»Ein paar Schweißperlen«, sagte der Junge und tupfte mit einem Wattebausch über Alex’ Stirn. Der rümpfte die Nase, ließ es aber geschehen.
»Jetzt wird’s ernst, Kumpel«, raunte Miguel.
Du hast ja keine Ahnung, wie ernst, dachte Lars. Laut sagte er: »Genau. Aber wir trinken auf jeden Fall mal was miteinander, ja?«
»Sicher, Bro.« Er streckte Lars die Faust entgegen, und der schlug mit den Fingerknöcheln dagegen.
»Alter«, murmelte Alex neben ihnen. »Nehmt euch doch ein Zimmer.«
Nachdem der Assistent noch einen prüfenden Blick auf die Gesichter von Miguel und Lars geworfen hatte, verschwand er wieder hinter der Bühne.
Auf dem Monitor liefen gerade Ausschnitte aus dem Date zu dritt. Als die Szene kam, als Samara Georgs Handgelenk packte und verdrehte, beobachtete ihr reales Gegenstück dies mit steinerner Miene.
Du hast in diesem Moment die Beherrschung verloren, dachte Lars, und alle konnten es sehen.
Georgs Interview folgte. »Ganz kurz konnte ich etwas wie eine Beule unter dem Haar fühlen«, sagte er.
Lars wusste, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Samara verbarg tatsächlich etwas unter ihrer ungewöhnlichen Frisur. Nur war es keine Beule, sondern etwas ganz anderes.
»Das soll sie bei mir versuchen«, murmelte Alex.
Lars schenkte ihm einen kurzen Blick. Innerlich riet er seinem Mit-Finalist, sich besser nicht zu wünschen, dass es dazu kam. Er ahnte, dass Samara Georgs Handgelenk genauso gut hätte brechen können. Und vermutlich wäre sie dabei noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen.
Weitere, uninteressante Sequenzen folgten, dann kam das Übernachtungsdate. Die Kandidaten dafür waren nach dem Zufallsprinzip ermittelt worden. Lars hatte sich gewünscht, dass das Los auf ihn fiel, denn das hätte ihm die Möglichkeit gegeben, die Sache vorzeitig zu beenden. Doch Fortuna hatte anders entschieden.
Er beobachtete, wie Niclas und Benny das Haus betraten, das der Sender für diesen Zweck gemietet hatte. Niclas war nach dieser Nacht unbeschadet zurückgekehrt.
Benny nicht.
»Seht euch den an«, meinte Alex. »Der hat sich die ganze Zeit die Haare gefärbt.«
Er spielte auf die grauen Strähnen an Bennys Schläfen an, die sich bei seinem Abschiedsinterview zeigten. Doch Lars wusste, dass Benny sich nie die Haare gefärbt hatte. Ebenso war ihm klar, dass die Müdigkeit, die er in dieser Szene zur Schau stellte, nicht gespielt war. Samara hatte ihm etwas geraubt, das er nie wieder zurück erhalten würde.
Wenn es nach Lars ging, würde so etwas sich nicht mehr wiederholen.
Die Einspielung endete. Samara und die Kandidaten wandten sich wieder den Kameras zu, darauf wartend, dass über einer davon das Licht anging.
Es erschien zuerst an der Kamera, von der Lars wusste, dass sie die ganze Bühne erfasste. Danach wechselte es zu jener, die für das Single Girl reserviert war. Pflichtbewusst zeigte Samara ihr verführerischstes Lächeln.
Lars machte sich keine Illusionen. Hätte er nicht herausbekommen, wer - was - sie war, wäre es bei diesem Lächeln auch um ihn geschehen. Ein Blick hätte gereicht, und er wäre ihr mit Haut und Haaren verfallen. Doch die Erkenntnis und das Wissen bildeten den wirksamsten Schutz.
In seine Gedanken versunken bemerkte er zu spät, dass das Licht über der Kandidatenkamera angegangen war. Seine beiden Mitstreiter grinsten vermutlich schon wie die Honigkuchenpferde, während er noch mit finsterer Miene vor sich hin grübelte. Er zwang sich zu einem Lächeln, dann ging das Licht der Kamera auch schon wieder aus. Gleichzeitig verkündete die Nerv-Stimme den oft gehörten Sermon von Samara, die nun ihre Entscheidung treffen musste.
Die Bewegungen des Single Girls wirkten auf Lars unnötig lasziv, als sie aufstand und vor sie trat. In diesem Moment, so war ihnen von der Regie vor der Show eingetrichtert worden, hatten sie ebenfalls aufzustehen.
Er folgte dieser Anweisung, ebenso die beiden anderen. Gab es vielleicht ein Anzeichen des Begreifens in Samaras Gesicht? Hatte sie erkannt, dass er sie durchschaut hatte?
Sie schenkte jedem von ihnen einen Blick, dann verharrte sie vor Alex. Seine aufeinander mahlenden Kiefer verrieten, dass er begriff, was das bedeutete.
»Alex«, sagte sie. Fast hätte Lars das Bedauern in ihrem Tonfall für echt halten können. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«
Mit steinerner Miene nickte Alex, doch dann breitete Samara mit einem zuckersüßen Lächeln die Arme für eine Umarmung aus. Als sie wieder von ihm abließ, murmelte er ihr etwas zu. »Du machst einen Fehler, Babe«, glaubte Lars zu verstehen.
»Bestimmt nicht«, flüsterte Samara zurück.
Während die Nerv-Stimme das Offensichtliche verkündete, nämlich dass nun noch zwei Kandidaten übrig waren, spendete das Publikum Alex einen aufmunternden Applaus zum Abschied. Samara holte indessen die Rose vom Sofa und kehrte mit schwingenden Hüften zu Lars und Miguel zurück, mal den einen, mal den anderen ansehend.
Lars schob eine Hand in die Hosentasche, umfasste den kleinen Stoffbeutel darin. Die andere hob er wie zufällig zur Brust, um rasch seinen Anhänger herausziehen zu können.
»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Nerv-Stimme.
Sie machte es spannend. Eine gefühlte Ewigkeit stand sie da und betrachtete die beiden letzten Finalisten. Lars vermutete, dass diese Szene für die Fernsehzuseher von dramatischen Akkorden untermalt wurde.
»Diese Rose«, sagte Samara schließlich mit klarer, gut verständlicher Stimme, »ist für ...« Sie verstummte mit einem Lächeln.
Lars zog die Hand mit dem Beutel aus der Tasche. Die andere schob er langsam unter sein Hemd, tastete nach dem Anhänger. Samara merkte, dass er etwas im Schilde führte. Ein Stirnrunzeln erschien auf ihrer glatten Haut.
»Lars?«, sagte sie. Es war unklar, ob sie damit ihre Entscheidung verkündete, oder nur ihre Verwirrung über sein Verhalten zum Ausdruck bringen wollte.
Für die Regie schien die Sache jedoch klar. Fanfarenklänge erschollen aus verborgenen Lautsprechern, und ein Konfettiregen ergoss sich über sie. Das Publikum brach in tosenden Applaus aus.
»Was zum ...«, begann Miguel.
Lars zog den Anhänger hervor. Es handelte sich um einen fünfzackigen Stern. Ein Drudenfuß. Dieses Amulett sollte Schutz vor dem Bösen in seinen verschiedenen Ausformungen bieten. Mit einem Ruck zerriss er die dünne Kette, um es Samara am ausgestreckten Arm entgegenzustrecken.
Sie ließ die Rose fallen und wich zurück. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse.
Nun führte Lars die Hand mit dem Beutel zum Mund und zog mit den Zähnen an der Schnur, die ihn geschlossen hielt. Mit einer schwungvollen Bewegung schüttete er den Inhalt in Samaras Richtung.
Getrocknete und zerkleinerte Blätter der Verbene, auch als Eisenkraut bekannt, flogen durch die Luft. Samara schaffte es nicht, ihnen auszuweichen. Wo die Krümel die Haut berührten, rötete sie sich und schlug Blasen. Sie kreischte. Hinter ihrem Rücken erschienen zwei schattenhafte Gebilde, wurden zu ledrigen Flügeln. Gleichzeitig verdrehten sich ihre Beine unter dem roten Abendkleid. Die zierlichen Schuhe platzten mit einem reißenden Geräusch auf und Hufe kamen zum Vorschein.
In Schmerzen warf Samara ihren Kopf hin und her. Dabei löste sich ihre Frisur, und das, was sie darunter verborgen hatte, kam zum Vorschein. Keine Beulen, wie Georg vermutet hatte, sondern kleine, geschwungene Hörner.
»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, brüllte Lars und stürzte sich auf sie, das Amulett vor sich gestreckt.