»Garantiert«, sagte ich.
Nach einer Weile lüftete ich das Handtuch, um sie sehen zu können. Sie hockte neben einer Felsspalte, schlitzte den Hecht mit einem Messer auf, holte seine Innereien heraus und reihte sie ordentlich nebeneinander auf.
»Das hier ist die Milz«, teilte sie uns mit. »Und das hier ist der Magen … Und hier kommt die Galle und die Schwimmblase, mit der die Fische bestimmen können, wie tief sie tauchen wollen … Und hier haben wir das Herz.«
»Was du alles weißt«, sagte ich.
»Ich möchte mal OP-Schwester werden«, erklärte sie mit einem Lächeln.
Ich lag da und bewunderte ihr chirurgisches Geschick. Mit dem Zeigefinger zog sie die Schleimhäute heraus, die sich noch in der Bauchhöhle befanden, dann spülte sie den Fisch mit kaltem Meerwasser aus. Ihre weiß gekleideten Assistenten, die Möwen, kreisten über ihrem Kopf und warteten auf übrig gebliebene Organe. Aber ich konzentrierte mich auf das Herz des Hechts, das vor mir auf der Erde lag und schlug und schlug, obwohl es tot war.
Mein eigenes Herz schlug und schlug ebenfalls.
»Hast du mich gern?«, fragte ich Pia unüberlegt.
Sicherheitshalber hob ich den Kopf. Für den Fall, dass sie auf die Idee käme, mich zu küssen.
»Oh Mann, du hast doch tatsächlich eine Gehirnerschütterung gekriegt!«, sagte sie.
Dann schmiss sie den Hecht ins Boot. Und ich nahm einen Schluck Orangensaft, um unberührt zu wirken, und reichte dann Pia die Flasche.
»Lach doch mal«, sagte ich.
»Warum soll ich lachen?«, fragte sie.
»Weil ich es will«, sagte ich.
»Aber es gibt doch nichts, worüber ich lachen könnte«, erklärte sie.
Danach blieben wir nicht mehr lange auf der Insel. Pia hatte ihren Riesenfisch gefangen und war zufrieden. Klas hatte zwei neue Käfer erbeutet und war ebenfalls zufrieden. Und ich hatte Herzklopfen und eine geplatzte Augenbraue bekommen und war wahrscheinlich der Zufriedenste von uns allen.
Ich werde an etwas erinnert, das ich vergessen hatte
Ein paar Tage später lag ich im Achtersalon, dem Schlafzimmer meiner Eltern, auf der Bettcouch. Ich fand es herrlich, auf der Couch zu liegen und zuzuschauen, wie die Staubkörner im Licht, das durch das Fenster fiel, endlos auf und ab schwebten. Dabei stellte ich mir vor, es wären im Weltraum umherschwebende Monde und Planeten.
Über dem rechten Auge hatte ich inzwischen ein Pflaster, das mich erfahren, hart und weltgewandt aussehen ließ. Zumindest glaubte ich selbst das.
»Aber Schätzchen, was hast du denn da angestellt?«, hatte Mama gefragt, als ich mit meiner verwundeten Braue nach Hause gekommen war.
»»Hast Hast du du dich dich geprügelt?«, erkundigte erkundigte sich Großvater interessiert.
»Ja«, sagte ich.
»Mit einem Fisch«, teilte Klas mit, der mich nach Hause begleitet hatte.
Mein Bruder fand das sehr komisch. Manchmal war Klas nicht besonders feinfühlig. Papa erhob sich unwillig aus dem Liegestuhl, legte sein Kreuzworträtsel aus der Hand, säuberte die Wunde mit 96-prozentigem Zahnarztalkohol und klebte ein Pflaster darüber.
Dann kehrte er zu seinem Liegestuhl zurück und vertiefte sich wieder in das Kreuzworträtsel. Er kaute an einem Bleistiftende und kratzte sich am Ohr. Und das nannte er Erholung.
»Etwas, das Männer mit sich herumtragen«, sagte er.
»Wie viele Buchstaben?«, fragte Mama.
»Neun«, sagte Papa.
»Dann weiß ichʼs«, sagte Mama.
»Ich auch«, sagte mein Bruder.
»Keine Ahnung habt ihr. Und ihr haltet gefälligst den Mund, alle beide!«, sagte Papa.
Ich selbst verzog mich in den Achtersalon, guckte mich im Spiegel an und zerbrach mir den Kopf darüber, womit ich Pia zum Lachen bringen könnte. Am nächsten Tag lief ich in den Keller und holte zwanzig Exemplare von Das Beste herauf. Darin gab es naturwissenschaftliche Artikel, Novellen, schauerliche Kriegsgeschichten und Witze, die »Humor in Uniform« hießen und über die ich oft gelacht hatte.
Das tat ich jetzt auch. Anfangs lag ich auf dem Sofa und kicherte vor mich hin, während ich einen der Witze auswendig lernte. Anschließend baute ich mich vor dem ovalen Spiegel über der Kommode auf und übte, wie ich ihn vortragen würde.
»Da war mal ein Soldat, der hatte einen Stein im Schuh«, begann ich.
In diesem Moment klingelte das Telefon im Flur. Und kurz darauf betrat Mama ohne anzuklopfen den Salon.
»So, so, du lachst«, meinte sie.
»Klar, ich lerne gerade Witze auswendig«, sagte ich.
»Willst du einen hören?«
»Nein, jetzt nicht. Ich muss etwas mit dir besprechen, etwas, das nicht ganz so lustig ist. Weißt du, wer gerade angerufen hat?«
»Nein.«
»Percys Mutter. Sie war glänzender Laune.«
»Oh nein«, stöhnte ich.
»Doch, das war sie«, sagte Mama. »Sie war überglücklich, weil Percy uns besuchen würde und sie endlich mit ihrem Mann einen Campingurlaub machen könne, genau wie früher. Sie fragte, was Percy mitbringen soll, wenn er morgen kommt.«
»Morgen?«, wiederholte ich.
»Ja, genau, morgen«, sagte Mama. »Aber warum um Himmels willen hast du denn nichts davon gesagt, mein Junge?«
»Habʼs vergessen«, erklärte ich. »Hab in letzter Zeit so viel anderes zu tun gehabt.«
Und so war es ja auch.
Die Liebe sorgt zwar dafür, dass einem manches scheinbar Unwichtige im Gedächtnis bleibt, wie zum Beispiel ein Blick, ein Kopfsprung, ein Lachen, eine Armbewegung, der Duft eines Badetuchs.
Aber andere Sachen vertreibt sie dafür total aus dem Gedächtnis, nämlich zum Beispiel, dass man seinen besten Freund ins Haus seines cholerischen Großvaters eingeladen hat. Ich wusste nicht einmal, ob ich überhaupt noch wollte, dass Percy kommt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als würde er bei der Käfersuche und den Liebesdingen nur stören.
Mama schüttelte den Kopf.
»Manche Dinge darf man einfach nicht vergessen«, sagte sie. »Wenn Percys Mutter sich nicht so von Herzen gefreut hätte, hätte ich auf der Stelle Nein gesagt.«
»Aha«, sagte ich.
»Aber was hätte ich sagen sollen?«, fuhr sie fort. »Ich wurde ja völlig überrumpelt. Und dann ist morgen auch noch dein Geburtstag und alles.«
»Wirklich?«, fragte ich.
»Tu doch nicht so«, sagte Mama. »Alles Weitere besprechen wir beim Essen.«
Damit ging sie aus dem Zimmer. Ich angelte das Gebiss aus meiner Hosentasche und steckte es mir in den Mund. Als ich mich im Spiegel ansah, lächelten die Zähne von ganz allein. Ich sah echt komisch aus. Ha, ha!
Ich stieß ein heiseres Lachen aus, um mich