Andershimmel. Blickle Peter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Blickle Peter
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783520751911
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»Irgendwo gibt es auch noch den Heiligen Geist«, sagte sie. »Aber alle, die da oben wohnen, haben nie ihre Tage.«

      Er sagte: »Der Heilige Geist kommt als Taube.«

      »Aber nur auf die Häupter der Auserwählten. Ein Mädchen ist noch nie auserwählt worden.«

      Sie hatte recht. Er würde einst zu den Auserwählten zählen, sie, Miriam, nicht. Der Heilige Geist war noch nie aufs Haupt einer Frau gekommen.

      Er sagte: »Doch, aufs Haupt der Maria und der Elisabeth.«

      »Aber nur, weil sie Jungen in sich trugen.«

      Er sagte: »Du und ich, wir gehören zusammen.«

      Sie sagte: »Ja, jeder für sich. Das ist nun einmal so.«

      Sie waren ein großes Atmen, ein großer Rhythmus, der eigene und der des anderen. In ihr und in ihm.

      Johannes sagte: »Lass ihn doch. Der Vater kann nichts dafür. So ist er eben.«

      Er spürte die Wirkung seiner Worte. Er spürte ihre Augen. Gehen Alche. Er sagte »Arlorn.«

      Sie sagte: »Immerhin scheint die Sonne.«

      Er sagte: »Du bist die schönste unter den Menschenkindern, voller Huld sind deine Lippen, wahrlich, GOtt hat dich gesegnet.«

      Sie sagte: »Ich spüre die Sonne. Warm und kalt zugleich.«

       10

      Gemeinsam sagten sie: »Ich glaube, dass mich GOtt geschaffen hat; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter. Das ist gewisslich wahr.«

      Sie wuchsen in einer Zeit auf, die glaubte, wenn man alle Nebenflüsse des Neckars auswendig aufsagen konnte, bekäme man eine Eins, die glaubte, wer eine Eins bekam, war sehr gut, die glaubte, darauf könne man sich verlassen und auch darauf, dass wer eine Eins bekam, sich nicht mit dem Messer in die Unterarme schnitt.

      Miriam versteckte die roten Linien unter langen Ärmeln. »Wenn es weh tut, tut es gut«, sagte sie.

      Im Beten gaben sie sich hin. Wenn sie beteten, waren sie eins. Sie hörten sich. Sie erfuhren den VAter, den SOhn und den HEiligen Geist. ER fühlte sich seltsam an. Wie etwas, das sie gegessen hatten. ER war in ihnen. Drei war drei und drei war eins. Diese Rechenaufgabe löste jedes Kind im Dorf. Mühelos.

      Alles war möglich in dieser Logik. Alles stand in SEinem unergründlichen Ratschluss. Man musste es nur annehmen.

      Der HErr wollte nicht, dass sie so viel Schokolade und Gummibären aßen. Das sagte die Mutter. Wenn Johannes und Miriam etwas wollten, was dem HErrn nicht gefiel, war der Feind in ihnen. Der musste bekämpft werden. Wer vom Teufel frei ist, dem widerstreben die Gebote des HErrn nicht. So sprach die Mutter, die wusste, was dem HErrn gefiel und was dem HErrn missfiel. Immer.

      Der HErr führte. Der HErr liebte. Deshalb fügte der HErr Schmerzen zu. Schmerzen waren Prüfungen. GOtt schuf den Schmerz. Und ER sah, dass es gut war. Der Schmerz war Führung. Wenn es nicht wehtat, war es eine Führung des Teufels. »Wenn du das noch einmal machst, musst du eine Tafel Schokolade essen!« Das war die Strafe des Teufels. Man musste etwas verlieren, damit die Lektion vom HErrn kam. Man musste seine Schmerzensfreiheit verlieren, damit man GOtt spürte. Wer IHn erfuhr, war gesegnet.

      Er sagte: »Rems, Murr, Steinbach, Lein, Enz, Kocher, Jagst.«

      Sie sagte: »Ich will gar nicht wissen, wieviele du vergessen hast.«

      Er sagte: »Wenn du den Zipfelbach meinst, den hab’ ich mit Absicht weggelassen.«

      Sie lachte. Und er spürte ihr Lachen. Es war hell. Es war gut. Es war ein Geschenk. Solange sie lachte, schnitt sie sich nicht. Solange sie sich nicht schnitt, spürte er es nicht, wie sie sich schnitt. Er wollte weg von ihren Schmerzen. Von ihren Schmerzen, die sie sich selbst zufügte.

       11

      Es gab Moorseen im Dorf, und eine Kirche gab es, genannt Betsaal. Es gab sieben aus Nächstenliebe gegründete Einrichtungen: das Waisenhaus, die Trinkerheilstätte, die Gehörlosenschule, die Heilerziehungsanstalt, das Knabeninstitut, das Mädcheninternat und das Heim für Mehrfachbehinderte.

      Alles und alle lebten im Sinn der Nächstenliebe. Im Dienst an Anderen wurde man IHm gerecht.

      Der Richtspruch des Dorfes lautete: Wer unter dem Schirm des HÖchsten sitzt und unter dem Schatten des ALlmächtigen bleibt, der spricht zu dem HErrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein GOtt, auf den ich hoffe.

      Jedes Kind konnte diesen Spruch auswendig aufsagen.

      Alles, was in diesem Dorf geschah, lag in GOttes unergründlichem Ratschluss. Wenn etwas geschah, stand es den Menschen nicht an, SEine Weisheit zu hinterfragen. Lebensversicherungen waren verpönt. Wer vom HErrn heimgeholt wurde, durfte von dieser Gnade nicht auch noch profitieren wollen.

       Denn ER errettet dich vom Strick des Jägers und von der tödlichen Pest. ER deckt dich mit SEinen Fittichen, und deine Zuversicht ist unter SEinen Flügeln.

      Unter SEiner Hut lebte das Dorf. In SEinen Händen lebte das Dorf. Vier Straßen führten auf den Betsaal zu. Von Ost, Nord, Süd und West. Egal, woher man kam, der Weg führte direkt zum Haus des HErrn.

      Es war eine gesegnete Gemeinde. Die Gemeinde war voll von GOtt. Die Gemeinde stand unter dem Schirm des HÖchsten, des ALlmächtigen, des SChöpfers des Himmels und der Erde. Bruder Nagel. Bruder Maiwald. Bruder Lerner. Bruder Dreher. Brüder gründeten das Dorf. Brüder bestimmten das Dorf. Brüder waren das Dorf. Unter der Hut des HÖchsten.

      Das Dorf war eine männliche Zeugung. Das Dorf war eine Brüdergemeinde. GOtt, VAter, SOhn und der HEilige Geist.

      Frauen waren keine Männer. Frauen waren keine Brüder. Frauen waren Mütter. Alle Mütter lebten streng im Dorf. Also redeten die Mütter, die Weiber waren, in der Gemeinde nicht. Sie gehorchten der Heiligen Schrift, die GOttes Wort war. Der Mann ist des Weibes Haupt. Der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib ist vom Manne. Der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um das Mannes willen. Lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde. Es steht den Weibern übel an, in der Gemeinde zu reden. Die Mutter glaubte. Die Mutter lebte streng.

      Der Vater war ein Ältester. Er gehörte zum Ältestenrat. Sprach der Vater mit dem HErrn, wurde sein Mund spitz. »ALl-mächtiger« und »EWiger« und »ZEbaoth« und »VAter«, sagte der Vater, wenn er mit dem VAter sprach. Sprach der Vater mit dem VAter, machte der spitze Mund seine Stimme hoch. Der Vater wurde zum Kind im VAter. Er liebte den VAter. »GOttes Sohn«, »HEiland«, »lieber HErr, der DU für unsere Sünden gestorben bist, der DU sitzest zur Rechten GOttes«.

      Johannes wollte weg von dem Spitzmaul.

      »Führe mich, o HErr, und leite meinen Gang nach DEinem Wort.«

       12

      Miriam sagte: »Wir haben nur probiert, die Handbremse anzuziehen.«

      Der VW Käfer hatte der Schwerkraft gehorcht und Bekanntschaft mit einem Grenzstein am Parkplatzrand gemacht. Krachend. Scherbend. Überraschend.

      Obwohl auch das in GOttes unergründlichem Ratschluss lag, war der Vater nicht dankbar für diese Prüfung.

      Wer nicht hören wollte, musste fühlen.

      Johannes musste fühlen. Aus Liebe.

      Nachher, als der Vater gegangen war, kam Miriam in sein Zimmer: »Tut’s noch weh?«

      »Nein, ich hab gar nichts gemerkt. Wirklich. Mich trifft er nicht, höchstens meinen Körper.«

      Diese Trennung zwischen Körper und Seele hatte Johannes bei der Tante gelernt, die einen Krebs im Körper hatte. »Mir geht es gut. Wie es meinem Leib geht, ist eine andere Sache.«

      »Du hättest