oder unbewusst, auch nach den Erwartungen der anderen, um im täglichen Umgang miteinander nicht benachteiligt zu werden. Damit gehorcht Geschlecht vielen Einflüssen, es ist nicht fix, sondern variabel, es kann auch nicht immer von anderen, etwa sozialen Aspekten getrennt werden. Das Englische unterscheidet daher zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen (gender). Geschlecht in diesem Sinne ist ein gesellschaftliches Konstrukt, es wird gemacht, gelernt, interpretiert:

      differences in what happens to women and to men derive in considerable measure from people’s mutually developed beliefs about sexual differences, their interpretations of its significance, and their reliance on those beliefs and interpretations to justify the unequal treatment of women and men (Eckert/McConnell-Ginet 2013: 7).

      Dieser Aspekt von Geschlecht wird aufgefasst als konstruiert – in der InteraktionInteraktion, in den MedienMedien. Auch unsere Bildungsinstitutionen sind am doing gender<i>doing gender</i> beteiligt, weil sie die unterschiedlichen Rollen ständig reproduzieren und inszenieren. Dies geschieht unbewusst und automatisch.

      Das Gender-Konzept, das zwischen gender und sex trennt, führte weg von einer Selbstverständlichkeit der beiden Kategorien. Es erfolgte eine Ausweitung der natürlichen Zweiteilung. Hier ist Geschlecht weder fest noch biologisch determiniert, sondern durch unser Miteinander bestimmt und damit kulturell-sozial bedingt1. Der Ansatz beschäftigt sich mehr mit GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität, wie sie entsteht, wie sie immer wieder ausgehandelt wird und welche Facetten jenseits der traditionellen Zweiteilung möglich sind. So kam es zur Konfrontation und letztendlich für viele auch zur Trennung in biologisches und gesellschaftliches Geschlecht. Diese Auffassung sieht Geschlecht im Sinne von Gender als veränderbar und nicht mehr binär. Daran schloss sich die Vorstellung an, dass Gender situationsspezifisch und auch zeitlich punktuell ständig immer wieder inszeniert wird: Wir „machen“ unser Geschlecht.

      Doing gender heißt, dass Gender im täglichen