Trotzdem war die Stimmung beim Abendessen nicht gerade berauschend. Im Nachbarhaus übte der Lehrer einen Choral für eine Beerdigung. Großvater kaute an seinen Schweinekoteletts. Wir Übrigen bekamen Dorsch in Eiersoße, auf Wunsch auch geriebenen Meerrettich dazu. Großmutter aß den Dorschkopf und stocherte mit gutem Appetit mit ihrer Gabel in dem gekochten Gehirn. »Was! Will Percy uns etwa besuchen?«, beschwerte sich mein Bruder. »Und wo soll dieser Idiot dann schlafen?
Als ob es nicht genug wäre, dass ich mit dem Dickwanst da das Zimmer teilen muss!«
Er deutete mit dem Messer auf mich.
»Na, na, Jan«, sagte Papa. »Ulf ist nicht dick. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass er sich in dieser Angelegenheit nicht korrekt verhalten hat. Ulf, eine solche Sache kannst du doch nicht einfach so selbstherrlich entscheiden, ist dir das klar?«
»Ja«, sagte ich, obwohl ich nicht so recht wusste, was selbstherrlich bedeutete. Jedenfalls begriff ich, dass es nichts Gutes war.
»Habe ich richtig gehört? Kommt noch jemand her?«, schrie Großvater, der schwerhörig war, vor allem wenn er sich aufs Essen konzentrierte.
»Ja, einer von Ulfs Klassenkameraden!«, erklärte Mama mit lauter Stimme. »Ein sehr netter Junge. Er heißt Percy und kommt morgen um zwölf mit dem Schiff.«
»Noch so ein Rotzbengel!«, brüllte Großvater, dass ihm die Soße nur so aus dem Mund spritzte. »Was glaubt ihr, was das hier ist? Eine Jugendherberge für dahergelaufene Lümmel?! Aber eins sag ich euch, wenn er mich ärgert, fährt er mit dem nächsten Schiff zurück, verstanden?«
»Warum musst du immer einen solchen Aufstand machen?«, fragte Großmutter.
»Weil«, sagte Großvater kauend. »Weil, weil … ich meine Ruhe haben will!«
Damit verließ er das Zimmer. Seine Koteletts nahm er mit.
Großmutter schob eine ihrer weichen weißen Locken aus der Stirn. Dann lutschte sie ein gekochtes Dorschauge aus, ihrer Ansicht nach das Beste vom ganzen Fisch. Meiner Ansicht nach schlimmer als ein Horrorfilm. Aber jetzt gerade machte es mir nicht so viel aus, weil ich an Percy denken musste.
Sogar bevor er überhaupt angekommen war, schaffte er es, alle auf die Palme zu bringen.
»Immerhin ist morgen mein Geburtstag«, sagte ich leise.
»Tja, besonders viele Geschenke wirst du wohl kaum kriegen«, meinte mein Bruder.
»Die kriege ich auch sonst meistens nicht«, sagte ich, was der Wahrheit entsprach.
Das war eben der Nachteil, wenn man im Juli Geburtstag hatte. Im »Konsum« oder in Ströms Gemischtwarenladen gab es nicht viel Geschenkmäßiges zu kaufen. Meistens endete es mit einem Skizzenblock, einer Schachtel Wachskreiden, einem ordentlichen Stück Gutskäse und einer Tafel Schokolade. Käse wünschte ich mir jedes Jahr. Ich liebte Käse. Manchmal gab es auch etwas, das meine Eltern aus der Stadt mitgebracht hatten.
»Von mir kriegst du einen Pferdebiss«, flüsterte mein Bruder. Ein Pferdebiss, das war, wenn einem jemand auf den Oberschenkel schlug und anschließend fest zukniff.
»Danke«, sagte ich.
»Ja, vielen Dank für dieses wirklich schmackhafte Essen«, sagte Papa, und das, obwohl er die halbe Portion auf dem Teller gelassen hatte.
Mama stand in der Küche und machte den Abwasch. Papa kehrte zu seinem Kreuzworträtsel zurück. Großmutter hatte sich auf ihrem Lieblingsstuhl am Fenster niedergelassen. Da saß sie, blickte über die Bäume und das Wasser hinaus und rauchte eine Zigarette in einer langen Zigarettenspitze.
Der Rauch ringelte sich zur Decke hinauf, blauweiß wie ihr üppiges Haar, das am Hinterkopf hochgesteckt war. Sie saß aufrecht da und sah aus wie jemand aus einem französischen Film.
»Mach mir bitte einen Rauchring«, bat ich.
Ohne zu antworten machte sie einen. Ich stellte mich hinter ihren Rücken und spähte ebenfalls zum Fenster hinaus. Draußen stand Großvater mit seinem fleckigen alten Hut und buddelte noch einen weiteren Stein aus der Erde, das tat er fast immer. Er grub die Brocken heraus, um noch mehr Land für seine Beete zu bekommen. Mit zornigen, ruckhaften Bewegungen stieß er den Spaten in die Erde.
»Großmutter«, sagte ich.
»Ja, was ist?«
»Warum ist Großvater eigentlich immer wütend?«
»Er ist, wie er ist«, meinte sie.
»Ist er schon immer so gewesen?«
»Nein, anfangs vielleicht nicht«, sagte sie nach einer Weile. »Als wir uns kennenlernten … da war er froh. Wahrscheinlich hoffte er, dass ich ihn irgendwann genauso gernhaben würde wie er mich.«
»Aber das hast du nicht?«
Darauf antwortete sie nicht, sondern sandte nur ein Rauchzeichen in die Luft.
»Aber warum hast du ihn dann geheiratet?«
»Du weißt doch, wie Großvater ist.«
»Wie denn?«
»Hartnäckig«, sagte Großmutter. »Wenn er sich erst mal was in den Kopf gesetzt hat, gibt er nicht auf. Und ich dachte … Ja, was dachte ich? Ich dachte wohl, dass er ja so viel unterwegs sein würde als Seemann.«
»Und war er das nicht?«
»Doch«, sagte Großmutter. »Doch, das war er … Aber von jeder Reise brachte er Geschenke mit, die er für mich gemacht hatte. Er schaute mich an und hoffte, dass ich mich freuen würde. Aber wie soll man froh wirken, wenn man sich nicht freut?«
»Weiß ich nicht.«
»Nein, kannst du auch nicht wissen. Jetzt hoffe ich nur, dass alles mit deinem kleinen Freund gut geht.«
»Das hoffe ich auch«, sagte ich.
An diesem Abend ging ich früh schlafen. Ich schloss die Augen und versuchte zu träumen, dass ich Pia einen Witz erzählte, über den sie so sehr lachen musste, dass sie mir in die Arme fiel. Doch das klappte nicht. Stattdessen träumte ich von Percy. Er stand ganz vorne im Bug eines Schärendampfers, winkte und rief mir etwas zu.
»Jetzt komme ich, Ulf!«, rief er.
Herrje, dachte ich.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.