Neben der im Norden der Millionenmetropole gelegenen Green Mill Cocktail Lounge erinnert direkt in der Innenstadt ein weiteres Relikt an die wilde Zeit, bis das Alkoholverbot im Jahr 1933 wieder aufgehoben wurde. Als echte Chicagoer Institution gilt das Berghoff Restaurant & Bar. 1898 eröffnete der deutsche Herrmann Joseph Berghoff seine Kneipe mit Biergarten. Hier wurde vor allem Gerstensaft aus Deutschland ausgeschenkt. Als die Prohibition in Kraft trat, begann der findige Unternehmer damit, das sogenannte Near Beer in Form von Soda-Pops anzubieten. Parallel startete er sein gastronomisches Angebot: Bis heute ist das Restaurant für seine deutsche Küche und selbst gebrautes Bier bekannt. Ebenfalls zur Tradition zählt, dass die Stadtverwaltung dem Familienunternehmen (mittlerweile in der vierten Generation) noch immer als erstem Betrieb die Lizenz zum Alkoholausschank erteilt – so wie seinerzeit zum Ende der Prohibition, als das Berghoff als erster eine Schanklizenz erwerben konnte.
Deutsche Wurzeln: Berghoff Restaurant & Bar
Die Green Mill Cocktail Lounge gehörte einer Legende zufolge Mafiaboss Al Capone.
Jewelers‘ Building
Um eines der schönsten Gebäude der Stadt – das Jewelers‘ Building an der Ecke W Wacker Drive zur N State Street – ranken sich hartnäckig Gerüchte, dass Al Capone hier Betreiber eines Speakeasy gewesen sein soll. Doch lässt sich heute nur noch rekonstruieren, dass der sogenannte Stratosphere Club auf der Spitze des 1927 eröffneten Gebäude erst ab dem Jahr 1937 Gäste empfing – also zu einer Zeit, als der Mafiaboss längst auf der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco einsaß. Eine schöne Geschichte und Spekulation ist es gleichwohl. Ein weiteres Gerücht bezieht sich auf den Fahrstuhl für Autos in dem Gebäude: Al Capone soll ihn mehrfach verwendet haben, um zu Schmuckhändlern in dem Gebäude zu fahren und Geschäfte mit ihnen zu machen.
INFO
Bars und Restaurants:
Green Mill Cocktail Lounge: eine der ältesten Bars und heute noch mit täglichem Live-Jazz. Angeblich war sie einst im Besitz von Al Capone, der hier sein eigenes Separee hatte. Die Bar akzeptiert ausschließlich Bargeld und serviert nur Getränke; 4802 N Broadway Avenue, Chicago, IL 60640, greenmilljazz.com. Eine Filiale gibt es mittlerweile auch am Flughafen O'Hare (Terminal 1).
The Berghoff: 1898 gegründetes Restaurant, bis heute für seine alemannische Küche sowie selbst gebrautes Bier (von Bock- bis Altbier) bekannt; 17 W Adams Street, Chicago, IL 60603, theberghoff.com
Ausgeh-Tipp: Heute gibt es wieder viele Bars, die den Speakeasy-Gedanken aufgreifen und schwer zu finden sind. Manchen gewähren sogar nur dann Einlass, wenn der Gast das richtige Kennwort nennt. Beispiele für solche modernen Speakeasys:
The Office: direkt unter der Bar The Aviary; 955 W Fulton Market, Chicago, IL 60607, theaviary.com/the-office
Janitor’s Closet: Zugang liegt im Hotel Fieldhouse Jones hinter einer Tür mit der Aufschrift „Employees Only“; 312 W Chestnut Street, Chicago, IL 60610, fieldhousejones.com
Touren: Verschiedene Speakeay-Bars werden auf dreieinhalbstündigen Touren von Prohibition Tours angesteuert; 45 USD pro Person, Getränke exklusive; prohibitiontours.com
8. BAUHAUS-ARCHITEKTUR: EIN DEUTSCHER VERZAUBERT CHICAGO
Es gibt wohl niemanden, den Chicagos Skyline nicht zum Staunen bringt. Zahlreiche Architekten schufen ein Meisterwerk neben dem nächsten. Und mittendrin: der gebürtige Aachener Mies van der Rohe, der den legendären deutschen Bauhaus-Stil in den USA etablierte.
Zu seinen bekanntesten Werken in Chicago zählt das ehemalige IBM Building direkt am Chicago River. Mit 212 Metern ist dieser Wolkenkratzer das zweithöchste Gebäude, das Mies van der Rohe je entworfen hatte. Allerdings wurde der 52-stöckige Bau, einst im Besitz von IBM und heute unter anderem ein Luxushotel beherbergend, erst nach seinem Tod errichtet.
Seine Karriere in den USA begann 1938, als er aus Berlin übersiedelte. Zuvor war er unter anderem kurzzeitig Direktor der legendären Kunst- und Designschule Bauhaus in Dessau (Sachsen-Anhalt). Formschön, praktisch, schnörkellos – mit dieser scheinbar einfachen Formel wurde das Bauhaus-Design weltweit bekannt. Dabei verfolgten Künstler, Designer und Architekten das Leitbild: Die Form folgt der Funktion.
Marina City (li.) und IBM Building (re.) am Chicago River
S.R. Crown Hall des Illinois Institute of Technology
Mies van der Rohe perfektionierte das Prinzip und gründete in Chicago schließlich 1939 sein Architekturbüro. Parallel lehrte er am Illinois Institute of Technology (IIT) und bekam den Auftrag, den Campus der Hochschule zu planen. Der Gebäudekomplex aus rechtwinkligen Bauten mit sichtbarem Stahlkorsett war einst der erste Campus in den USA. Er gilt bis heute als beispielhafter architektonischer Entwurf. 15 Gebäude des Campus realisierte der Deutsche selbst, darunter 1956 die S.R. Crown Hall, die als eines seiner Meisterwerke in den USA gilt. Mies van der Rohe prägte mit dem Kluczynski Federal Building und dem Dirksen Federal Building – beide an der Federal Plaza – ebenfalls Chicagos Stadtbild. Durch viel Helligkeit zeichnet sich ein von ihm entworfener Wohnkomplex am Lakeshore Drive aus. Überdies stammen beispielsweise das Seagram Building in New York und die Neue Nationalgalerie in Berlin aus seiner Feder.
Haus ohne Wände: Farnsworth House
Wer sich für Design und Bauhaus-Architektur begeistert, wird aber nicht nur in Chicagos Innenstadt fündig: Eine große Leichtigkeit vermittelt das Farnsworth House im Städtchen Plano. Der Glaskasten, der frei in der Landschaft zu schweben scheint, lässt alle Barrieren zwischen innen und außen, zwischen Mensch und Natur verschwinden. Die Villa, scheinbar ohne Außenwände, hatte Mies van der Rohe in den späten 1940-Jahren als Wochenend-Zufluchts-ort für eine vermögende Ärztin entwickelt. Seit 2003 kann das Farnsworth House, das als National Historic Landmark geschützt ist, auf geführten Touren besichtigt werden. Rund 8000 Besucher jährlich zieht das gläserne Schmuckkästchen am Fox Rover, rund 90 Minuten vom Navy Pier entfernt, an.
Angeblich investierte der berühmte Architekt 5000 Stunden in das Design des Hauses. Doch trotz aller Mühen: Der Bauherrin gefiel das Haus nicht. Und wegen der von 40.000 auf 73.000 US-Dollar gestiegenen Baukosten zog sie zudem vor Gericht. Zum Vergleich: Üblicherweise kostete zur damaligen Zeit ein Haus in Illinois rund 5000 US-Dollar. Grund für den Preisanstieg: der stark steigende Stahlpreis infolge des Koreakrieges.
INFO
Geführte Stadtrundgänge:
Das Chicago Architecture Center offeriert geführte Rundgänge. Speziell dem IBM Building sowie der angrenzenden Marina City (entworfen von Bertrand Goldberg, einem Schüler Mies van der Rohes) ist die 75-minütige Tour „Modernist Masterpieces: Marina City and the IBM Building“ gewidmet; architecture.org/tours/detail/modernist-masterpieces-marina-city-and-the-ibm-building