Europäische Urbanisierung (1000-2000). Dieter Schott. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Schott
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846340257
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Straßenraster. In anderen Fällen knüpften frühmittelalterliche Siedlungen zwar an Römerstädte an, aber nicht an deren zentrale Teile, sondern häufig in Vorstädten oder in der Nähe von Grabkirchen auf den ehemaligen Gräberfeldern wie etwa in Bonn, Mainz und Speyer.

      2.2 Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen

      Wie war nun die wirtschaftliche und politische Verfassung des Früh- und Hochmittelalters beschaffen? Die mittelalterliche Gesellschaft wird als Feudalgesellschaft bezeichnet; strukturierendes Prinzip war das Lehenssystem, wonach vom König, dem im Prinzip aus dem Recht der Eroberung alles Land und alle Rechte gehören, seinen Gefolgsleuten, ursprünglich meist Kriegern, Grundstücke und die auf diesem Land lebenden Menschen zu Lehen gegeben wird. Dieses Land soll dazu dienen, den Unterhalt dieses Gefolgsmannes und seiner Familie zu sichern und seine Ausrüstung mit Waffen, Rüstung, Pferd usw. zu bezahlen. Im Rahmen der Lehenspyramide ergab sich dann im Laufe der Zeit ein mehrfach gestuftes System, weil die ursprünglichen Lehensnehmer Teile ihres Lehens weiter als Lehen vergaben.

      Es gab nun verschiedene Formen der Herrschaft, die jeweils eigene Grundlagen hatten: Die Grundherrschaft beruhte auf der Überlassung von Bodennutzung als Lehen und äußerte sich in der Ableistung von Diensten und in Natural- oder Geldabgaben seitens der Bauern an den Grundherrn. Die Leibherrschaft bestand darin, dass die Hörigen in persönlicher Abhängigkeit von ihrem Leibherrn standen; im Unterschied zu [<<28] Sklaven konnten sie aber nicht frei verkauft werden, sondern nur im Zusammenhang mit dem Boden, den sie bewirtschafteten. Leibeigene waren also rechtlich gewissermaßen Teil des Landes, sie konnten nur mit Genehmigung ihres Leibherrn ihr Dorf verlassen, mussten Abgaben bezahlen. Gerichtsherrschaft bedeutete, dass ein weltlicher oder geistlicher Herr die Gerichtsrechte über einen Ort oder eine Region hatte. Recht zu sprechen war nicht nur eine Machtposition, sondern brachte angesichts der Gerichtsgebühren auch erhebliche Einnahmen. Landesherrschaft bezeichnete die vor allem politische und militärische Kontrolle über ein größeres Gebiet, die der Fiktion nach als Stellvertreter des Königs ausgeübt wurde, sich häufig aber, insbesondere wenn der König schwach oder weit entfernt war, mehr oder weniger verselbstständigte. Der Landesherr konnte bei Bedarf die ihm untergebenen Adligen zum Kriegsdienst aufrufen, er konnte von den Ortschaften seines Landes Beiträge zur Finanzierung von Heerzügen fordern. Hervorzuheben ist, dass die mittelalterliche Gesellschaft im Prinzip keine klare Trennung von Staat und Gesellschaft kannte. Die öffentlich-rechtlichen Funktionen der Feudalherren wie etwa Gerichtsherrschaft vermischen sich mit privatrechtlichen Komponenten, etwa die als Grundbesitzer. In bereits älter besiedelten Teilen Europas lagen die Funktionen von Grundherr, Leibherr und Gerichtsherr vor Ort oft nicht in einer Hand: Gerichtsherr war etwa ein anderer Adliger als der Grundherr. Diese Pluralität sorgte für eine gewisse Herrschaftskonkurrenz, die größere Spielräume für die Bauern und Leibeigenen schuf. Dagegen fielen in erst später im Zuge des Landesausbaus besiedelten Gebieten, etwa östlich der Elbe, die unterschiedlichen Herrschaftsfunktionen meist in einer Person zusammen, was eine stärker monolithische Herrschaftsstruktur zur Folge hatte.

      Landwirtschaft wurde im Frühmittelalter und bis ins 12. Jahrhundert vorrangig in der Organisationsform der Villikation betrieben. Dies bedeutet, dass die Villa des Grundherrn, sein Wohnsitz, das Zentrum für die Verwaltung und Überwachung des ganzen Grundherrschaftsbereichs bildete. Das primäre Ziel des Wirtschaftens war, die Versorgung des Haushalts des herrschaftlichen Hofes sicherzustellen. Der Hof und die Villikation zielten daher auf Autarkie; es gab einen gewissen Grad von Arbeitsteilung innerhalb der Villikation, um neben den Grundnahrungsmitteln auch unverzichtbare gewerbliche Produkte zu erzeugen (z. B. Schmied, Küfer). Die Produktion für den Markt stand nicht im Vordergrund, wenngleich Überschüsse durchaus über den Markt vertrieben wurden. Zu einer Villikation konnten noch Hunderte von Familien in näherer oder weiterer Entfernung vom Salhof oder Herrenhof, dem Zentrum der Villikation gehören. Diese Familien trugen teilweise durch Arbeit auf dem Salhof, durch sogenannte Frondienste (z. B. während der Saat, der Ernte), teilweise durch Naturallieferungen in höherwertigen Gütern zur Wirtschaft der Villikation bei. Bei [<<29] großen Ausdehnungen der Villikation dienten Nebenhöfe mit einem Maior (Meier) als Unterzentren zum Sammeln der Naturalleistungen. Der häufige deutsche Name „Meier“ geht auf diese Funktion – Vorsteher eines Meierhofes – zurück. Insbesondere die großen Klöster hatten dieses Villikationssystem in extensiver Weise entwickelt; sie verwalteten teilweise weit verstreuten Grundbesitz, der über die ins Kloster eingetretenen Mönche und Nonnen in den Besitz des Klosters gelangt war. Die Villikation war allerdings nie die einzige Organisationsform des ländlichen Wirtschaftens. Gerade im Ostteil des Karolingerreiches überwogen nicht die großen, sondern eher kleinere und mittlere Grundherrschaften, was einerseits eine Dominanz von primär für den eigenen Bedarf produzierenden Bauernhöfen, andererseits ein freies, nicht in die Villikation eingebundenes Dorfhandwerk zur Folge hatte.