BioliberaleBioliberalismus sehen die menschliche Würde in keiner Weise durch neue Optimierungsmaßnahmen bedroht, weil sie sowohl spezifische religiöse Begründungen als auch die Vorstellung einer konstanten und an sich wertvollen menschlichen Natur ablehnen (vgl. Althaus u.a., Teil 3). Betont werden stattdessen die Veränderbarkeit und Verbesserungswürdigkeit des Menschen und der hohe Wert seiner Selbstbestimmung, sodass das Konzept der „Würde“ eng an dasjenige der „Freiheit“ heranrückt. Aus einer säkularen philosophisch-ethischen Perspektive reicht der Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Gattung „Mensch“ grundsätzlich nicht aus, um einen moralischen Sonderstatus des Menschen zu rechtfertigen (vgl. Fenner 2010, 83f.). Wenn den Menschen allein aufgrund ethisch irrelevanter biologischer Eigenschaften wie eines bestimmten Chromosomensatzes besondere Schutzwürdigkeit zugesprochen wird, handelt es sich nach einem berechtigten Einwand von Peter Singer vielmehr um einen „Speziesismus“. Genauso wie beim „Rassismus“ oder „Sexismus“ würden dann die Interessen der Mitglieder der eigenen Gruppe bevorzugt behandelt, ohne dass es dafür einen relevanten Grund gibt. Für eine hinlängliche Begründung eines moralischen Sonderstatus müssten sich ethisch relevante Eigenschaften oder Fähigkeiten der Menschen angeben lassen, die anderen Lebewesen fehlen. Im Anschluss an Immanuel KantKant, Immanuel wird der X-Faktor in säkularen Gesellschaften meist als die typisch menschliche Fähigkeit zur vernünftigen Selbstbestimmung definiert, die ethisch von Bedeutung ist. Denn wenn ein Wesen sich selbst Zwecke setzen, Vorstellungen von einem guten Leben entwickeln und persönliche, über das nackte Überleben hinausgehende Interessen verfolgen kann, ist es in vielfältigerer und tieferer Weise verletzbar und braucht deswegen mehr moralische Rücksichtnahme als ein weniger entwickeltes, nichtselbstbestimmungsfähiges Tier. Diese innere WürdeWürdeinnere, s. auch „Willensfreiheit“ als zentrales Leitprinzip der neueren Ethik wird also konstituiert durch die Willensfreiheit, Selbstbestimmung oder Autonomie der Menschen (vgl. ebd., 57). Entsprechend liegt eine Verletzung dieser Würde vor, wo ein Mensch etwa durch Gewaltanwendung oder Manipulation verdinglicht oder instrumentalisiert wird. Bei einer Würdeindividualisierende/Gattungsbetrachtungindividualisierenden Betrachtung ist WürdeWürde graduierbar und hängt vom individuellen Besitz der entscheidenden mentalen Fähigkeit zur vernünftigen Selbstbestimmung ab. Kleinkindern, Komatösen oder Demenzkranken könnte eine innere Würde höchstens mithilfe zusätzlicher Argumente wie etwa dem Potentialitäts-Argument zugesprochen werden, demzufolge sämtliche Mitglieder der vernunftbegabten Spezies „homo sapiens“ zumindest in einem potentiellen Sinn zur Selbstbestimmung fähig sind (vgl. ebd., 58).
Von dieser an Willensfreiheit gekoppelten „inneren Würde“ ist eine „äußere Würde“ oder „Würde-Darstellung“ zu unterscheiden, die vom Ausmaß an Handlungs- bzw. Willkürfreiheit abhängt. Würde-DarstellungWürdeäußere Würde-Darstellung bezeichnet die Möglichkeit eines Menschen, ohne innere und äußere Zwänge und Hindernisse seine selbstgesetzten Ziele in die Realität umsetzen zu können (vgl. Fenner 2010, 58f.). Diese Art von Würde ist offenkundig genauso graduierbar wie die Handlungsfreiheit, da sie durch die gleichen Hindernisse beeinträchtigt wird: Menschen können durch sozial externe Beschränkungen seitens von Einzelpersonen oder der Gesellschaft, durch interne natürliche Beschränkungen wie Krankheiten oder Behinderungen oder interne soziale Beschränkungen wie schlechte Ausbildung oder Arbeitsverhältnisse daran gehindert werden, ihre Würde zu realisieren oder zur Darstellung zu bringen. Damit ist auch schon deutlich geworden, dass eine im LiberalismusBioliberalismus weit verbreitete rein negative Bestimmung äußerer Würde genauso wenig sinnvoll ist wie die ausschließlich negativ als Abwesenheit von Handlungsschranken definierte Handlungsfreiheit. Wie gut jemand sein Leben selbstbestimmt gestalten und seine Handlungsziele verwirklichen kann, hängt vielmehr ab von positiv vorhandenen individuellen, materiellen, sozialen und institutionellen Bedingungen. Der Schutz äußerer menschlicher Würde verlangt daher nicht nur negative Freiheitsrechte wie das Recht auf Leben, freie Berufswahl oder Versammlungsfreiheit, sondern auch positive Sozialrechte wie Recht auf Existenzminimum, Bildung oder Gesundheit. Ethisch betrachtet muss der normative Gehalt oder die Bedeutung der Menschenwürde grundsätzlich durch Rechte näher bestimmt werden. Da Rechte zur Sicherung menschenwürdiger Lebensbedingungen für alle Menschen gefordert werden, spricht man von Rechte (auf)Menschen-Menschenrechten. Es wäre aber ein naturalistisches Missverständnis zu meinen, Menschenrechte seien „natürlich“ oder dem Menschen „von Natur aus angeboren“. Ein häufiger Denkfehler ist es auch, das Recht auf Schutz der Würde an den Besitz von Würde zu koppeln. Denn gerade Menschen, die aufgrund schlechter Ausbildung, Armut, Krankheit oder ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse in geringerem Maß Würde darstellen oder verkörpern, sind besonders auf Schutz und Hilfeleistungen angewiesen (vgl. dazu Fenner 2016, 81f.). Aus bioliberaler Sicht fördern neue technologische Selbstoptimierungs-Maßnahmen menschliche WürdeWürde, weil sie interne natürliche Beschränkungen aufheben und damit die Möglichkeiten selbstbestimmten Handelns erweitern. Ob allerdings ein von radikalen Transhumanisten angestrebter rein siliziumbasierter „Posthumaner“ ohne Körper noch Würde darstellen kann, ist äußerst fraglich.
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