Die Zecke. Bernd Wieland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Wieland
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783482728211
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      Kowallick aber ließ sich nicht beirren. „Die Herrschaften können ruhig wissen, was hier los ist!”, sagte er, hob schnell die Hand und streckte uns einen kleinen, braunen Insektenkörper entgegen. „Alles verseucht mit Kakerlaken und anderem Ungeziefer!”

      Jetzt war es aber um Billsteins Beherrschung geschehen. Er baute sich drohend vor Kowallick auf, setzte ihm die Stahlspitze des Schirms an den Hals und zischte: „Kowallick, ich glaube wir müssen uns jetzt mal ernsthaft unterhalten! Wenn ich eines nicht liebe, dann sind es Subjekte, die meinen, sie könnten mir in meine Geschäfte hineinpfuschen!”

      Kowallick ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, lachte nur belustigt auf, schnippte die Kakerlake mit dem Finger weg und wandte sich uns wieder zu: „Die verdammten Viecher sind ganz schön schwer zu fangen. Aber der Highländer ist flink. Dem entwischt so schnell keine.” Dabei streichelte er den Kopf der Bestie. Der Stummelschwanz des Highlanders wedelte im Akkord und bei dem Stichwort „Kakerlake” sabberte er aus dem Maul wie ein Springbrunnen. „Solange die Viecher mich nicht auffressen ist mir das egal.” Kowallick nahm einen Schluck aus seiner Wodka-Flasche und rülpste unanständig.

      Billstein trat vor Wut gegen einen Hocker, der zufällig in seiner Nähe stand. Sein Gesicht war knallrot verfärbt und eine dick angelaufene Ader auf seiner Stirn schien einen Kurzschluss anzukündigen. Doch dann besann er sich und kehrte von einer auf die andere Sekunde zu seiner lässig coolen Art zurück: „Alles halb so wild”, sagte er in einem betont gelassenen Tonfall, „hier muss nur einmal ein Kammerjäger kurzen Prozess mit den Viechern machen, dann krabbelt die nächsten zehn Jahre kein Silberfischchen mehr herum.” – und wir vermutlich auch nicht mehr – wollte ich ergänzen. „Für den Preis finden Sie in dieser Gegend jedenfalls keine Wohnung! Und schauen sie sich nur diesen Zuschnitt an!”, bemühte er sich weiter.

      Da musste ich ihm wirklich recht geben: Die Wohnung war ansonsten nicht schlecht. Und wenn erst einmal eine neue Tapete an den Wänden klebte, sah alles bestimmt schon ganz anders aus.

      Aber Kowallick war für Billstein eine harte Nuss. Er sah uns an und fragte mit einem zynischen Unterton: „Sind sie Pilzfreunde?”

      „Wieso?”, fragte Britta irritiert zurück.

      „Auch Pilzliebhaber kommen hier nämlich voll auf ihre Kosten: Im Badezimmer und der Küche können sie nämlich ganzjährig ernten…”, grinste Kowallick.

      Ich wollte eigentlich noch einen Blick ins Bad werfen, aber Britta zog mich unnachgiebig aus der Wohnung. „Komm Hartmut, ich will nur noch raus!”, zischte sie mir zu. Wir stolperten aus der Wohnung. Billstein fing wieder an, mit Kowallick zu streiten und der Highlander stürzte sich auf ein neues Opfer.

      Als wir die Treppe hinuntergingen, kam uns eine Gestalt in einem grauen Gummianzug und Gasmaske entgegen. Ich erinnerte mich plötzlich wieder an den grauen Lieferwagen vor der Tür. Der Froschmann streifte die Gasmaske ab und fragte erstaunt: „Wie kommen Sie denn hier herein? Heute ist doch alles abgesperrt! Wir spritzen nämlich FDS 2000.”

      „Was ist denn das?”, fragte ich interessiert zurück.

      „Ein hochwirksames Nervengift gegen Ungeziefer und aggressive Bakterien. Unsere Hausmarke. Ich bin ganz begeistert! Einmal sprühen, schon kippt alles um – einfach genial! Hätten wir FDS schon 1938 gehabt, hätten wir den Krieg bestimmt gewonnen!”

      Wieder im Freien rangen wir nach Luft.

      „Das eine will ich dir sagen, Hartmut”, giftete Britta, „ich komme jedenfalls nicht mehr mit, wenn du dir eine Eigentumswohnung anguckst!”

      Langsam begriff ich, dass unsere Ehe auf dem Weg zum Teileigentum noch auf eine harte Probe gestellt werden sollte.

      7. Teurer Zahnarzt

      In der Kantine stieß ich heute als Letzter zu unserer Frühstücksrunde. Britta hatte sich einfach nicht vom Telefon abhängen lassen. Es ging natürlich wieder um die Eigentumswohnung. Immer wieder fing sie an: Wir sollten uns doch lieber in einer anderen Preiskategorie umschauen oder diese bescheuerte Idee einfach vergessen.

      Ich setzte mich Frau Stöhr gegenüber. Sie sollte morgen ein neues Gebiss bekommen. Wurde auch langsam Zeit. Ihre Zähne waren so morsch, dass ich anfangs dachte, sie aß gerade Mehrkornbrötchen. Dabei waren es die Zahnbrösel, die da so knackten.

      So wie sie heute wieder die Fleischsalatbrötchen wegspachtelte, sprach vieles dafür, dass sie gerade wieder eine Diät überlebt hatte. Man hörte regelrecht die Fettzellen nach Nahrung schreien.

      Ihr marodes Gebiss störte mich im Grunde nicht die Bohne. Schließlich brauchte ich sie ja nicht zu küssen.

      Es störte mich aber schon, dass ich immer die ganze Gischt durch ihre Zahnlücken abbekam, wenn sie sprach. Heute war es mal wieder besonders schlimm. Ich konnte ihr zu der Idee mit der Runderneuerung wirklich gratulieren. Bestimmt war es für alle ein Gewinn, besonders natürlich für ihren Zahnarzt.

      12.000 Euro sollte der Spaß kosten! Elke sagte schmatzend, selbst der Herzschrittmacher ihres Schwiegervaters sei billiger gewesen. Ihr Schwiegervater sei nämlich privat versichert und sie hätte die Originalrechnung über 9.560 Euro selbst gesehen.

      Herr Goller meinte, das sei sicher so ein Preisknüller der Chinesen. Die machten jetzt alle platt: Die Amis, die Japaner – und die Deutschen sowieso.

      Frau Stöhr jammerte weiter. Das Geld für die Zähne sei eigentlich schon für die neue Garage verplant gewesen.

      Frau Stöhr war ein hoffnungsloser Fall. Sie nahm noch nicht einmal an Demonstrationen teil oder besetzte leer stehende Häuser. Sonst hätte sie wenigstens darauf hoffen können, hin undwieder eins auf die Nuss zu bekommen und die Sanierungsmaßnahmen hätten sich dank einer guten Rechtschutzversicherung auf einen armen Idioten abwälzen lassen können.

      8. Erste Anschuldigungen

      An Frau Hoppe-Reitemüllers Bürotür prangte seit dem 1.6. ein neues Schild: „Frauenbeauftragte”. Das war fast so gut wie „Sachgebietsleiter”. Frau Hoppe-Reitemüller fühlte sich zum ersten Mal in ihrer Finanzamts-Laufbahn wirklich wichtig. Das ultimative Sahnehäubchen war aber die Bemerkung in dem Geschäftsverteilungsplan – das ist das Verzeichnis der einzelnen Schlafplätze im Finanzamt. Da stand hinter ihrem Namen der Zusatz: „zu 33 % freigestellt”. Donnerwetter! Manche Kollegen würden Gliedmaße opfern, um in den Genuss dieses Privilegs zu gelangen.

      Wenn sie ehrlich war, hatte Frau Hoppe-Reitemüller mit ihren 55 Jahren im Finanzamt mehr erreicht, als sie sich jemals vorgestellt hatte. Auch in den anderen Abteilungen wurde sie als Beispiel dafür gehandelt, wie man es mit den steuerlichen Fachkenntnissen in der Größenordnung eines Neutrons so weit bringen konnte. Gewiss, aus ihr war keine Staatssekretärin geworden, aber sie hatte es immerhin bis zur Endstufe im mittleren Dienst mit Zulage geschafft. In den knapp 40 Dienstjahren hatte sie im Finanzamt dabei fast alle Stationen durchlaufen, die man durchlaufen kann.

      Bei der Abschlussprüfung war sie durch einen glücklichen Umstand durchs Sieb gerutscht. Das Ergebnis der Prüfungen ihres denkwürdigen Jahrgangs war nämlich so niederschmetternd, dass alle Prüfungsergebnisse um eine Note heraufgesetzt werden mussten. Anderenfalls wäre eine Rüge des Ministeriums sicher gewesen. Nach der Prüfung fiel sie zunächst in das Auffangbecken im Finanzamt gestrandeter Existenzen: die Bewertungsstelle. Aufgabe der Bewertungsstelle war vornehmlich die steuerliche Bewertung von Grundstücken. Wie und warum bewertet wurde, hatte sie nie begriffen. Aber was machte das schon, zum einen war sie da nicht die Einzige und zum anderen konnte man in dieser Stelle eigentlich nichts wirklich kaputtmachen. Wenn es einem tatsächlich einmal gelang, etwas zu verbocken, wurde der Vorgangals nichtig wieder aufgehoben. Damals war Frau Hoppe-Reitemüller noch ein richtig knuspriger Eyecatcher. Ihre Sucht nach weißer Trüffelschokolade entwickelte sich erst viele Jahre später, als sie schon längst mit ihrem Norbert verheiratet war.

      Als sie irgendwann dem Sachgebietsleiter der Zentral-Registratur, Herrn Klodwig, in der Kantine das letzte Ei überließ, wurde dieser auf sie aufmerksam. Bei der nächsten passenden Gelegenheit,