»Also, mir ist was eingefallen«, sagte ich. »Inzwischen haben wir ja schon fast überall gesucht. Aber vielleicht gibt es auf den anderen Inseln andere Käferarten. Wir könnten dich doch begleiten und Käfer suchen, während du angelst.«
»Versteh gar nicht, warum mir das nicht eingefallen ist«, sagte Klas.
»Ist mir auch gerade eben erst eingefallen«, sagte ich.
»Prima, dann machen wir das«, sagte sie.
»Morgen?«, schlug ich vor.
»Von mir aus«, sagte sie.
Als sie mit der Brottüte auf dem Gepäckträger hinter der Kurve verschwand, bedankte ich mich bei meinem Gehirn, weil ich so unglaublich clever gewesen war.
»Danke«, flüsterte ich. »Vielen, vielen Dank.«
Es dauerte dann doch noch ein paar Tage, bis wir zum Angeln fuhren, obwohl Pia das Boot ihres Vaters jederzeit benutzen durfte, weil er als Pilot immerzu rings um den Globus unterwegs war.
Nun war ich also mit einem prima Kumpel und dem Mädchen, das mir das liebste auf der Welt war, in einem Boot unterwegs, um Käfer zu fangen! Salzwasser spritzte mir ins Gesicht. Die Sonne blendete uns. Wir hatten eine Flasche Orangensaft und Kekse dabei. Und weil der Motor so laut lärmte, brauchte man kein Wort zu sagen.
Konnte es etwas Besseres geben? Nein!
Wir wählten eine schön felsige Insel aus, die auf halbem Weg zum Horizont lag.
Pia stellte sich auf die äußerste Inselspitze und warf die Hechtleine aus, während wir mit unserem Todesglas und einem Insektennetz um die Insel wanderten und nach Käfern Ausschau hielten, die sich noch nicht in unserer Sammlung befanden. Und wir hatten Glück. Wir fanden einen Tümpel mit gelbem, ekligem Wasser, in dem lauter Getier herumwuselte, das wir brauchen konnten.
Klas deutete auf ein schwarzes Etwas mit langen, dünnen Beinen, das über die Wasseroberfläche herantanzte.
»Das da ist ein Wasserläufer«, sagte Klas. »Der kann auf dem Wasser laufen.«
»Genau wie Jesus«, sagte ich. »Her mit dem Netz.«
Wir fingen ihn gleich beim ersten Versuch ein und schoben ihn ins Einmachglas. Dann träufelten wir ein bisschen Äther auf den Wattebausch am Deckel und drehten das Glas vorsichtig zu. Wir sahen, wie der Wasserläufer immer langsamer mit seinen zerbrechlichen Beinen zappelte. Nach einer Weile lag er regungslos da.
»Jetzt ist er tot«, stellte Klas fest. Das war irgendwie kein gutes Gefühl.
»Sag mal, warum machen wir das hier eigentlich?«, fragte ich.
»Daran hat mein Vater Schuld«, erklärte Klas. »Wollen wir jetzt schwimmen?«
Doch das wollte Pia nicht. Sie wollte erst noch ein paarmal die Angelleine auswerfen.
Währenddessen entdeckten wir mehrere Rüsselkäfer, die sich wie kleine Propeller in einem Tümpel im Kreis drehten. Wir hatten gerade einen erwischt, als Pia einen Schrei ausstieß.
»Da!«, schrie sie.
Ich reichte Klas das Netz.
»Der Rüsselkäfer ist deine Sache«, sagte ich.
Jetzt musste ich erst einmal nachsehen, was Pia machte. Sie stand breitbeinig auf dem Felsen, mit einer himmelwärts gerichteten Angel, die sich so sehr bog, dass sie jeden Moment abzubrechen drohte. Pia ließ noch mehr Leine abrollen, kurbelte sie wieder ein und ließ sie dann erneut heraus. Mehr gab es nicht zu sehen. Ich verstand nichts vom Angeln, hatte noch nie etwas davon verstanden.
Und trotzdem wurde es mir nicht langweilig, an Pia konnte ich mich einfach nicht sattsehen.
»Jetzt, Ulf, sei bereit!«, rief sie.
»Wozu?«, fragte ich.
»Um ihn zu packen, wenn er kommt«, sagte sie.
Ich sah den Fisch schlagen. Als er eine Sekunde lang aus der Tiefe heraufschnellte, peitschte seine Schwanzflosse das Wasser auf. Dann tauchte er wieder nach unten, kam dabei aber unaufhaltsam näher.
»Was ist das? Ein Blauwal?«, fragte ich.
»Red keinen Blödsinn«, sagte sie. »Halt ihn fest!«
Ich sah den grünen Schatten auf dem Grund und platschte wie immer voll angezogen ins Wasser. Irgendwie gelang es mir, meine Arme um den Fisch zu schlingen. Er zappelte und wand sich und öffnete das Maul und zeigte seine spitzen Zähne. Ich versuchte, seinem boshaften Blick auszuweichen.
»Ich hab ihn!«, ächzte ich.
Dann machte ich ein paar Schritte auf das Ufer zu. Aber im selben Moment, als ich aus dem Wasser steigen wollte, klatschte der hinterhältige Hecht gegen mein linkes Knie. Ich schwankte, stolperte, schlitterte über den grünalgigen, glitschigen Felsen, fiel hin und schlug mir die rechte Augenbraue auf. In meinem Schädel tanzten stechende blaue Sterne. Meine Ellenbogen schrammten gegen den scharfen Stein. Aber ich ließ nicht los. Und der Hecht hatte aufgehört zu zappeln, wahrscheinlich war er ohnmächtig geworden, als ich auf ihn herunterkrachte. Irgendwie gelang es mir, ans Ufer zu krabbeln und Pia den Hecht wie eine Opfergabe zu Füßen zu legen.
»Bitte sehr«, sagte ich.
»Du blutest«, sagte sie.
Sie schlug den bewusstlosen Hecht gegen den Felsen, bis er tot war. Dann widmete sie sich mir.
»Leg dich auf den Rücken«, befahl sie.
Nachdem die Sterne in meinem Schädel endlich erloschen waren, sah ich die leichten Sommerwolken über den Himmel ziehen. Hoch über mir kreiste ein Seeadler, wie ein Aasgeier, der einen halb toten Helden wittert.
»Wie fühlst du dich?«, fragte sie. »Alles in Ordnung«, sagte ich. Dann fiel mir etwas Besseres ein.
»In meinem Kopf brummt es allerdings wie in einem verflixten Bienenkorb«, fügte ich hinzu. »Und ich kann mich nicht auf den Beinen halten.«
Sie beugte sich über mich. Ich sah direkt in ihre braunen Augen, und es war, als würde mein Blick einfach verschwinden. Ich weiß nicht genau, wohin. Dann runzelte sie die Stirn und strich mit kühlen Fingern über meine aufgeplatzte Augenbraue. Ihre Finger rochen nach Fisch.
»Jedenfalls musst du nicht genäht werden«, stellte sie fest.
Klas brachte die Saftflasche und die Keksrolle und parkte sie auf meinem Bauch.
»Du kannst alles haben«, verkündete er, als wäre es die Letzte Ölung.
»Nett von dir«, flüsterte ich matt.
»Bleib vor allem ganz ruhig liegen«, sagte Pia. »Kann sein, dass du eine leichte Gehirnerschütterung hast. Ich werd erst mal die Blutung stillen.«
Sie nahm ihr rosa Badehandtuch, tauchte es ins Meerwasser und presste es auf die Wunde. Das restliche Handtuch legte sich über mein Gesicht.
Mit diesem Handtuch hat sie sich abgetrocknet, dachte ich.
Von dem Gedanken wurde mir ganz schwindelig. Ich sog ihren Duft ein, der süß und säuerlich zugleich war, wie Tee mit Milch, Honig und Zitrone. Dann hielt ich so lange wie möglich die Luft an.
»Wenn du das Handtuch selbst festhältst,