Das buddhistische Verständnis von Karma unterscheidet sich von hinduistischen Verständnissen dadurch, dass es weit stärker verallgemeinerbaren Grundsätzen unterliegt, welche Handlungen ›gutes‹ Karma bewirken und welche Handlungen ›schlechtes‹ Karma. Die elementarsten Grundsätze dafür sind in den fünf Tugendregeln (pañcaśīla) zusammengefasst: schlechtes Karma wird insbesondere dadurch bewirkt, andere Lebewesen zu schädigen oder zu töten; zu nehmen, was nicht gegeben wird; ausschweifende sexuelle Handlungen zu vollziehen, zu lügen bzw. üble Nachrede zu verüben, sowie bewusstseinstrübende Substanzen zu sich zu nehmen. Dabei ist die karmische Wirkung dieser Handlungen nach buddhistischer Auffassung jedoch davon abhängig, in welcher Absicht sie ausgeführt werden. Die eigentliche Wurzel des Leidens und des schlechten Karmas sind Gier, Hass und Verblendung. Die genannten Handlungen bewirken schlechtes Karma insbesondere dann, wenn sie Ausdruck von Gier, Hass und Verblendung sind, während das versehentliche Zertreten einer Ameise nicht dieselbe karmische Wirkung hat wie das Töten aus Hass.
Auch im Buddhismus lässt sich nun beobachten, dass die ursprünglich jeder Vorstellung von ›Segen‹ konträre Wirklichkeitsdeutung durch Karma und saṃsāra wieder abgemildert wird durch Praktiken und Vorstellungen, die durchaus in gewisser Hinsicht als Analogien zu ›Segen‹ betrachtet werden können.
Eine erste in diese Richtung weisende Praxis ist bereits Bestandteil des ältesten Buddhismus. Sie könnte auf den historischen Buddha Siddharta Gautama selbst zurückzuführen sein und wird |43|auch im Theravada-Buddhismus praktiziert, der als die Richtung des Buddhismus mit der größten Nähe zu den Lehren des historischen Buddha gilt.
Zur frühen buddhistischen Lehre gehört eine Aufzählung von vier Bewusstseinszuständen, die dazu in der Lage sind, die Grenzen zwischen dem (illusionär so erlebten) Selbst und den von sich selbst getrennt erfahrenen anderen Lebewesen aufzuheben. Diese vier Bewusstseinszustände sind Güte, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut. Sie werden unter dem Begriff brahmavihāra zusammengefasst: die vier himmlischen Verweilzustände.
Auf der Grundlage der Lehre von den vier entgrenzenden Bewusstseinszuständen wird eine Form der Meditation gelehrt, die als brahmavihāra-bhāvanā bezeichnet wird. Dabei geht es darum, dass der oder die Meditierende durch Konzentration in sich der Reihe nach Güte, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut hervorbringt und sie dann den Teilen der Wirklichkeit zuwendet, die er oder sie noch von sich selbst getrennt wahrnimmt: den vier Himmelsrichtungen und allen Lebewesen.
Die Wirkung dieser Meditation wird primär darin gesehen, die entgrenzenden Bewusstseinszustände einzuüben, sie mehr und mehr als eine dauerhafte Haltung einzunehmen und darüber zunehmend das aus buddhistischer Sicht verblendete Wirklichkeitsverständnis abzulegen, wonach das ›Selbst‹ (ātman) von den Wesen in seiner Umgebung getrennt erscheint. Positiv gewendet geht es darum, die Wirklichkeit der Verbundenheit von allem mit allem mehr und mehr zu begreifen.
In den Kategorien der Trennung von Selbst und Umwelt gedacht scheint es also primär um die Entwicklung des Selbst zu gehen. Gleichzeitig werden der Praxis des brahmavihāra-bhāvanā jedoch durchaus auch manifeste Wirkungen auf die Umwelt zugeschrieben: eine Episode aus der Legende des Buddha Siddharta Gautama berichtet davon, dass Gegner des Buddha einen wütenden Elefanten auf ihn hetzten und dass der Buddha den Elefanten allein durch die Praxis des brahmavihāra-bhāvanā besänftigt habe (Cullavagga 7,3,11–12 [s. Horner: 1938–1966]).
Gemäß dem eigentlichen Wirklichkeitsverständnis des Buddhismus jedoch ist eine solche Unterscheidung von Wirkungen auf das |44|Selbst und auf die Umwelt ohnehin hinfällig, da deren Trennung ja nur eine scheinbare ist und es in Wirklichkeit darum geht, die Verbundenheit von allem mit allem mehr und mehr erfahrbar werden zu lassen.
Hinsichtlich des zugrundeliegenden Wirklichkeitsverständnisses ist der brahmavihāra-bhāvanā sicherlich nicht mit jüdischen, christlichen oder islamischen Vorstellungen von ›Segen‹ zu vergleichen.
Hinsichtlich der Haltung, die dabei gegenüber anderen Lebewesen, insbesondere gegenüber anderen Menschen eingenommen wird, lässt sich jedoch durchaus eine gewisse Analogie zu Handlungen der Segensspendung beschreiben. Hier wie dort geht es darum, dass eine Haltung des Wohlwollens gegenüber anderen Menschen eingenommen wird, dass die innere Haltung durch eine Körperhaltung zur Performanz gebracht wird und dass diesem Vorgang eine Auswirkung auf das Wohlergehen der Menschen zugeschrieben wird, denen Segen bzw. Güte, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut zugewandt wird.
Im Mahayana-Buddhismus, der religionsgeschichtlich etwas jünger ist als der Theravada-Buddhismus, hat sich darüber hinaus eine Vorstellung entwickelt, die eine noch deutlich engere Analogie zur Vorstellung von Segenspendern in Judentum, Christentum und Islam darstellt: das Bodhisattva-Ideal. Auch der Tibetische Buddhismus – die dritte Hauptrichtung des Buddhismus – hat diese Vorstellung aufgenommen.
Unter einem Bodhisattva verstand die buddhistische Terminologie ursprünglich ein Wesen, das sich auf dem Weg zur Erleuchtung befindet wie der Buddha in seinen Leben vor seinem Erwachen. Mit der Zeit hat sich in den Vorstellungen des Mahayana-Buddhismus die Grenze zwischen Buddhas und Bodhisattvas verwischt, so dass Bodhisattvas teilweise auch als Wesen beschrieben werden, die ihre Erleuchtung bereits erlangt haben und die damit nicht mehr weiter im saṃsāra, dem Kreislauf der Wiedergeburten, gefangen sind (Freiberger/Kleine 2011: 209). Die Erleuchtung würde eigentlich nach der Vorstellung des ältesten Buddhismus zum ›Verlöschen‹ führen – dem ersehnten Zustand des nirvāṇa, der nicht mehr dem leidhaften Werden und Vergehen unterworfen ist, der aber auch |45|jenseits aller Möglichkeiten liegt, noch irgendeinen Einfluss auf die Geschehnisse in der Welt des saṃsāra zu nehmen.
Der oder die Bodhisattva wird jedoch beschrieben als ein schon vollständig befreites Wesen, das für weitere Leben im Wirkbereich des saṃsāra verbleibt, um dort anderen Wesen auf ihrem Weg zur Befreiung helfen zu können.
Den Bodhisattvas wird eine schier unermessliche Opferbereitschaft zugeschrieben. Im Mahayana-Buddhismus und Tibetischen Buddhismus gilt Karma als übertragbar von einem Wesen zu einem anderen. So können die Bodhisattvas nicht nur als Wegweiser und Vorbilder für den Erwerb von gutem Karma und den Weg der Erleuchtung wirken, sondern sie übertragen darüber hinaus ihr eigenes, gutes Karma auf Wesen, die dessen besonders bedürftig sind. Außerdem tragen manche von ihnen die Folgen des schlechten Karma ab, das andere Wesen angehäuft haben, indem sie freiwillig die Wiedergeburt in Lebensformen auf sich nehmen, die als Folge von besonders schlechtem Karma gelten. Bei all dem steigert sich jedoch das Potential der Bodhisattvas an gutem Karma nur immer weiter, denn ihre Opferbereitschaft wirkt neues gutes Karma, das sie dann zusätzlich anderen Wesen zuwenden können.
Die Rolle der Bodhisattvas ist nun einerseits ein spirituelles Ideal, das sehr viele Buddhistinnen und Buddhisten für sich selbst erstreben. Als letzte Konsequenz des auch schon im ältesten Buddhismus vorhandenen Gedankens, dass alles mit allem verbunden ist, geht es in den jüngeren Richtungen des Buddhismus nicht mehr nur um das Auslöschen der jeweils ›eigenen‹ Gefangenschaft im saṃsāra, sondern das Ziel allen Strebens ist die Befreiung aller Wesen und die Beendigung der Welt des saṃsāra insgesamt.
Um die Mitwirkung an diesem Ziel für sich selbst zu übernehmen, gibt es die Praxis des Bodhisattva-Gelübdes, das von zahlreichen Buddhistinnen und Buddhisten abgelegt wird. Dieses Gelübde wird in unterschiedlichen Formeln überliefert und beinhaltet neben einer Reihe von Verpflichtungen, dem vom Buddha beschriebenen Weg der Tugend, der Weisheit und der Meditation zu folgen auch die Verpflichtung, von den eigenen karmischen Verdiensten an andere