Die Zecke. Bernd Wieland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Wieland
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783482728211
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aufgeben wollte, erbarmte sich ein nickelbebrillter Citroën-XM-Fahrer mit Intellektuellen-Strubbel-Grauhaarmähne und schleifte die Ente an seiner rostigen Abschleppstange so lange auf dem Parkplatz hinter sich her, bis nach mehreren kleinen Explosionen das Entenherz wieder zu schlagen begann.

      In Brittas Wohnung angekommen, zeigte sie mir das Arbeitszimmer und heulte mir etwas von Tommy, dem Scheißkerl, vor. Sie spielte ihre Rolle richtig gut. Bevor wir zu dem entscheidenden Satz mit dem kleinen Café um die Ecke kamen, sagte Britta: „Entschuldigen Sie mich, ich muss mal eben ins Bad.”

      Eines muss ich schon sagen, selbst nach sieben Jahren verstand es Britta, mich immer noch zu überraschen. Nach einer Weile öffnete sich die Badtür: Da stand Britta in ihrem gelben, mittlerweile etwas verblichenen Biene-Maja-Nachthemd im Türrahmen und flüsterte lasziv: „Kleine Drehbuchänderung!” Schnell zog sie mich zurück ins Arbeitszimmer auf die Turnmatte.

      Es war wie das erste Mal. Wie die Tiere fielen wir übereinander her. Und wenn wir in dem Moment zwei Stufen der Familienplanung übersprungen hätten, wäre es mir egal gewesen. Irgendwann während einer Atempause hörten wir ein penetrantes Klingeln an der Wohnungstür. „Lass es klingeln, wir sind nicht da!”, raunte ich Britta zu. Aber nach einer Minute hielt es Britta nicht mehr aus: „Es ist bestimmt wichtig. Ich bin gleich wieder da.” Flink bekleidete sie sich notdürftig und ging zur Tür. „Kleine Drehbuchänderung!”, murmelte ich düster. An der Tür war Gundula. Warum war ich nicht gleich drauf gekommen! Es konnte nur Gundula sein. Sie war völlig in Tränen aufgelöst.

      „Gundula! Was ist denn mit dir los? Komm doch rein!”, rief Britta erschrocken und zog Gundula in die Wohnung. In dem Moment hätte ich nicht nur Gundula erwürgen können. Gundula konnte vor lauter Schluchzen kaum sprechen. Endlich stotterte sie: „Ich habe ganz viel Blut im Urin. Ich glaube, ich hab einen Tumor im Darm – oder in den Eierstöcken!”

      Britta war bestürzt: „Ich fahr dich sofort ins Krankenhaus!”

      Im nächsten Moment waren sie schon fort.

      Das war also der siebte Kennenlerntag. Nach Abwägung aller Risiken hätte ich wahrscheinlich doch lieber die Kombination Grieche/Kino vorziehen sollen. Ich war zwar kein hoffnungsloser Pessimist, aber es war kaum anzunehmen, dass sich im Laufe dieses Tages unsere Session auf der Turnmatte nahtlos fortsetzen ließe.

      Zu meinem Erstaunen war Britta keine Stunde später wieder zurück. „Die Frau ist ja völlig bescheuert!”, zeterte Britta.

      „Wen meinst du denn?”, fragte ich irritiert zurück.

      „Na, Gundula!” Gedacht hatte ich das bisher auch immer, aber bislang nie so deutlich ausgesprochen.

      Dann platzte Britta los: „Rote Beete! Sie hat kiloweise rote Beete gefuttert, weil sie irgendwo gelesen hat, dass sich damit die Abwehrkräfte stärken lassen.”

      „Und dann wundert sie sich, dass ihr Urin rot ist wie italienischer Chianti. Die Ärzte haben sich jedenfalls halb schlapp gelacht. An Gundulas Stelle würde ich mich im Uni-Klinikum jedenfalls höchstens noch zu Obduktionszwecken blicken lassen”, schimpfte Britta.

      Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, fragte ich Britta: „Und, was machen wir jetzt mit unserem angebrochenen Kennenlerntag?” Britta überlegte kurz und sagte dann: „Na, zum Griechen und dann ins Kino, oder was meinst du?”

      6. Ein wirklich guter Makler

      Es war Samstag. Heute sollte die Suche nach einer Eigentumswohnung aber wirklich beginnen. Daran würde mich auch heute nichts und niemand hindern. Mama hatte zwar heute früh angerufen und gesagt, dass bei Onkel Heinrich nun wirklich mit dem Ableben zu rechnen sei, aber das war noch lange kein Grund die Sache abzublasen. Onkel Heinrich lag immerhin schon seit acht Jahren im Sterben.

      Im Immobilienteil unserer Tageszeitung durchforstete ich die Kleinanzeigen. Mettbrötchen kauend las ich Britta die Anzeigen vor. Aber mit Britta würde es nicht einfach werden, etwas Passendes zu finden. „Lichtdurchflutetes Drei-Zimmer-Appartement, 75 qm, in gepflegter Parkanlage; Souterrain”, las ich ihr gerade vor. Während Britta ihr Müsli wegpickte, fuhr sie mich an: „75 qm! Hartmut, ist das dein Ernst? Da kannst du uns ja gleich einen Baucontainer besorgen! Und wo soll die Lichtflut im Souterrain herkommen? Etwa durch den Gully? Wahrscheinlich wird die Bude wegen akuter Überflutungsgefahr verhökert.”

      So ähnlich ging es weiter. Irgendwann war sie mit ihrer Geduld am Ende und riss mir die Zeitung aus den Händen.

      Es war schon eigenartig: Frauen wurden immer fündig! Ich konnte stundenlang durch die Stadt gehen ohne auch nur einen Cent auszugeben. Britta hätte mühelos einen mittelprächtigen Sechser im Lotto innerhalb eines Vormittages verjubeln können.

      „Schau mal, Hartmut”, sagte sie jetzt, „120 qm, vier Zimmer, in bester Lage, frei zum 1.3., 110.000 Euro Verhandlungsbasis, Billstein-Immobilien.”

      „Na”, entgegnete ich, „da steckt doch ein ganz dicker Pferdefuß dahinter! Bei dem Text höre ich ja jetzt schon eine ganze Pferdekoppel wiehern!”

      Billstein kannte ich bestens vom Finanzamt. Er war einer der treusten Kunden der Vollstreckungsstelle und hatte ein Abo auf demTourenplan unserer Vollziehungsbeamten. Aber Britta hatte den Angelhaken bereits verschluckt. Und ich wusste ganz genau, je mehr ich jetzt an dem Haken ziehen würde, desto tiefer hätte er sich ins Fleisch gebohrt und der Samstagmorgen hätte überaus ungemütlich geendet. Deshalb rief ich brav bei Billstein an. Noch lachte Billstein am Telefon. Billstein ahnte noch nicht, dass ich ihn durchschaut hatte.

      Ja, es wäre „zufällig” noch ein Termin um 12:00 Uhr frei. Ob er uns denn abholen könnte, fragte er. Das fehlte noch! Womöglich sah mich noch einer von den Kollegen in seinem Zuhälterschlitten.

      Das Haus lag in der Gartenstraße. Vor dem Haus stand ein grauer Lieferwagen. Es war ein von der Straße etwas abgelegenes Zweifamilienhaus, zugewachsen mit wildem Wein. Wirklich romantisch. Vielleicht hatte ich mich ja doch getäuscht.

      Britta war sofort ganz aus dem Häuschen: „Haben wir ein Schwein, Hartmut!”, rief sie begeistert. „Hoffentlich ist die Wohnung noch nicht weg!” Ich blieb skeptisch. „Wollen sehen, welche Sauerei sich Billstein ausgedacht hat”, murmelte ich pessimistisch.

      Die Gartenstraße war eine gemütliche Wohn- und Spielstraße, überwiegend mit Einfamilien- und Reihenhäusern bebaut. Das Straßenpflaster war in kurzen, regelmäßigen Abständen mit Bodenwellen durchzogen, um die Autofahrer zum Langsamfahren zu nötigen. In einer solchen Umgebung sollten mal unsere Kinder aufwachsen.

      Warum war ich nur immer so argwöhnisch? Doch, ich muss mir eingestehen, mein Beruf hatte mich mit den Jahren verändert. Früher hatte ich noch an Tugenden wie Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit geglaubt. Doch mit jeder Steuererklärung, die durch meine Hände ging, verstärkten sich die Zweifel, schwand der Glaube an das Gute im Menschen. Und wenn ich glaubte, endlich eine ehrliche Haut vor mir zu haben und mein Lineal nahm, um auf dem Stadtplan routinemäßig die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abzugleichen, musste ich immer wieder traurig fest­stellen: Auch dieser Steuerpflichtige – dazu noch ein Pastor – war schwach geworden und hatte um ganze zwei Kilometer aufgerundet! Das hätte ich von einem Gottesmann nicht erwartet! Heute waren es zwei Kilometer – und morgen? Wie viele waren es morgen, wenn die Sache unentdeckt blieb?

      Ich betrachtete das Haus mit den heimeligen Gauben und den Fensterläden. Der wilde Naturgarten mit den terrassenförmigen Beetanlagen aus gelben Natursteinen passte zu dem Haus. Doch, das hatte was! Und 110.000 Euro war wirklich ein guter Preis, da konnte man nicht meckern. Während wir auf Billstein warteten dozierte ich: „Wenn man ein wirklich gutes Objekt sucht, muss man eben auch zu einem wirklich guten Makler gehen.”

      12:15 Uhr – nichts tat sich. Wir warteten eine weitere Viertelstunde. Britta sah mich vorwurfsvoll an, als wenn es meine Schuld gewesen wäre, dass er nicht kam. So schnell wie mein Zutrauen zu Billstein gewachsen war, schmolz es von Sekunde zu Sekunde dahin. Ich hätte doch lieber auf mein Gefühl hören sollen. Warum war ich überhaupt auf die blöde Idee gekommen, mir ein Haus von Billstein anzusehen? Wir wollten gerade wieder wegfahren,