Er stieg in den Keller hinunter. Vor der Tür blieb er kurz stehen, dann drehte er langsam den Türknopf. Ein schummriges Licht empfing ihn, und dann – klappte ihm der Unterkiefer herunter. Auf dem Fußboden saßen fünfundzwanzig Männer, die zu ihm aufsahen. Alle zehn, die letzte Woche da gewesen waren, waren wiedergekommen, und fünfzehn neue Christen hatten sie mitgebracht.
Einer nach dem anderen berichteten die zehn, wie Gott ihnen gezeigt hatte, dass sie bleiben sollten, und mehrere der Neuen erzählten, wie sie zum Glauben an Jesus gekommen waren. Die nüchtern-freudige Entscheidung, in Syrien zu bleiben, brachte die Versammelten zu einem Tagesordnungspunkt, den man in wenigen Gemeindeversammlungen findet: Sie beschlossen, Geld zusammenzulegen, um ein Stück Land zu kaufen – für den Friedhof, auf dem sie, wenn das Unvermeidliche kam, einander beerdigen würden.
Eine Botschaft von Farid
So viele Brüder und Schwestern sind schon umgebracht worden. Anscheinend ist unsere kleine Gemeinde die einzige, die einen leeren Friedhof in Syrien besitzt. Als dieses Buch geschrieben wurde, war noch keiner von uns gestorben, und wir begrüßen einander mit den freudigen Worten: „Der Friedhof ist immer noch leer!“ Wir alle wissen, dass er nicht leer bleiben wird, aber bis dahin sind wir dankbar.
Der Satan wütet in Syrien, als brüllender Löwe, der die Gemeinde vernichten will. Täglich geht das Foltern und Morden weiter. Jeden Monat hören wir von neuen Terrorgruppen, die sich gebildet haben, und jede scheint die anderen noch an Grausamkeit überbieten zu wollen.
Ich glaube, am meisten Angst haben die Jünger von Jesus in Syrien vor den Kreuzigungen. Der Tod am Kreuz ist etwas Furchtbares, dazu kommen noch der Spott und die Grausamkeiten der Zuschauer, bevor die Opfer dann endgültig an das Kreuz genagelt werden.
Manche Christen, denen die Kreuzigung droht, sind noch jung im Glauben, und ich kann ihnen nicht böse sein, wenn sie Angst haben. Aber ich glaube, es ist eine Ehre, so für Jesus zu sterben. Vor zweitausend Jahren ging das Lamm Gottes in Jerusalem ans Kreuz, nur gute dreihundert Kilometer von Damaskus entfernt. Heute hängt das Damoklesschwert der Kreuzigung erneut als eine sehr reale Möglichkeit über unseren Köpfen, gerade so wie damals bei den Christen der jungen Kirche.
Aber was auch geschieht, die entscheidende Frage ist doch: Sind wir nicht eigentlich sowieso schon gestorben? Paulus, der hier in Syrien seine Bekehrung erlebte, schreibt in einem seiner Briefe: „Ich bin mit Christus gekreuzigt.“
Ich finde, dass es ein Vorrecht für die Christen in Syrien ist, so greifbar an diese Tatsache erinnert zu werden. Warum? Nun, früher dachte ich immer, dass ich ein opferbereites Leben führte, aber das wurde anders, als der Krieg kam. In Syrien gibt es wenige Christen und sie waren auch früher schon in Gefahr, aber ich wusste nicht wirklich, was es bedeutet, Opfer für Gott zu bringen. Opfer waren für mich schlicht etwas Lästiges, dem man auszuweichen hatte.
Mit dem Kauf unseres Friedhofs haben wir das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben aufgegeben. Wir haben den Weg beschritten, der in den gewaltsamen Tod führt, ob durch eine plötzliche Kugel in den Kopf, die Enthauptung oder eben die Kreuzigung. Unser Leben liegt in Gottes Hand.
Es macht einen erstaunlich frei, keine Erwartungen und Pläne für morgen zu haben. Die Frage, mit der ich und viele andere jeden neuen Tag beginnen, lautet: „Jesus, was hast du mit mir und meiner Familie heute vor?“ Allein das ist wichtig. Nur wie ich für Jesus lebe, zählt, alles andere ist unwichtig. Wenn ich mein Leben ganz in die Hände meines Herrn lege, in dem Wissen, dass jeder Tag mein letzter auf dieser Erde sein kann, habe ich einen Frieden wie nie zuvor.
Einer meiner Helden aus der Geschichte der Kirche ist Hieronymus, der Ende des 4. Jahrhunderts die Vulgata schuf, die maßgebliche lateinische Übersetzung der Bibel. Das Lateinische war damals die gebräuchliche Sprache vieler Menschen im Mittelmeerraum. Hieronymus war so darauf bedacht, dass jeder Tag seines Lebens für Christus zählte und er sein Werk zum Abschluss brachte, dass er sich eine höchst ungewöhnliche Gedächtnisstütze anfertigte. Sie sollte ihm zeigen, wie wertvoll jeder Tag war und wie schnell er sterben konnte: Er befestigte einen Totenschädel mit einer Kette an einem Fuß. Dreht Ihr Leben sich vor allem um Jesus oder sind Ihnen andere Dinge wichtiger? Wenn Sie jeden Augenblick sterben können, ist das eigentlich die einzige Möglichkeit. Aber auch wenn der Tod noch weit weg ist – wir sind dazu berufen, ganz für Gott zu leben, was auch kommen mag. Wer so lebt, findet die tiefste Erfüllung, die in dieser Welt möglich ist.
Als Paulus, der Christenverfolger, Jesus begegnete, gab er alle seine „Rechte“ auf und wurde dadurch zu einem „lebendigen Opfer“, wie er es an die Christen in Rom formulierte (vgl. Römer 12,1).
Beten Sie für uns in Syrien, aber fühlen Sie sich bitte nicht schlecht wegen uns. Wir waren noch nie so frei wie heute. Und obwohl wir bereit sind zu sterben, ist unser Friedhof bis jetzt leer.
2 Die Schahada ist das islamische Glaubensbekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Gesandter.“
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