Abb. 1.9: Verbreitung der Gorillas.
1.2.6 Schimpansen (Pan)
Während die Aufteilung der Orang-Utans in zwei Arten erst vor Kurzem unter dem Einfluss des sich ändernden taxonomischen Paradigmas und der sich mit Macht entfaltenden Molekularmethoden erfolgte, sind die zwei Schimpansenarten – der Gemeine Schimpanse (Pan troglodytes) und der Bonobo (Pan paniscus) (mehr oder weniger irrtümlich auch als Zwergschimpanse bezeichnet) – bereits seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts anerkannt. Die Trennung beider Spezies fand schätzungsweise mindestens 1 mya (nach anderen Analysen 2–3 mya) statt. Während Bonobos eine ziemlich homogene Population in einem kleinen Gebiet südlich des Flusses Kongo bilden (das weiter eingegrenzt wird durch seine Zuflüsse Kasai und Lualaba), ist der Gemeine Schimpanse weit verbreitet und sehr heterogen (Abb. 1.10). Der Grund für diese geografische Diversifikation findet sich in der Anwesenheit großer Flüsse im Gesamtverbreitungsgebiet: Die fundamentale Aufteilung in östliche und westliche Populationen ist der Anwesenheit des Sanaga in Kamerun zu verdanken. Die westliche Population wird weiter durch den Fluss Niger in den Guinea-Schimpansen (Pan troglodytes verus) und den Nigeria-Kamerun-Schimpansen (Pan troglodytes ellioti, früher falsch als P. t. vellerosus genannt) geteilt. Die östliche Population (Pan troglodytes troglodytes) ist dagegen genetisch auffällig einheitlich. Von der Basispopulation, die Süd-Kamerun, Äquatorialguinea, Gabun und Kongo westlich vom Fluss Ubangi bewohnt, haben sich vor relativ kurzer Zeit die Schimpansen der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo, des Süd-Sudans, Ugandas und Tansanias abgespalten. Diese östliche Population wird traditionell als „Pan troglodytes schweinfurthii“, bezeichnet, aber evolutionär fällt sie eindeutig in die Variabilität der Unterart P. t. troglodytes hinein. Die Existenz der seit Langem diskutierten Unterart Pan (troglodytes) koolookamba, die auch schon für eine Hybridart oder ein Übergangsglied zwischen Schimpanse und Gorilla gehalten worden ist, erwies sich als Irrtum, der auf einer falschen Bestimmung alter Individuen von P. t. troglodytes bzw. junger Weibchen von Gorilla beringei graueri beruhte.
Abb. 1.10: Verbreitung der Schimpansen und Bonobos.
Box 1.4
Bottlenecks in der Evolution und Geschichte
Bottleneck (Flaschenhals-Effekt) beschreibt eine genetische Verarmung der Population, die stattfindet, wenn die Population aufgrund irgendeines plötzlich und nur vorübergehend auftretenden Faktors stark in der Größe dezimiert wird. Als Folge ändern sich die Allelfrequenzen, wobei vor allem die seltenen Allele verschwinden. Allerdings muss der Polymorphismus dadurch nicht markant reduziert worden sein. In der nachfolgenden Phase der Erholung und des Populationswachstums ist die Wirkung der Selektion begrenzt, die Population expandiert im freien Raum, die Rolle der Konkurrenz ist beschränkt: Die meisten Träger der noch vorhandenen Allele können ihre Gene an die Nachkommen weitergeben. Ein Allel, das die Reduktion der Population „überlebt“, wird im folgenden Zeitraum des exponentiellen Wachstums wahrscheinlich nicht mehr eliminiert. Es können auch neu entstandene, leicht schädliche Allele in der Population erscheinen. Etliche Tierarten sind in ihrer rezenten Geschichte durch genetische Flaschenhälse gegangen (u.a. Alpensteinbock, Wisent, Przewalski-Pferd, Goldhamster, Gepard).
Vermutlich hat auch der Homo sapiens vor ca. 75.000 Jahren einen Flaschenhals passiert – verursacht durch die massive Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra, die nachfolgenden 6–10 Jahre andauernden Vulkanwinter und die anschließende 1000-jährige weltweite Kälteperiode. Gemäß der Toba-Katastrophen-Hypothese wurde die Population der Menschen auf ca. 10.000 Individuen, bzw. ca. 1.000 Fortpflanzungspaare (die zu Vorfahren der heutigen Menschheit wurden) reduziert. Obwohl der Ausbruch des Toba-Vulkans gut dokumentiert ist, ist die Hypothese nicht unumstritten.
In der jüngeren Menschheitsgeschichte führte z.B. auch die Beulenpest in Europa zu einem Flaschenhalseffekt (Kapitel 8.4).
1.2.7 Menschen (Homo)
Der internen Diversifizierung unserer eigenen Art wird ein ganzes Kapitel gewidmet (Kapitel 3). An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, daran zu erinnern, dass der Mensch, trotz seiner großen Population und seiner kosmopolitischen Verbreitung, eine genetisch ganz außerordentlich homogene Art ist. Wir Menschen weisen im Vergleich mit anderen Menschenaffen nicht nur eine sehr niedrige innerartliche Gendiversität auf, sondern unsere Teilpopulationen stehen sich genetisch eindeutig näher als die Teilpopulationen jeder anderen Menschenaffenart. Diese beachtliche genetische Homogenität ist möglicherweise die Folge einer dramatischen Reduktion der menschlichen Erdbevölkerung in der jüngeren erdgeschichtlichen Vergangenheit (Box 1.4).
2 Phylogenese des Menschen
2.1 Entstehung der „menschlichen“ phylogenetischen Linie
Bis vor Kurzem war das vergleichende Studium der Anatomie, des Verhaltens und der Fossilien die einzige Informationsquelle über Prozesse, die den Menschen von Schimpansen abgetrennt haben. Unlängst wurden komplette Genome von Orang-Utan, Gorilla, dem Gemeinem Schimpansen, dem Bonobo, dem Neandertaler, dem „Denisova Menschen“ und einer Reihe von gegenwärtigen Menschen veröffentlicht. Hierdurch konnten wir sehr viele neue Informationen gewinnen.
2.1.1 Speziation Schimpanse – Mensch
Die Prozesse, welche die Speziation von Mensch und Schimpanse begleitet haben, können wir dank unserer Kenntnisse über den Divergenzgrad einzelner Gene rekonstruieren. Auf den ersten Blick überrascht es, dass die auf verschiedenen Chromosomen des menschlichen Genoms lokalisierten Gene von ihren homologen Schimpansengenen unterschiedlich weit entfernt sind – so als ob eine mehrmalige Artbildung aufgetreten sei. Während einige Gene sich voneinander etwa 11 mya getrennt haben, sind andere (insbesondere die Gene auf dem Geschlechtschromosom X) erst ungefähr 6 Millionen Jahre alt. Dieses Phänomen wurde mit einer zwischenartlichen Hybridisierung erklärt: Nach diesem Modell hat die von einem gemeinsamen Vorfahren ausgehende Abzweigung von Mensch und Schimpanse ca. 8 mya stattgefunden (wofür auch die ältesten Fossilien der menschlichen Evolutionslinie, insbesondere Sahelanthropus sprechen). Während der folgenden zwei Millionen Jahre hybridisierten jedoch die Genome der Menschen- und Schimpansenlinie auch weiterhin miteinander (siehe auch Box 2.1).
Box 2.1
Kreuzung zwischen Menschen und Schimpansen?
Schimpansen und Menschen sind genetisch nah verwandte Schwesterarten (ihre DNA ist zu 95% gleich, die kodierenden DNA-Sequenzen sind es sogar zu 99%). Dies führte wiederholt zu Spekulationen über eine Hybridisierung zwischen beiden Arten (wie z.B. zwischen Esel und Pferd). Der hypothetische Hybrid wird als Humanzee (Vater Mensch, Mutter Schimpanse) bzw. Chuman (Vater Schimpanse, Mutter Mensch) bezeichnet. Die Existenz solcher Hybriden ist allerdings nicht bewiesen.
Es mag von Interesse sein, dass Überlegungen zur Kreuzung von Mensch und Schimpanse schon in früher Vergangenheit angestellt worden sind. So berichtet der Mönch Petrus Damiani im 11. Jahrhundert von einem Wesen namens „Maimo“, angeblich das Produkt der sündigen Beziehung der Ehefrau des Grafen Guilelmus und seines zahmen Affen (welcher dann den Grafen in einem Anfall von Eifersucht tötete). Um eine Hybridisierung bemühte sich vor knapp hundert Jahren der russische Biologe Ilya Iwanow. Er führte mit Unterstützung der Gesellschaft der materialistischen Biologen der Kommunistischen Akademie erst in Afrika und später in der damaligen Sowjetunion entsprechende Experimente durch. Sie scheiterten am Mangel an Menschenaffen.
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