Die Zecke. Bernd Wieland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Wieland
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Юриспруденция, право
Год издания: 0
isbn: 9783482728211
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Herrn Klodwig nicht länger tragbar war, wurde sie in die nächste Stelle weitergereicht. Und so lange sie noch nett anzuschauen war, fand sich für Frau Hoppe-Reitemüller auch schnell wieder ein Abnehmer. Jetzt, in der letzten Phase ihres Finanzamtsdaseins hatte der Kopf ihr Aufgabengebiet so zugeschnitten, dass die verursachten Schäden überschaubar blieben.

      So hatten zumindest alle gedacht. Wenn da nicht diese Steuererklärung des Dr. Winter gewesen wäre. Dr. Winter war ein Busenfreund des Kopfes. Herr Dr. Winter hatte sich eine fürstliche Steuererstattung von 86.000 Euro ausgerechnet und der Kopf hatte bei Sichtung dieser Steuererklärung bereits ein unübersehbares grünes „Ja” auf die Steuererklärung gepinselt. Eine persönliche Dienstanweisung des Präsidenten der Vereinigten Staaten hätte nur unwesentlich mehr Bedeutung gehabt. Aber Frau Hoppe-Reitemüller hatte die Anweisung überlesen – was bei ihr ab und an mal vorkam – und die Steuererklärung nach Herzenslust seziert – was bei ihr eher selten vorkam. Das eigentlich Schlimme daran: Sie hatte ausnahmsweise einmal recht gehabt, und deshalb flog die Sache erst auf, als Herr Dr. Winter wutentbrannt beim Kopf anrief und ihn höchstpersönlich für die Steuernachzahlung von 14.000 Euro verantwortlich machte. Eine Woche hatten der Kopf und seine Handlanger darüber gebrütet, wie sie Frau Hoppe-Reitemüller unschädlich machen könnten.

      Die Lösung konnte sich dann auch wirklich sehen lassen: 30 % Fehlzeit durch Krankheitstage hatte Frau Hoppe-Reitemüller ohnehin aufzuweisen, dazu kam noch die Verantwortung für die Freud- und Leidkasse, eine Einrichtung im Amt, die auch die unbeliebtesten Kollegen zum Geburtstag mit einem Blumenstrauß versorgte – vorausgesetzt sie hatten vorher bei Frau Hoppe-Reitemüller den Jahresbeitrag entrichtet. Wenn man dann noch einbezog, dass Frau Hoppe-Reitemüller irgendwann in die Kantine und zur Toilette gehen musste, blieben noch etwa 30 % Zeit für anderweitige Tätigkeiten zur Verfügung. Mit der 33 %igen Freistellung als Frauenbeaufragte war die Amtsleitung somit auf der sicheren Seite. Und dann bestand immer noch die berechtigte Hoffnung, dass die zunehmenden Migräneanfälle eine solide Grundlage für die Frühpensionierung boten.

      Nach nur drei Wochen hatte Frau Hoppe-Reitemüller in ihrem neuen Amt schon den ersten Fall. Am Donnerstag gegen 10:00 Uhr, Frau Hoppe-Reitemüller war gerade aus der Kantine zurück, kündigte sich Frau Stöhr telefonisch an. Es wäre etwas Unglaubliches passiert! Sie müsste als Frauenbeauftragte sofort Schritte einleiten. Sie könnte auch vorsichtshalber schon mit der Oberfinanzdirektion Kontakt aufnehmen.

      Zu der Kontaktaufnahme kam es allerdings nicht, weil Frau Hoppe-Reitemüller geschlagene eineinhalb Stunden brauchte, um ein Schild für die Besprechung mit Frau Stöhr anzufertigen mit dem Text:

      Das fünfte und damit letzte Mal hatte sie das Schild von „Wichtige Besprechung” in „Vertrauliche Besprechung” abgeändert.

      Nun saß Frau Stöhr vor ihr. Vor Aufregung hatte ihre sonst blassrosa Gesichtsfarbe in ein kräftiges schweinchenrosa gewechselt und ihre Neurodermitis am Hals war wieder ausgebrochen.

      „Beruhige dich doch erst einmal, Angelika!”, versuchte Frau Hoppe-Reitemüller Frau Stöhr zu beschwichtigen.

      Aber schon brach es aus Frau Stöhr heraus: „Ich sage es dir, Rita, der Schminke ist jetzt fällig! Das, was ich heute in der Kantine gehört habe, reicht, um ihn dingfest zu machen.”

      „Was hat er denn verbrochen?”, fragte Frau Hoppe-Reitemüller neugierig zurück. Der Job als Frauenbeauftragte schien ja richtig spannend zu werden.

      „Also Rita, ich habe ganz genau gehört, wie er zu Herrn Goller gesagt hat: Das fette Suppenhuhn aus der Finanzkasse wird aber auch nach jeder Diät schwabbeliger! Das ist doch wohl der Hammer! Und außerdem dreht er sich jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeigehe, nach mir um und stiert mir hinterher.”

      Frau Hoppe-Reitemüller musste unwillkürlich grinsen. Frau Stöhr war in den letzten Jahren wirklich regelrecht fett geworden. Ihr war neulich schon aufgefallen, dass bedingt durch die vielen Diäten, Frau Stöhrs Haut an den Unterarmen an die labberige Haut eines aufgetauten Brathähnchens erinnerte. Da hatte sie sich doch trotz ihrer 55 Jahre viel besser gehalten (hihihi). Ihre Freundin Sybille hatte sie neulich sogar gefragt, wo sie sich ihren Busen hat machen lassen und Frau Hoppe-Reitemüller hatte stolz verlauten lassen: „Nein, meine liebe Sybille, alles noch Originalzustand! Das einzige Mal in meinem ganzen Leben bin ich bisher nur wegen eines entzündeten Wespenstichs unterm Messer gewesen.”

      „Hast du denn Zeugen?”, fragte Frau Hoppe-Reitemüller Frau Stöhr. Sie reagierte empört: „Zeugen! Ich kenne mindestens zehn Kolleginnen, die bestätigen können, dass bei Schminke ab Körbchengröße C das Hirn automatisch auf Notstromaggregat umschaltet. Ist dir das noch nie aufgefallen, wie er den Frauen hinterher starrt?”

      Frau Stöhr war dafür bekannt, sich leicht aufzuregen und dann mit ihren Äußerungen ins peinlich Ordinäre abzudriften. Deshalb versuchte Frau Hoppe-Reitemüller das Gespräch wieder in eine sachlichere Richtung zu lenken: „Und wie steht es mit dem Goller,der hat doch auch gehört, was Schminke über dich gesagt hat.” Frau Stöhr winkte ab: „Goller! Der Goller, dieser Schlappschwanz, der kann sich natürlich an nichts erinnern. Stecken doch alle unter einer Decke, diese Männer! …Wenn’s mal richtige Männer wären!”

      Frau Hoppe-Reitemüller überlegte kurz, blätterte in ihrer roten Fibel „Die Frauenbeauftragte im Öffentlichen Dienst” und seufzte: „Tja Angelika, du wirst schon Recht haben, aber ich fürchte das reicht noch nicht ganz, um den Schminke dingfest zu machen. Da müssen wir wohl noch mehr Material sammeln. Halt mich doch auf dem Laufenden, wenn Schminke wieder auffällig wird.”

      Von dem Besuch bei der Frauenbeauftragten hatte sich Frau Stöhr nun wirklich mehr versprochen. Bevor sie widerstrebend aus Frau Hoppe-Reitemüllers Büro ging, konnte sie sich nicht die Bemerkung verkneifen: „Früher warst du auch spontaner, Angelika!” Im Moment konnte sich Frau Stöhr nur mit dem Gedanken trösten, dass nächste Woche Tina aus dem Urlaub zurückerwartet wurde. Tina, Körbchengröße 75 D und manchmal sogar ohne BH (!), gehörte seit Kurzem auch zu ihrer Frühstücksrunde in der Kantine. Es würde nur eine Frage der Zeit sein und dann…

      9. Gelegenheit macht Freunde

      Es war Gründonnerstag. Die Arbeitstage vor Feiertagen liefen nicht wie übliche Arbeitstage ab: Sie wurden zelebriert.

      Morgens wurde allenfalls das Kalenderblatt aktualisiert und höflicherweise das Stempelkissen aufgeklappt. Einige Belege und Akten wurden geschäftig über den Schreibtisch verteilt. Dann nahm ich mir einen leeren Aktenordner als Tarnung und holte aus meinem Lederpausenbrottäschchen etwas Schönes zum Lesen. Dazu gab es den guten Dallmayr-Prodomo.

      Wenn der Kaffee kochte und dampfend in der Thermoskanne auf mich wartete, konnte ich den ganzen Tag lang lesen, aus dem Fenster schauen und in der Nase popeln – zumindest, wenn Horst nicht im Büro war. Aber Horst war an solchen Tagen ohnehin meist krank oder tigerte den ganzen Tag im Amt von Kollegin zu Kollegin. Im Moment war er ohnehin in Kenia. Bei Haselnussplätzchen, die ich aus der halb geöffneten Schublade holte, ließ es sich gut aushalten.

      In meinem Lederpausenbrottäschchen hatte ich heute besonders feine Sachen: Ein Brötchen mit Bratklops und zwei Stückchen Käse-Sahnetorte.

      Nachdem ich zuerst das Quiz „Bester Autofahrer Deutschlands” in der Autozeitschrift gelöst hatte, las ich jetzt: „Stirb, du Memme”, das delikate Werk eines jungen Krimiautoren, der wirklich etwas von seinem Handwerk verstand. 33 Menschen wurden auf 252 Seiten unglaublich bestialisch und mit psychologischem Pfiff unterhaltsam hingerichtet.

      Gerade als ein unbedarfter Tischlergeselle von einer Kettensäge erfasst wurde, die der Auszubildende vorher präpariert hatte, klingelte das Telefon. Nur widerstrebend klappte ich das Buch zu.

      Es war Eberhard Pfannengaul. Eberhard war ein Abtrünniger, ein Verräter. Wir waren beide zur selben Zeit zur mündlichen Steuerinspektorenprüfung geladen worden. Im Gegensatz zu mir ende­te die Prüfung bei ihm nicht in einem spektakulären Absturz, sondern war der Beginn eines beneidenswerten Höhenfluges gewesen. Vor zwei Jahren