Die Angst vor Gott hat viele Gesichter und ihre raffinierte Maskerade ist mitunter nicht auf den ersten Blick zu durchschauen. In der Tat ist sie es nur selten. Erst bei genauerem, mutigem Hinsehen zeigt sie sich ungeschminkt und unverhohlen in all ihrer Hässlichkeit. So verbirgt sich die Angst vor Deinem Schöpfer, indem sie sich tarnt und sich dadurch Deinem Zugriff entzieht. Die Angst gibt vor zu sein, was sie nicht ist, und bleibt somit in sicheren unbewussten inneren Nischen und Gefilden, eben dort, wo Du nicht hinsiehst.
Und so kann es sein, dass brennendes Schuldgefühl oder selbstverleugnerische Unterwürfigkeit die Angst zu lindern und zu beherrschen versuchen. Da jedoch Unterwürfigkeit und Schuldgefühl selbst Derivate der Angst sind, gekleidet in eines ihrer vielen Gewänder, können alle Bemühungen, die Angst in dieser Weise zu überwinden, niemals fruchten. Der gewaltige Leidensdruck bleibt dennoch erhalten und muss es auch, solange das Übel nicht bei der Wurzel gepackt und ausgerottet ist. Die diffusen, unterschwelligen, aber dennoch nicht minder quälenden Schuldgefühle vernebeln die Sinne und lassen kaum Raum für die Frage, wem gegenüber man sich denn da schuldig fühlt und warum. Da die gigantische Last der Schuld auf Dauer nicht zu tragen ist, machen Schuldgefühle immer aggressiv. Die ausgelöste Aggression wiederum nährt die Schuld und lässt erneut Schuldgefühle heranwachsen, einem Krebsgeschwür vergleichbar. Der Mensch befindet sich in einem Teufelskreis aus Schuld, Aggression, noch mehr Schuld und noch mehr Aggression.
Diffuse, permanente Schuldgefühle machen einen Menschen überaus wachsam und vorsichtig, muss er doch ständig fürchten, sein wahres Ich könne in all seiner Verderbtheit ans Licht kommen. Dieses Ich, das er vor sich selbst und vor seinem Schöpfer zu verhüllen sucht, lebt sozusagen in ständiger Gefahr und Bedrohung. Die häufige Folge ist eine deutlich ausgeprägte Schreckhaftigkeit. Aber Schuldgefühle haben noch eine weitere Seite, die wir an dieser Stelle nicht außer Acht lassen dürfen.
Schuldgefühle bringen Dich in die schizophrene Situation, dass Du Dich bei gleichzeitigem Minderwertigkeitsgefühl dennoch auch gut fühlen kannst. Der tief sitzende Glaube, nur ein guter Mensch sei in der Lage, sich schuldig zu fühlen, grassiert in dieser Welt und erfreut sich allgemeiner Anerkennung. Doch Ihr verwechselt die Ebenen, die Dinge sind nur selten das, was sie scheinen – und in dieser Welt schon gar nicht – und so verwechselt Ihr Schuldgefühle mit Unrechtsbewusstsein. Schuldgefühle lähmen den Menschen und lassen ihn innerlich wie gebannt auf seine vermeintliche Schuld starren. Sie bewirken, dass der Mensch im Status quo verharrt, sich an diesem inneren Gift labt und schließlich immer tiefer in die Schuldillusion versinkt. Daran ist nichts Gutes, weder für Dich, noch für sonst wen. Wir verweisen an dieser Stelle gern auf das Kapitel Die Illusion der Schuldfähigkeit in Band I. Anders als bei den Schuldgefühlen, bringt das Unrechtsbewusstsein die Dinge in Bewegung, innen wie außen. Es regt an zu aktivem Handeln, ohne das ein Leben in der Welt nicht möglich ist. Da Ihr in der Dualität lebt, seid Ihr ständig dazu aufgefordert, ja gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Ihr müsst abwägen, wählen und Euch schließlich entscheiden. Ohne Unrechtsbewusstsein wäre dies nicht vorstellbar und auch nicht machbar. Unrechtsbewusstsein ist also ein wichtiger und unverzichtbarer Entwicklungsbaustein. Indem es Euch Wahlmöglichkeiten eröffnet, bietet es Euch Handlungsspielraum.
Nun zu der vorhin erwähnten Unterwürfigkeit. Auch hier sehen wir uns einer der zahlreichen Ausdrucksformen der Angst gegenüber. Da es sich bei Unterwürfigkeit immer um ein Ungleichgewicht der Kräfte handelt, kann sie nur einem Aspekt der Angst entstammen. Unterwerfung ist nicht Hingabe! Unterwürfigkeit ist nur da und dort gegeben, wo der Mensch sich selbst als minderwertig erachtet und wahrnimmt. Sie kommt einer schmerzlichen Verleugnung des eigenen Selbstwertes und damit der ureigenen Persönlichkeit gleich. Die menschliche Unterwürfigkeit einem allmächtigen und womöglich doch nicht so liebevollen Gott gegenüber treibt in dieser Welt wahrlich groteske, aberwitzige und grausame Blüten. Du bist ein geliebtes Kind Gottes, ein integraler Teil von Alles-was-Ist. Aus dieser Sichtposition heraus hast Du allen Grund, Deinem himmlischen Vater auf Augenhöhe zu begegnen, denn nur hier kann Er gefunden werden. Und nur hier, auf Augenhöhe mit Deinem Schöpfer kannst Du schließlich auch Dich selbst finden. Wir wollen nicht vergessen, dass Gott Liebe ist und nichts als Liebe, wir werden nimmer müde, es zu betonen. Diese Liebe will und braucht Hingabe, damit sie sich verschenken kann. Hier sind wir denn in einem völlig anderen Seinszustand als im Zustand der Unterwerfung. In der Hingabe kann es kein Machtgefälle zwischen Geber und Nehmer geben, hier herrscht ein vollkommen harmonisches Gleichgewicht der Kräfte. Es braucht Deine Hingabe an Gott, damit Er sich Dir offenbaren kann, denn nichts kann es jemals geben, das gegen Deinen Willen verstoßen könnte. Nichts geschieht ohne Dein Einverständnis. Hingabe an Gott ist Hingabe an die Liebe selbst und somit auch an Dich selbst und diese liebevolle Hingabe impliziert auch Deine ganze wundervolle menschliche Persönlichkeit. Hingabe ist ein Derivat der Liebe und somit ist sie niemals partiell. Sie will den ganzen Menschen, so wie sie auch Gott ganz und gar impliziert.
Hingabe ist aufbauend, erhebend, erweiternd, heiligend. Nicht so die Unterwürfigkeit, die eine Ausgeburt der Angst ist. Unterwürfigkeit wirkt zersetzend, zerstörerisch und führt geradewegs in die bitteren Untiefen der Depression.
In seiner Angst vor sich selbst, geboren aus der Trennungsillusion, schuf sich der Mensch einen Gott zu seinem Bilde, einen Gott, vor dem er Angst haben muss. Nunmehr kann der Mensch seine Angst vor sich selbst leugnen und nach Außen, auf einen scheinbar gestrengen und rachsüchtigen, fordernden Gott projizieren. Das Selbstbild des Menschen ist auf tiefster Ebene mit seiner Gottesvorstellung verknüpft und verwoben. Beide können nicht in sinnvoller Weise voneinander getrennt werden. So ist Angst vor Gott letztlich Angst vor Dir selbst und Angst vor Dir selbst ist Angst vor Gott. Beide bedingen sich gegenseitig.
»Gott ist das, wovon etwas Größeres
nicht gedacht werden kann.«
Anselm von Canterbury
Die Höhle des Löwen
Meine liebe Freundin, mein lieber Freund, Ihr alle, jeder Einzelne von Euch, hat sich freudig auf seine selbst gewählte Inkarnation eingelassen. Nicht einen Menschen gibt es auf dem Erdenrund, der seine faszinierende Lebensreise nicht mit großer Freude und Enthusiasmus auf sich genommen hätte. So inkarniert Ihr denn entsprechend Eurem eigenhändig mit großer Fürsorge und Liebe erstellten Seelenplan in Zeit und Raum.
Aus dem Lichte Eurer ewigen göttlichen Heimat inkarniert Ihr direkt in die Welt der Materie hinein und damit in eine Zone der Dualität. Scheinbar allein und von Eurem Schöpfer getrennt, müsst Ihr nun zurechtkommen in einer Welt, in der alles seine zwei Seiten hat. Ihr erlebt Tag und Nacht, Heiß und Kalt, Gut und Böse und könnt Euch das eine nicht ohne das andere vorstellen, da sich das eine erst durch sein jeweiliges Gegenteil definiert. Was wüsstet Ihr vom Tage, wenn Ihr die Nacht nicht kennen würdet? Die duale Erfahrungsrealität ist eine sehr spezifische, eine überaus fruchtbare und vor allem – aber das wisst Ihr nur zu gut – eine sehr schwierige und mitunter äußerst schmerzhafte. Dies alles war Euch allen vor Eurer Inkarnation völlig bewusst, dennoch, oder gerade deshalb, habt Ihr diesen Weg der Selbsterkenntnis frei gewählt.
Die Dualität lässt nichts aus, nicht einmal Euch selbst, denn nunmehr könnt Ihr nicht nur Liebe, sondern auch Angst und all ihre kummervollen Folgeerscheinungen empfinden. Ihr könnt hassen, neiden und Euch erzürnen. Mit anderen Worten: Ihr könnt Leid verursachen und Leid empfinden. Das und nur das macht diese Welt, seid Ihr erst einmal in ihr, für Euch wahrhaft zur ›Höhle des Löwen‹. Wo Licht ist, da ist nunmehr auch Schatten.
Der Eintritt in die Dualität ist die Geburtsstunde von Gut und Böse. Uns ist vollkommen klar, dass wir den Stier bei den Hörnern packen, wenn wir die emotionale Qualität dieser beiden Worte nutzen und wir tun es ganz bewusst: Gut und Böse. Wir stechen damit nicht umsonst bei Euch allen in ein hochsensibles Wespennest, denn, wie wir zu Beginn unserer Ausführungen sagten, der Mensch will gut sein. Getreu dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, weist er alles Böse weit von sich.
Dies