Selbstoptimierung und Enhancement
Ein ethischer Grundriss
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-8252-5127-7 (Print)
ISBN 978-3-8463-5127-7 (ePub)
Prof. Christoph Horn gewidmet für all die vielen intensiven philosophischen Diskussionen
1 Einleitung: Begriffsklärungen, Positionen und kultureller Kontext
Immer mehr Journalisten, Zeitdiagnostiker und Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen beschäftigen sich mit der Selbstoptimierung, einem gegenwärtig kontrovers diskutierten gesellschaftlichen Trend. „SelbstoptimierungSelbstoptimierung“ ist ein gesellschaftliches Leitbild oder Orientierungsmuster, das dem Einzelnen zur Regulierung seines eigenen Handelns und zur individuellen Lebensgestaltung zur Verfügung gestellt wird. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich insofern von einem Trend sprechen, als dieses Selbst- und Lebenskonzept in westlichen Gesellschaften eine enorme öffentliche und mediale Aufmerksamkeit genießt und Optimierungsprogramme immer stärker die Lebenswelt und die persönliche Lebensführung der Menschen prägen. Zahlreiche historisch-soziologische zeitdiagnostische Untersuchungen stimmen darin überein, dass es sich bei den hochkomplexen, dynamischen und beschleunigten modernen Gesellschaften um „Optimierungsgesellschaften“ mit einer bis dahin unbekannten Radikalisierung und Omnipräsenz der menschlichen Optimierungsbestrebungen handelt (vgl. Balandis u.a., 133; 135/StraubStraub, Jürgen u.a., 15). Das permanente Ringen um Selbstoptimierung sei zu einer der „gegenwärtig bedeutsamsten kulturellen Leitvorstellungen“ geworden (vgl. KingKing, Vera u.a., 283). Von der Trendforscherin Corinna MühlhausenMühlhausen, Corinna wurde das 21. Jahrhundert als „Zeitalter der Selbstoptimierung“ ausgerufen (vgl. MühlhausenMühlhausen, Corinna u.a. 2013). Auch wird bisweilen von einem „Optimierungsglauben“ als einer Art „säkularer Religion“ gesprochen mit ihrem Credo des modernen Fortschrittsoptimismus, dass alles immer besser werde und optimierbar sei (vgl. GugutzerGugutzer, Robert, 2). Je mehr dieses neue gesellschaftliche Rollenangebot zur allgemeinen Norm avanciert, wächst seitens der Gesellschaft die Erwartungshaltung, dass die Individuen selbstverantwortlich das Beste aus sich und ihrem Leben machen. Im neuen Selbstverständnis mutiert der Einzelne ökonomisch-technisch ausgedrückt zum „Manager“ oder „Unternehmer“, in der Sprache der Kunst zum „art“ oder „creative director“ seines Selbst und seines Lebens (vgl. GammGamm, Gerhard, 34). Ulrich BröcklingBröckling, Ulrich bezeichnet das „unternehmerische SelbstSelbstunternehmerisches“ als wirkmächtige Realfiktion, die sowohl ein normatives Menschenbild als auch die Gesamtheit von Selbst- und Sozialtechnologien umfasst und auf die Ausrichtung der ganzen Lebensführung abzielt (vgl. BröcklingBröckling, Ulrich, 46f.). Da zentrale Voraussetzungen für das Gelingen des Selbstoptimierungs-Projekts die kontinuierliche Selbsterforschung, erhöhte Selbstthematisierung und Selbstkontrolle sind, wird eine Fülle verschiedenster Methoden zur Selbstvermessung und Potentialanalyse professionell vermarktet und massenmedial umworben.
Wie bei vielen anderen „Trends“ ist allerdings nicht leicht auseinanderzuhalten, wie weit die Medienberichterstattung und philosophisch-literarische Zeitdiagnostik die Entwicklungsrichtung nur passiv widerspiegeln und beschreiben oder aktiv beeinflussen und verstärken (vgl. dazu WagnerWagner, Greta, 54). Nach einer repräsentativen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung kannten 2014 nicht einmal 40 % der befragten Deutschen den Begriff „SelbstoptimierungSelbstoptimierung“, sodass es sich noch nicht um einen „Volkssport“ handeln könne (vgl. GfK). Wenn sich nach einer Befragung des TNS Infratest 2016 bereits 59 % aller Deutschen „mehr oder weniger“ zur Selbstoptimierung „bekennen“, dürfte „Selbstoptimierung“ dabei sehr weit gefasstSelbstoptimierungenger/weiter Begriff worden sein (vgl. MühlhausenMühlhausen, Corinna u.a. 2016, 5). In Einzelfällen mögen die Kritiker den Kommentatoren mit gewissem Recht vorwerfen, der behauptete Trend sei ein bloßer „Medienhype“ (vgl. WagnerWagner, Greta, 27f./Schoilew, 29): Mit plakativen Titeln wie „Die Hoffnung auf schnelleres Denken verführt Akademiker zu GehirndopingHirn-Doping“ oder „Immer mehr Menschen greifen zu Glückspillen oder legen sich um der Schönheit willen unters Messer“ wird eine exponentiell zunehmende Verbreitung suggeriert. Eine direkte empirische Überprüfung ist aber insbesondere bei den z.B. für die Leistungssteigerung verwendeten Psychopharmaka schwierig, weil die meisten davon in Deutschland offiziell nur beim Vorliegen bestimmter Krankheiten verordnet werden dürfen. Zwar könnte die mediale Botschaft von einem dramatischen Anstieg des Konsums im Sinne einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ dazu führen, dass tatsächlich mehr Menschen sich für einen nichtmedizinischen Gebrauch von angeblich optimierenden Substanzen entschließen. Mutmaßlich geht aber die Entwicklung des neuen Trends und die Verbreitung biotechnologischer Hilfsmittel tatsächlich langsamer vonstatten als von den Medien dargestellt, zumal viele Optimierungstechniken noch Utopien oder Science Fiction sind. Nichtsdestotrotz braucht es schon jetzt dringend eine öffentliche gesellschaftliche Debatte, um Indizien drohender negativer kultureller Entwicklungen möglichst frühzeitig erkennen und mittels geeigneter Forschungsstrategien oder politischer Regulierungsmaßnahmen korrigieren zu können. Für eine ethische Beurteilung ist es daher zweitrangig, wie weit bestimmte technologische Optimierungsmaßnahmen überhaupt schon realisierbar oder bereits verbreitet sind. Es reicht die Tatsache aus, dass unter den sich selbst optimierenden Personen, in Forschung oder Industrie bestimmte Veränderungen menschlicher Fähigkeiten oder Eigenschaften als erstrebenswert angesehen werden.
1.1 Analyse der Begriffe „Selbstoptimierung“, „Selbst“ und „Enhancement“
1.1.1 Selbstoptimierung
Vom lateinischen „optimus“: „der Beste, Tüchtigste“ abgeleitet, meint „Selbstoptimierung“ ganz formal und allgemein jede Selbst-Verbesserung eines Subjekts hin zum bestmöglichen oder vollkommenen Zustand. Unmittelbares Objekt solcher Verbesserungs-Handlungen ist also wörtlich verstanden das „Selbst“ der handelnden Personen, das aber begrifflich ebenfalls nicht leicht zu fassen ist und weiter unten genauer analysiert wird (1.1.2). Während Verbesserung generell jede Veränderung in Richtung auf einen besseren, vollkommeneren Zustand meint, zielen Handlungen des Optimierung, OptimumOptimierens oder des „Perfektionierens“ strenggenommen direkt auf die höchstmögliche Stufe oder den Bestzustand ab. Denn das Optimum ist der bestmögliche oder vollkommene Zustand, den ein System, ein Mensch oder auch eine Institution unter den gegebenen Voraussetzungen tatsächlich erreichen kann. Wer sich also zu optimieren oder perfektionieren trachtet, will nicht nur besser werden, sondern so gut wie möglich. Damit unterscheidet sich das „Optimum“ einerseits vom „Ideal“ als der schlechthin besten denkbaren Variante ohne Rücksicht auf Realisierungsbedingungen und andererseits vom „Maximum“ als absolut höchster Steigerung mit Blick auf verschiedene Parameter und ein anvisiertes Ziel. Je nach Kontext ist ein quantitatives „Maximum“ nämlich nicht immer auch das qualitativ verstandene „Optimum“, was besonders für komplexe Systeme wie den menschlichen Organismus zutrifft. So bedeutet beispielsweise hinsichtlich des menschlichen Gedächtnisses eine Steigerung bis zu einem Maximum an Gedächtnisinhalten schwerlich das Optimum, weil das Speichern sämtlicher verfügbarer Informationen und somit auch aller negativer Erinnerungen kein wünschenswerter Zustand wäre. Die Begriffskombination „Selbst-OptimierungSelbstoptimierung“ („self-optimization“) entstammt den noch jungen Neurowissenschaften und bezeichnet den charakteristischen Lernprozess des Nervensystems, durch Rückkoppelungsmechanismen und ständige Verbesserungen der vorangegangenen Vorgehensweisen immer optimalere Funktionen zu erzielen (vgl. Stangl). Später wurde der Begriff auch im technischen Bereich insbesondere in der Netzwerktechnologie benutzt,