Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit. Reinhard J. Wabnitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard J. Wabnitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353844
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Fachkraft;

      7.2 von Trägern von Einrichtungen und zuständigen Leistungsträgern gegenüber dem überörtlichen Träger mit Blick auf Handlungsleitlinien.

      Gemäß § 8a Abs. 1 wird das JA bereits zu einer „Vorfeldarbeit“ ermächtigt und verpflichtet, auch wenn noch nicht feststeht, dass eine Kindeswohlgefährdung besteht. Das JA hat deshalb bei „gewichtigen“ Anhaltspunkten für eine solche im Zusammenwirken mit mehreren Fachkräften das Gefährdungsrisiko einzuschätzen (Satz 1), die Personensorgeberechtigten sowie das Kind/den Jugendlichen einzubeziehen und ggf. einen Hausbesuch durchzuführen (Satz 2) sowie ggf. geeignete Hilfen anzubieten (Satz 3). Dies entspricht den in der Fachpraxis entwickelten Empfehlungen bei einschlägigen Verdachtssituationen (vgl. z. B. Deutscher Städtetag et al. 2009; Deutscher Verein 2006). In diese „Vorfeldarbeit“ sind ausdrücklich auch die Träger von Einrichtungen und Diensten einzubeziehen: Gemäß § 8a Abs. 4 ist in Vereinbarungen mit diesen sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag ebenfalls in entsprechender Weise wahrnehmen (dazu: Münder 2007).

      Hält das JA des Weiteren ein Tätigwerden des Familiengerichts – mit dem Ziel des (Teil-)Entzugs von elterlichen Sorgerechten und in der Regel der Einleitung von Hilfen zur Erziehung außerhalb der Herkunftsfamilie nach §§ 27, 33 ff. – für erforderlich, so hat es das Familiengericht gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 anzurufen. Besteht darüber hinaus eine dringende Gefahr für das Kindeswohl und kann eine familiengerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden, so ist das JA gemäß § 8a Abs. 2 Satz 2 verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen. Weitere Einzelheiten dazu sind in § 42 geregelt. Gegebenenfalls hat das JA zur Abwendung der Gefahr nach § 8a Abs. 3 auch mit anderen Leistungsträgern, Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei zusammenzuarbeiten bzw. diese einzuschalten. Gemäß § 8a Abs. 5 ist zwecks Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung ein Datenaustausch zwischen den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vorgeschrieben, und § 8b beinhaltet explizite Ansprüche auf fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.

      Vertiefung: Gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 8a Abs. 1 Satz 1 können z. B. sein (vgl. Münder et al. 2019, § 8a Rz. 12 ff.; Wiesner 2015, § 8a Rdnr. 13a ff.):

      

massive Verletzung des Kindes

      

Unterernährung

      

Suchterkrankung

      

starke Verängstigung, Apathie

      

massive Schulverweigerung

      

ernst zu nehmende Äußerungen über Misshandlungen/Vernachlässigungen

      

unzureichende Hygiene

      

körperliche Gewalt

      

fehlende oder verweigerte Beziehungs- und Bindungsangebote

      

übermäßige Einschränkung der Autonomie

      

problematische familiäre Situation

      

extrem beengter Wohnraum, Vermüllung, Obdachlosigkeit

      

problematische persönliche Situation der Erziehungspersonen

      Vertiefung: Fälle des Verdachts bzw. des Auftretens von Kindesmissbrauch oder -vernachlässigung stellen zugleich eine „Gefahr geneigte“ Tätigkeit insbesondere für die fallzuständigen Sozialarbeiterinnen dar, die sich in „Extremfällen“ sogar (durch Unterlassen nach § 13 StGB) strafbar machen können, wenn sie im Falle einer Garantenstellung nicht oder nicht rechtzeitig gehandelt haben (Näheres dazu bei Wabnitz 2020; Kap. 14.2).

      Vertiefung: Gemäß § 2 KKG (als Artikel 1 BKiSchG) sollen Eltern sowie werdende Mütter und Väter über Unterstützungsangebote in Fragen der Kindesentwicklung, in der Regel in Form eines persönlichen Gespräches, informiert werden. Des Weiteren sind nach § 3 KKG im Bereich der Jugendämter verbindliche Netzwerkstrukturen für die Zusammenarbeit der zuständigen Leistungserbringer und Institutionen im Kinderschutz aufzubauen und weiterzuentwickeln. Schließlich haben alle in § 4 KKG bezeichneten so genannten „Geheimnisträger“ (u. a. Ärzte, psychologisches und sozialpädagogisches Fachpersonal, Lehrer) gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe einen Anspruch auf Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“. Zusätzliche Regelungen zum Kinderschutz sind in den Landeskinderschutzgesetzen enthalten (dazu Wabnitz 2010a).

      Vertiefung: Hasenclever 1978; Wabnitz 2015

      Übersicht 14

      Vom Reichsjugendwohlfahrtsgesetz zum SGB VIII. Zur Geschichte der (Kinder- und) Jugendhilfe- gesetzgebung

      Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG)

      

Verkündung am 9.7.1922

      

erste einheitliche deutsche Regelung

      

Zusammenführung von Jugendpflege und -fürsorge

      

Konzentration der örtlichen Jugendhilfe im JA

      

Regelung des Verhältnisses von öffentlicher und freier Jugendhilfe

      

Kritik: kein Leistungs-, sondern Organisationsgesetz

      

Notverordnung vom Februar 1924: Suspendierung zahlreicher Neuregelungen

      Nationalsozialistische Diktatur

      

Bildung eigener Organisationen (z. B. Hitlerjugend)

      

„Gleichschaltung“ aller öffentlichen Stellen

      Novelle des RJWG von 1953

      Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG) 1961

      Mehrere (gescheiterte) Reformversuche seit den 1970er Jahren

      Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) und SGB VIII

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